2024-10: OEP (Open Educational Practices); mein Beitrag zu einer „Blogparade“

Vorneweg: Dieser Beitrag ist sicher nicht mein Highlight und er gerät auch eher kurz, dennoch möchte ich einen Gedanken einbringen.


Nils Winkelmann hat zur Blogparade zum Thema „Wie öffnest Du Deinen Unterricht?“ aufgerufen, an der ich mich gerne beteilige. Er hat in seinem Beitrag einen Schwerpunkt auf Partizipation und Teilen im Sinne von Co-Planning und Co-Agency in einer Kultur der Digitalität gelegt. Tom Mittelbach geht es um Digitalität und Demokratielernen.
Meine einfache Antwort auf die Ausgangsfrage wäre: Gar nicht, weil ich aktuell nicht unterrichte. Das soll aber nicht so bleiben und natürlich habe ich auch eine Unterrichtsvergangenheit und eine Position, ja sogar eine Vision, zum Thema Open Educational Ressources (OER) und Open Educational Practice (OEP).
OER, verstanden als geteiltes oder gemeinsam erstelltes Material, zählen für mich zu den größeren Mysterien des Schulsystems. Fast alle Lehrkräfte wünschen sich das oder fordern es sogar, aber die wenigsten Kollegien bekommen das, außer in mehr oder weniger großen Teilbereichen, hin, obwohl die Vorteile (Arbeitserleichterung/-teilung, Vergleichbarkeit, Schwarmintelligenz zur Qualitätssicherung usw.) ja eigentlich auf der Hand liegen. Noch deutlicher tritt dieses Mysterium bei den OEP auf. Gegenseitige Hospitationen, Team-Teaching usw. werden gerne gefordert, aber selten umgesetzt und wenn, dann ist es schwierig eine wertschätzende Feedbackkultur zu entwickeln, die dann wirklich zu Verbesserungen für Lehrende und Lernende führen.
Das soll jetzt keinesfalls wie billiges Lehrkräfte-Bashing klingen. Die Gründe dafür sind wohl eher systemischer Natur, also muss die wünschenswerte Umsetzung von OER und OEP auch durch eine Systemänderung erfolgen. Wenn lernen in einer Kultur der Digitalität individualisiert und mit einem gescheiten Lernmanagement-System (LMS) in einer offenen Lernkultur stattfindet, dann ergeben sich OER und OEP von selbst. Das gemeinsam erstellte oder ausgesuchte Material ist im LMS hinterlegt und kann bei Bedarf angepasst werden und Lernen findet in offenen Räumen und Prozessen an den Bedarfen der Lernenden orientiert statt.


Sehen kann man das in vielen preisgekrönten Schulen und wer es auf die Spitze getrieben sehen will, der sollte sich mit den Agora-Schulen in den Niederlanden auseinandersetzen (einfach mal googeln).
Spannend wäre es jetzt noch die Rolle der Schulträger, der Bundesländer und der KMK zu betrachten. Auch spannend wäre es jetzt noch weiter zu denken und zu überlegen, was das für die verschiedenen Schulstufen bedeutet, Schulformen sollten durch die Individualisierung ja obsolet sein.
Am Ende sind OER und OEP auch wieder eine Frage der Haltung, die eng mit den systemischen Rahmenbedingungen verknüpft ist. Wenn wir OER und OEP wollen müssen wir an diesen beiden Punkten ansetzen und geschicktes Changemanagment betreiben. Auf geht´s!

Andere Beiträge zur Blogparade:

Jan-Martin Klinge auf Halbtagsblog: https://halbtagsblog.de/2024/03/16/teilst-du-noch-oder-oeffnest-du-schon-2/.

Nils Winkelmanns Digilog-Blog: https://digilog.blog/2024/03/14/aufruf-zur-blogparade-wie-oeffnest-du-deinen-unterricht/.

Tom Mittelbach: https://www.tommittelbach.org/2024/03/16/4909/.

Gratian Riter, der SEAgent: https://seagent.de/soziale-einbindung-vernetzung-offenheit/.

2024-11: #KIBedenken – als Teil einer „Blogparade“

Nele Hirsch hat mit Joscha Falck zu einer Blogparade zum Thema #KIBedenken aufgerufen; diesem Aufruf möchte ich gerne folgen, weil ich ein großer Fan des Diskurses bin. Ich hatte hier am 20. Februar schon, bewusst etwas apologetisch, in eine ähnliche Richtung gebloggt. In der Vorbemerkung hatte ich zum Diskurs aufgerufen, der sich in dieser Blogparade gerade wunderbar entfaltet. Ich werde hier bewusst weiterhin eine im Zweifel zu apologetische Position einnehmen, um den Diskurs zu forcieren und zu provozieren.

Ad (1) In der KI-Debatte geht es zu viel um digitale Tools und um das Zeigen von Anwendungen, die an sich nicht besonders schwer zu bedienen sind. Dazu werden oft ganze Fortbildungstage veranschlagt. Es fehlt damit an Fortbildungszeit für Themen, die pädagogisch und gesamtgesellschaftlich angesichts der Krise unseres Bildungssystems und unserer Gesellschaft deutlich wichtiger wären. (die hier kursiv wiedergegebenen Abschnitte sind die Thesen mit denen Nele und Joscha hadern):
Ich nehme zwar auch einen Fokus auf Tools wahr, die jeden Tag zahlreich auf uns einprasseln, auch wenn dabei die Geschwindigkeit gefühlt in der letzten Zeit etwas nachgelassen hat. Ich sehe aber auch, nicht zuletzt in dieser Blogparade und bei den daran Beteiligten, dass der Fokus auf weitere pädagogische Entwicklungen gerade nicht verloren geht. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass KI gerade dazu zwingt, pädagogische und didaktische Konzepte zu überdenken, weil sich alles verändert (vgl. meinen oben verlinkten Blogbeitrag).
Deswegen versuche ich in meiner Schule einen holistischen Ansatz zu implementieren. Wir haben gerade einen Schulentwicklungsprozess auf mehreren Ebenen gestartet. Wir lassen uns extern begleiten, um Strukturen für Schulentwicklung zu schaffen, wir haben weiter eine Schulentwicklungsgruppe und wir arbeiten an einem Präventionskonzept, in dem alle Präventionsbereiche (Medien, Gewalt, sexualisierte Gewalt, Drogen usw.) zusammen gedacht werden, dabei beziehen wir die gesamte Schulgemeinschaft ein und lassen uns von externen Expertinnen und Experten beraten. Eine der einigenden Klammern, die bei allen Entwicklungsprozessen mitgedacht werden müssen, ist die Etablierung einer Kultur der Digitalität. Damit verbunden ist ein alle Lernbereiche umfassendes Verständnis einer Digital Literacy. Und das Lernen mit, über, trotz, durch und ohne KI (Joscha Falck) ist ein Aspekt davon.
Am Ende besteht bei Fortbildungen im Bereich KI aktuell etwas Nachholbedarf in vielen Kollegien, was es rechtfertigt dazu Zeit aufzuwenden, mittelfristig sehe ich aber keine Gefahr einer zu starken Fokussierung auf Tools.

Ad (2): Der Fokus auf KI als Werkzeug steht dem Fokus auf Lernen im Weg. Aspekte der Kompetenzorientierung werden ebenso (zu) wenig in den Blick genommen wie fachdidaktische Fragen.:
Diese Gefahr sehe ich durchaus und schlimmstenfalls begeben wir uns in einen Zyklus aus KI-generierten Aufgaben, die mit KI gelöst und dann mit KI korrigiert und bewertet werden. Da dies aber sicher niemand will, sind wir eigentlich und endlich gezwungen, die Kompetenzorientierung deutlicher in den Blick zu nehmen und so Bildungsprozesse zu modernisieren. Nehmen wir als Beispiel Fiete. Durch das individuelle Feedback durch KI erhält jeder einzelne Lernprozess mehr Bedeutung und kann analysiert werden, was ohne KI zeitlich kaum leistbar wäre. So werden Kompetenzen und Lernprozesse gefördert. Dabei ändert sich aber auch die Rolle der Lehrkraft, sie wird zum Lernbegleiter und fokussiert stärker auf den Lernprozess als auf das Lernergebnis und das ist wünschenswert.

Ad (3): Aufgrund der Omnipräsenz von KI und der erwünschten raschen Anwendung/Implementierung gerät die dringend nötige Veränderung der Lernkultur und Lehr-/Lernkonzepte wie beispielsweise das selbstgesteuerte Lernen oder Individualisierung in den Hintergrund. Die Verknüpfung mit KI scheint oft mehr „pädagogisches Feigenblatt“ als tatsächlicher Veränderungswille zu sein.
Dazu habe ich im Grunde unter (2) schon Stellung genommen. Wir haben es in der Hand, ob KI ein „pädagogisches Feigenblatt“ oder ein Schritt zur Veränderung wird. Vielleicht dieses Mal wirklich. Ich erinnere mich, wie ich mit einer speziellen Fortbildung zur Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht in meiner Zeit als Ausbilder vor Kollegien stand, deren einziges Ziel es war, Kompetenzorientierung zu diskreditieren und zu verhindern, um nichts an der „klassischen“ Vorstellung von frontalem gymnasialen Instruktionsunterricht zu ändern. Das Feigenblatt-Phänomen ist also nicht neu, nur ist der Impact von KI meiner Meinung nach stärker zu gewichten. Der Kompetenzorientierung konnte man sich verweigern, ohne, dass das Konsequenzen gehabt hätte, mit KI verändern sich aber Hausaufgaben- und Prüfungskultur zwangsläufig, alles andere wäre eine Bankrotterklärung des Bildungssystems.

Ad (4): Der empirische Beleg der Wirksamkeit von KI-Tools im Unterricht steht noch aus, weshalb didaktische Empfehlungen und angepriesene Tools aus unserer Sicht mehr Skepsis vertragen könnten.
An diesem Punkt ist naturgemäß etwas dran, schließlich haben wir es mit relativ neuen Entwicklungen zu tun. Es gibt zwar schon erste zusammengetragene Erkenntnisse von Hattie (u.a.), aber auch diese sind nicht unumstritten. Vielleicht ist aber auch hier wieder eine Chance verborgen. An verschiedenen Stellen wurde bereits festgestellt, dass Evaluation und Empirie im Unterricht in Deutschland eine zu geringe Rolle spielen. Vielleicht kann KI ja auch hier ein Gamechanger sein? Lasst uns KI in die Klassenzimmer bringen und quantitativ und qualitativ evaluieren, ob und wie das den Lernprozess verändert, idealerweise natürlich verbessert. Wenn ich Hatties Ergebnisse richtig erinnere, war eine Erkenntnis, dass es auf eine gute didaktische und methodische Begleitung durch Lehrkräfte ankommt, wenn KI gewinnbringend eingesetzt werden soll; einfach nur reingeben und machen lassen bringt nichts: Lernen mit, durch und über KI.

Ad (5): Die mit KI einhergehende (zurückgekehrte?) Toolifizierung in der Bildung versperrt den Blick auf die viel wichtigere Frage, wie wir gutes Lernen in einer zunehmend von KI-geprägten Welt gestalten können.
Dieser Punkt hängt eng mit den Punkten (1) bis (3) zusammen und lässt sich meines Erachtens nach gut mit dem bewährten Dagstuhl-Dreieck in Verbindung bringen. Aufgabe guter Bildung und guten Lernens muss es sein, die zunehmend von KI durchdrungene Welt technisch so weit zu verstehen, dass man zur sicheren Anwendung kommt und die ethisch-politische Dimension versteht. Es bedarf eines kritischen Umgangs mit KI, bei dem auch die ökologische Dimension nicht zu kurz kommt, der bewusst macht für den Bias und die ökonomischen Implikationen.

Ad (6): Im Fokus stehen sehr oft Tools profitorientierter internationaler Konzerne, deren Geschäftsmodelle von Intransparenz geprägt sind. Auch mangels Alternativen fließt derzeit viel öffentliches Geld in privatwirtschaftliche Firmen anstelle Investitionen in eine demokratisch kontrollierte, öffentliche KI-Infrastruktur zu tätigen.
Hier liegt ein echtes Problem, welches im Bereich der IT und Software aber ja nicht ganz neu ist. Ich habe schon gelegentlich für Alphabet, Meta oder MS/Open-AI einen „Rockefeller-Moment“ gewünscht. Vielleicht kommt irgendwann der Moment, an dem diese Konzerne zerschlagen werden (müssen) wie einst Rockefellers Standard-Oil, weil ihre Marktmacht nicht mehr vermittelbar ist. Vielleicht kommt mit KI, aber auch der von Frederic Laloux beschriebene Evolutionssprung, der uns in eine postkapitalistische Epoche der Menschheit befördert, in der nicht mehr Besitz und Konsum die zentralen Aspekte für den „Wert“ eines Menschen sind.

Ich habe mich mit meinem Blogbeitrag bewusst im utopischen Bereich bewegt, natürlich ist auch eine dystopische Variante denkbar. In unserer VUCA- oder BANI-Welt sind Prognosen ja kaum möglich, das hat ja nicht zuletzt eben auch die rasant schnell wachsende Bedeutung von KI im öffentlichen (Bildungs-) Diskurs gezeigt.

Zusammengefasst und optimistisch gedacht, kann KI der Gamechanger sein. Als unser neuer „Sparringspartner“ wird sie auf verschiedenen Ebenen im Bildungssystem zu einem Reformbeschleuniger, weil KI das System zum (Um-)Denken zwingt. Noch ist der Prozess „Work in Progress“, es wäre ein Fehler KI im Unterricht nicht auszuprobieren, zu implementieren und kritisch zu hinterfragen. KI ist aufgrund ihrer aktuell so wahnsinnig dynamischen Entwicklung mehr als nur eine neue Technologie oder ein Werkzeug, sie zwingt uns, und damit meine ich nicht nur aber besonders das träge Bildungssystem, schleunigst agiler zu werden, Lernprozesse verstärkt auf der Kompetenzebene zu begleiten und offener für Neues zu werden. Und das wäre nicht weniger als eine Revolution des Bildungssystems. Zumindest führt KI dazu, dass wir hier in einen konstruktiven Diskurs geraten und das ist heutzutage ja auch nicht mehr selbstverständlich.
Packen wir es an, machen ist wie wollen, nur krasser!

*Die oben gezeigten Bilder kommen übrigens dabei raus, wenn man diesen Blogbeitrag in DALL-E eingibt und das Tool auffordert den Text zu visualisieren. Alleine in diesen Bildern stecken schon so viele Gesprächs- und Lerngelegenheiten, dass es sich lohnt den Unterricht mit, durch, über und trotz KI zu gestalten: Was macht die US-Flagge in dem einen Bild, warum sitzen die Schülerinnen und Schüler alle so formiert im Klassenraum, was soll das Gehirn symbolisieren uvm.?

Weitere Beiträge zur Blogparade und Nachträge:

Aufruf und Statement von Nele Hirsch: https://ebildungslabor.de/blog/aufruf-zur-blogparade-kibedenken/.

Und von Joscha Falck: https://joschafalck.de/blogparade-kibedenken/.

Es gibt mittlerweile eine wirklich beachtliche Anzahl an Beiträgen, die über den Link zu Joscha Falcks Beitrag zugänglich sind (Danke fürs Sammeln!).

Lesenswert in dem Zusammenhang ist auch die Pädagogik 3/24 zum Thema „KI in der Schule“.

Guter Ansatz! Die 4A von Doris Weßels und Hendrik Haverkamp in einem Gastbeitrag für die FAZ. Schlusssatz: „Wir dürfen bei der Digitalisierung im Bildungsbereich im internationalen Vergleich nicht noch weiter zurückfallen.“
https://www.faz.net/pro/d-economy/kuenstliche-intelligenz/digitale-bildung-pioniere-des-wandels-stehen-im-regen-19612630.html.

2024-09: Lehrkräfte, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind – als Teil einer „Blogparade“

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt. Dies ist der vierte Teil der Blogparade.

Jeder Mensch, der in der Schule war, also fast jede und jeder, hat Erinnerungen an Lehrkräfte; gute und schlechte.


Das liegt natürlich zum einen in der Natur der Dinge. Nicht alle Menschen können gleich gut miteinander und das ist auch gut so, spiegelt das doch die Diversität, die das Menschsein ausmacht und das Leben so attraktiv macht.
Zum anderen, das betone ich immer wieder, ist Schule ein zentraler Ort der Sozialisation und daher ist es von größter Bedeutung, wie das Verhältnis von Schülerinnen und Schülern zu Lehrkräften ist, weil es besonders zukunftswirksam sein kann.
Meine persönliche Schullaufbahn fand in den 1980er und am Anfang der 1990er Jahre statt, ich habe 1993 Abitur gemacht. Diese Schullaufbahn war von Beginn an von ambivalenten Erfahrungen mit Lehrkräften geprägt. Bereits in der Grundschule habe ich erlebt, was für einen Unterschied eine Lehrperson machen kann. Meine Klassenlehrerin in den ersten beiden Jahren war autoritär und hatte keine gute Beziehungsebene zu vielen Schülerinnen und Schülern aufgebaut und ich war einer von diesen. Die Folge waren einige Elterngespräche, aufmüpfiges Verhalten und eher durchwachsene Leistungen. Ich erinnere eine Situation, in der ein Klassenkamerad wegen störendem Verhalten hinter die Tafel musste und dort offensichtlich vergessen wurde. Erst als ein leises Schluchzen zu hören war, durfte er wieder an seinen Platz. Solche Demütigungen können tief sitzen und das Verhältnis zur Schule und zum Leben nachhaltig beeinflussen.
Besagte Lehrerin hat dann nach meiner 2. Klasse die Schule gewechselt und wir bekamen Frau Schinzel. Frau Schinzel war eine etwas ältere Quereinsteigerin und mochte Kinder. Sie ist uns offen und wertschätzend begegnet und auf einmal machte Schule Spaß, meine Leistungen verbesserten sich und niemand wurde mehr im Unterricht gedemütigt. Meine Grundschulklasse und ich haben bis heute Kontakt zu Frau Schinzel und wir haben uns bereits mehrfach mit ihr getroffen, eigentlich wäre es mal wieder Zeit für ein solches Treffen, sie müsste wohl schon um die 90 Jahre alt sein.


Eigentlich müsste mir also schon nach der Grundschule klar gewesen sein, was dann in den 2000er Jahren die zentrale Erkenntnis der Metastudie von John Hattie wurde: „The Teacher matters!“.
Die beiden folgenden Jahre verbrachte ich dann an der damals in Hessen obligatorischen Förderstufe (Funfact: Das war die Schule, an der ich jetzt Schulleiter bin). Das war eine Gesamtschule, die den Gesamtschulgedanken lebte und ich habe eigentlich durchweg positive Erinnerungen an diese Zeit. Einzig getrübt vielleicht durch den Musiklehrer, der mich immer wieder bloß stellte, indem er mich Takte vor der Klasse klatschen ließ, was ich bis heute nicht wirklich kann. Aber das fällt wohl eher in die Kategorie unterschiedliche Persönlichkeiten und Talente. Mit der Schulmusik stand ich bereits in der Grundschule auf Kriegsfuß, wo ich am Ende gar nicht mehr vorsingen musste und gleich eine vier dafür bekam.
Nachhaltiger wirkte dann die Zeit am Gymnasium von der 7. Klasse bis zum Abitur. Dort hätten mich als Nichtakademikerkind die herrschenden Selektionsmechanismen fast mit Latein und Mathe bezwungen. Am Ende hat mich das vermutlich resilienter gemacht, aber vor allem den damaligen Mathematikunterricht möchte ich nicht mehr erleben müssen und den wünsche ich auch niemandem. Ich kam eigentlich mit ganz guten Voraussetzungen und mit Interesse an Mathematik ans Gymnasium, aber die dortige „friss oder stirb“-Mentalität, die Bloßstellungen und Demütigungen, haben mir nachhaltig den Spaß an Mathematik vergällt und mir bis heute das Gefühl gegeben, in diesem Fach nicht gut genug zu sein. Ich erinnere mich noch heute daran, wie mir ein Mathematiklehrer immer genüsslich meine Klausuren hinwarf mit den Worten: „Na. Herr Grundmann, das war wohl nix“. Das hat sich bis in mein Chemiestudium gehalten, dass ich mangels mathematischer Fähigkeiten abgebrochen habe. Ich erinnere in diesem Zusammenhang eine Situation, in der sich ein Klassenkamerad an der Tafel eingenässt hat.


Es ist schade, wenn solche Erinnerungen mit Schule verbunden bleiben.
Wir Lehrkräfte dürfen nie vergessen, dass die Schülerinnen und Schüler, die wir unterrichten, nicht freiwillig zu uns kommen, sie können sich nicht aussuchen, ob sie in die Schule gehen und nur in wenigen Fällen, in welche Schule sie gehen. Es handelt sich bei unseren Schülerinnen und Schülern außerdem um Kinder, die in ihrer Persönlichkeit noch nicht gefestigt sind, die unterschiedliche Hintergründe und Erlebnisse mitbringen. Wir sind die Pädagoginnen und Pädagogen, es ist zuallererst unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass alle Kinder ernst genommen werden und sie auf ein Lernumfeld treffen, in dem sie sich wohlfühlen. Übertriebene Autorität, eine mangelhafte pädagogische Haltung und Adultismus oder sonstige Formen von Diskriminierung sind da fehl am Platz. Ein wenig bin ich auch deswegen Lehrer geworden, weil ich das besser machen wollte. Ich hoffe, das ist mir bisher weitestgehend gelungen.
Hauptsächlich bin ich aber Lehrer geworden, weil ich auch all die guten Vorbilder erinnere. Da waren unglaublich inspirierende Lehrkräfte in Geschichte, Politik, Deutsch, Religion, Biologie oder Chemie, bei denen Lernen in der Regel Spaß gemacht hat, weil es mit Erkenntnissen verbunden war, die mich stolz machten. Das waren Lehrkräfte, die mir das Gefühl gegeben haben jemand zu sein, die mich und meine Anliegen ernst genommen haben und die mich abgeholt haben, die meine Stärken gestärkt haben und konstruktiv mit meinen Schwächen umgegangen sind.
Da war ein Herr Scheitza, der sich meine elaborierten Geschichtsausführungen in Klausuren angetan hat und diese auch noch gut fand. Die 13 Punkte, die ich mal bei ihm geschrieben habe ehren mich noch heute, denn 14 oder gar 15 Punkte gab es bei ihm nur, wenn man besser war als er selbst. Da war ein Herr Neubauer, der uns immer mit kleinkopierten ganzen Seiten aus der Zeit traktiert hat, dem ich aber mein Interesse an Politik verdanke, da waren zwei Herren Müller, der eine hat mir doch noch zum Latinum verholfen und der andere hat an meine chemischen Fähigkeiten im Leistungskurs geglaubt, da war eine Frau Schüller, die mir den Faust und Brecht näher brachte und viele andere, an die ich gerne zurück denke.
Solche Lehrkräfte brauchen wir und haben wir heute auch mehr als früher. In der Summe ist bei mir ein gutes Gefühl beim Rückblick auf meine Lehrerinnen und Lehrer geblieben. Ich weiß aber, dass das nicht für alle meine Mitschülerinnen und Mitschüler gilt und ich kenne einige, die bis heute bei ihren Kindern ein Misstrauen gegenüber der Institution Schule und den Lehrkräften hegen. Das ist schade, weil in der Schule so viele wichtige Grundlagen für das spätere Leben angebahnt werden, die wir positiv besetzen müssen. Lebenslanges Lernen, Neugierde und Interesse sind Zukunftsfähigkeiten, die wir dringender brauchen denn je und da machen wir Lehrkräfte für unsere Schülerinnen und Schüler einen Unterschied, genauso, wie es unsere Lehrerinnen und Lehrer für uns gemacht haben. Schule hat mir dann Spaß gemacht, wenn ich mich ausprobieren durfte, wenn ich Freiräume hatte, zum Beispiel bei einem Referat über die Rote Armee Fraktion, für das ich sogar in die Unibibliothek gefahren bin. Schule hat mir Spaß gemacht, wenn sie für gemeinsame Erlebnisse gesorgt hat, wie auf der Wintersportwoche oder im Theater und natürlich hat Schule Spaß gemacht, wenn es kleine oder große Erfolge gab.
Natürlich ist Schule kein Ponyhof und natürlich kommt es dort zu Konflikten, natürlich können nicht alle Schülerinnen und Schüler alle Fächer gleich gut, es wäre aber wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler die Schule am Ende mit einer in der Summe positiv besetzten Erinnerung verlassen.

Herr Mess mit einer traurigen Geschichte und noch einigen anderen Links zu Beiträgen zur Blogparade:
https://herrmess.de/2024/03/30/blogparade-2024-runde-4/.

Maria Kruse auf K(n)öpfchenkunde: https://xn--kpfchenkunde-4ib.de/2024/03/28/blogparade/.

Christiane Schicke auf „Neues aus dem Baumhaus“: https://moewenleak.wordpress.com/2024/03/26/blogparade-4-ein-pauker-schlag-oder-auch-welche-lehrer-haben-mich-beeindruckt/.

Jan Martin Klinge auf Halbtagsblog:
https://halbtagsblog.de/2024/04/23/blogparade-4-lehrkraefte-die-mich-besonders-beeindruckt-haben/.

Susanne Posselt:
https://susanneposselt.de/beeindruckende-lehrerinnenpersoenlichkeiten/.

2024-08: Die Attraktivität des Lehrberufes – als Teil einer „Blogparade“

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt.

Das Thema der dritten diesjährigen Bildungs-Blogparade lautet:
Morgens nicht Recht, mittags nicht frei haben – trotzdem zufrieden. was macht den Beruf der Lehrer:in so attraktiv?

Zunächst muss ich festhalten, dass ich mittlerweile ja Schulleiter bin. Das ist deswegen bedeutend, weil meine Arbeit nur noch sehr wenig mit der Vorstellung von dem zu tun hat, was eine Lehrkraft tut. Ich habe, zumindest aktuell, keinen Unterricht. Ich tue also nicht, was ich eigentlich gelernt habe und was ich sehr gern gemacht habe, jungen Menschen Wissen und Zusammenhänge vermitteln und sie bei ihrem Prozess der Mündigwerdung zu begleiten. Das bedaure ich sehr. Was den Beruf so attraktiv macht, ist nämlich die Arbeit mit Kindern, mit Menschen und das damit verbundene Gefühl der Selbstwirksamkeit. Der Job der Lehrkraft ist hochbedeutsam, Lehrkräfte können den Unterschied machen, ob ein Kind Resilienz entwickelt und selbst Wirksamkeit erfährt oder nicht. Lehrkräfte stabilisieren die Gesellschaft, indem sie Kindern (demokratische) Werte vermitteln, indem sie ihnen einen geschützten Raum bieten, um sich auszuprobieren und zu reifen. Natürlich ist der Job auch mit Herausforderungen verbunden, zunehmende Heterogenität, soziale Medien, Bürokratisierung, entgrenzte Arbeitszeiten und vieles mehr. Aber der Kern bleibt. Mit der richtigen Haltung und einem pädagogischen Ethos ist der Lehrberuf einer der schönsten der Welt, mehr als ein Beruf, eine Berufung.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum ich das aufgegeben habe, um Schulleiter zu werden. Dominik Schöneberg beschreibt in seinem Blog „Bildungslücken“ ausführlich warum er nicht Schulleiter werden will. Er nennt zum Beispiel die zu bewältigende Aufgabenflut, permanenten Zeitmangel, fehlende Unterstützung, Mangelverwaltung, ein enges Korsett und noch ein paar Punkte mehr. Da ist sicher etwas dran. Schulleiter müssen vieles gleichzeitig tun, für das sie nicht einmal ausgebildet wurden.


Ich bin Schulleiter geworden, weil ich etwas verändern will, weil ich eine Vision habe, wie Bildung im 21. Jahrhundert aussehen soll, wie sich Schule verändern muss, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden, um zu einem Ort des Lebens und Lernens zu werden, der Freude macht. Um das erreichen zu können, muss ich Schulleiter werden.
Was den Beruf als Schulleiter so attraktiv macht, ist nämlich die Arbeit mit Lehrkräften und mit Kindern, denn damit ist das Gefühl der Selbstwirksamkeit verbunden. Der Job des Schulleiters ist hochbedeutsam, Schulleiter können den Unterschied machen, ob eine Lehrkraft Resilienz entwickelt und selbst Wirksamkeit erfährt oder nicht. Schulleiter stabilisieren die Gesellschaft, indem sie Lehrkräften den Rücken stärken, indem sie ihnen einen geschützten Raum bieten, um sich auszuprobieren und Schule zu einem besseren Ort zu machen.
In meinem Selbstbild als Schulleiter ist es meine zentrale Aufgabe Schulentwicklung zu betreiben. Aber nicht, indem ich meine Ideen zu Vorgaben mache und deren Umsetzung erzwinge, das kann nicht funktionieren. Meine Aufgabe ist es einen Resonanzraum zu schaffen, in dem Schulentwicklung passieren kann, in dem ein Mindset des Ausprobierens in einer positiven Fehlerkultur entsteht, in dem Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern gemeinsam ihre Schule erschaffen. Wenn mir das gelingt, bin ich (selbst-)wirksam, dann bin ich zufrieden, dann kann ich auch Rückschläge und Enttäuschungen verkraften.


Und ja, ich würde es immer und immer wieder machen. Die Arbeit in der Schule, ist mit kaum einem anderen Beruf zu vergleichen, kaum eine andere Institution hat eine solche Wirkung auf unsere Gegenwart und unsere Zukunft wie die Schule. Das müsste uns allen eigentlich noch viel deutlicher bewusst sein.

Weitere Beiträge zur Blogparade:

Jan Martin Klinge auf Halbtagsblog:
https://halbtagsblog.de/2024/03/04/blogparade-3-morgens-nicht-recht-nachmittags-nicht-frei-vom-lehrberuf/.

Matthias Lausmann als Herr Mess:
https://herrmess.de/2024/03/14/edublogparade-folge-3/.

Tobias Schreiner „Gedanken aus der Schule“: https://tobias-schreiner.net/2024/03/25/was-macht-den-lehrberuf-so-attraktiv/.

Gastbeitrag von „Lehrer mit Bart“ auf Halbtagsblog: https://halbtagsblog.de/2024/03/25/gastbeitrag-zur-blogparade-3/.

Susanne Posselt: https://susanneposselt.de/mit-begeisterung/.

Arne Paulsen, „Die reine Leere“: https://reine-leere.de/edublogparade-2024-3/.

Christiane Schicke in: Neues aus dem Baumhaus – https://moewenleak.wordpress.com/2024/03/16/blogparade-3-morgens-nicht-recht-mittags-nicht-frei-haben-was-macht-den-beruf-der-lehrerin-noch-attraktiv/.

2024-07: Meine persönliche Bilanz der Didacta

KI, überall KI. Egal ob Startup oder Schulbuch-Dino, ohne KI geht (fast) nichts mehr. Das ist allerdings wenig überraschend, wie ich schon im Blog 2024-06 beschrieben habe. Auffällig war noch, dass es einige Stände mit VR-Brillen gab, es laufen ja schon Wetten, ob das Metaverse nächstes Jahr schon der neue „heiße Scheiß“ ist:


Wir werden sehen. Zu KI möchte ich Christian Vanell, zitieren, der messerscharf, differenziert und meiner Meinung nach korrekt folgendes beobachtet hat:


Unter dem Thread hat sich übrigens eine sehr spannende Diskussion entwickelt. Ich finde, dass „Quizzifizierung“ natürlich keine Lösung sein kann. Guter Unterricht in einer Kultur der Digitalität nutzt KI als Sparringspartner und Copilot für Lehrende und Lernende. Außerdem muss KI im Sinne des Dagstuhl-Dreiecks von der technischen Seite, der Anwenderseite und den gesellschaftlichen Implikationen her untersucht und bearbeitet werden. Nur so entstehen die nötigen Zukunftskompetenzen.
Die Didacta war ja schon in den letzten Jahren ein guter Spiegel des immer schnelllebigeren Edu-Marktes und wie bei den digitalen Displays und den damit verbundenen Anwendungen, bei Schulmessengern oder anderen digitalen Werkzeugen, wird auch bei den schulischen KI-Anwendungen bald ein Konsolidierungsprozess einsetzen. Ich wage mal zu behaupten, dass am Ende die Schulbuchverlage aufgrund ihrer Marktmacht und ihrer finanziellen Möglichkeiten als Sieger hervorgehen werden. Spannend bleibt, ob die „KI-Platzhirsche“ der „ersten Stunde“, wie Fobizz, Schul-KI oder der frisch prämierte Fiete ihre Eigenständigkeit bewahren können (und wollen). Die großen Verlage sind in jedem Fall gut beraten, neben digitalen Schulbüchern und den damit verbundenen Anwendungen, auch auf KI zu setzen.
Spannend ist auch die Inkorporation der Mobilen Schule in den Westermann-Verlag, der so sein Portfolio diversifiziert und damit Resilienz für die Zukunft aufbaut. Wie der aufgrund qualitativ hochwertiger Vorträge gut besuchte riesige Messestand der Mobilen Schule und natürlich auch die dortige Party am Freitag gezeigt haben, scheinen sowohl die Mobile Schule als auch der Verlag von dem Zusammenwachsen zu profitieren.
Eine hoffentlich nicht nur subjektive Beobachtung und ein außerdem hoffentlich positiver Trend war, dass mehr Schülerinnen und Schüler auf der Messe präsent waren, jedenfalls haben die Schülerinnen und Schüler meiner Schule eine großartige Präsentation gehalten und die Podiumsdiskussion mit dem Schüler Jonathan Bork, Michael Drabe und mir wurde durch Jonathans Konzept der hybriden Bildung bereichert.
Neben diesen eher progressiven Aspekten, zu denen auch Stände mit BNE-, SDG oder anderen Zukunftsthemen zählten, war auch immer noch eine deutliche Präsenz des letzten Jahrhunderts zu spüren: Bücher, Berge von Arbeitsblättern und natürlich die riesige Betzold-Tasche für Jäger und Sammler.
Am Ende ist die Didacta natürlich in erster Linie eine Messe, das heißt, es geht ums Verkaufen; schön ist aber dennoch, dass sich auch nicht kommerzielle Verbände und Institutionen, wie Ministerien und Datenschutz, präsentieren und es spannende Vorträge und Diskussionen gibt.
Für mich persönlich das Wichtigste ist jedoch das Netzwerken und das hat auch dieses Jahr wieder hervorragend funktioniert und ich freue mich, dass ich einige Menschen aus den sozialen Edu-Netzwerken endlich mal wieder oder auch zum ersten Mal „in echt“ treffen konnte.
Deshalb gilt mein besonderer Dank dem Didacta-Verband für die Einladung zu gleich zwei Podiumsdiskussionen mit tollen Gästen, der Mobilen Schule für die Party und all den Menschen, mit denen ich inspirierende Gespräche führen konnte, ich hoffe wir sehen uns nächsten Februar in Stuttgart!

Nachtrag nach Erscheinungsdatum:
Zur Ehrenrettung der Quizzification sei dieser Beitrag von Michale Drabe angeführt (Danke dafür!): https://schule-in-der-digitalen-welt.de/quiz/. Und die Forderung nach Evidenzbasierung ist angenommen!

Auch Christian Füller hat sich lesenswerte Gedanken zu KI, Schulbüchern und Elefanten gemacht: https://pisaversteher.com/2024/02/22/chatgptco-der-elefant-der-contentproduktion/.

2024-06: KI ist der Gamechanger in der Bildung


Vorbemerkung
Dieser Blogbeitrag betrachtet ein mögliches Zukunftsszenario. Wie das bei Projektionen in die Zukunft ist, kann man dabei furchtbar daneben liegen. Dennoch halte ich diesen Debattenbeitrag für wichtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir wieder mehr Diskurs, auch über Grundlagen, (nicht nur) im Bildungssystem brauchen und freue mich daher über Beiträge und Kommentare. Wir sehen doch, wie rasant sich die Welt verändert und erleben jeden Tag neue Dysfunktionalitäten im System, sodass es eigentlich geboten scheint, auch einmal die Systemfrage zu stellen und zu schauen, was wir anders und besser machen können. Es ist ja auch nicht so, dass es keine Beispiele gibt; es gibt Schulen, die anders, besser und erfolgreicher arbeiten. Warum nicht von diesen lernen?


Wer meine Beiträge in social media oder auf dieser Website verfolgt, weiß, dass ich seit Beginn des Hypes Ende 2022 ein Fan von Künstlicher Intelligenz (KI) bin. Ich habe zahlreiche Texte dazu gelesen, Videos gesehen und Podcasts gehört, ich habe mich vor allem mit KI in der Bildung auseinandergesetzt und selbst vorwiegend mit Sprach- und Bildmodellen experimentiert. Ich nutze ChatGPT+, die Fobizz-Tools, war Betatester von Fiete und nutze zahlreiche kostenlose Probetools.
Ich bin kein Informatiker und kein Mathematiker, kein KI-Evangelist und verdiene auch kein Geld damit.
Dennoch bin ich mittlerweile der festen Überzeugung, dass KI viele Bereiche unseres Lebens grundstürzend verändern wird. Der Bereich, von dem ich vermutlich am meisten verstehe, ist der der Bildung. Deshalb will ich mich in diesem Blogbeitrag mit dem Einfluss von KI auf den Bildungssektor auseinandersetzen.

Seit ich mich mit KI beschäftige habe ich das Bauchgefühl, eine Entwicklung mitzuerleben, die unsere Zukunft so stark verändert wie die industrielle Revolution oder eine der großen historischen Agrarrevolutionen. Verstärkt wurde ich in dieser Annahme zunächst, als Sal Khan in seinem TED-Talk am 1. Mai letzten Jahres „Khanmigo“, einen KI-Tutor, vorstellte. Letztlich überzeugt haben mich die Custom-GPTs von OpenAI, mit denen man mit wenigen Kenntnissen seine eigenen Chatbots prompten kann. Das habe ich erst kürzlich mit einem von mir geprompteten Geschichtstutor, der bei der Vorbereitung auf das hessische Geschichtsabitur unterstützt, wieder erfahren.


Diese KI-Tutoren können einen zentralen Teil der „klassischen“ Lehrarbeit übernehmen, indem sie Stoff, also Inhalte, vermitteln, durch Üben festigen und sogar den Lernerfolg überprüfen. Das Ganze können sie sogar für jede Lernerin und jeden Lerner individualisiert und mit einer Geduld, die keine menschliche Lehrkraft aufbringen kann. Diese Tools können Feedback geben, Aufgaben differenzieren oder komplexe Sachverhalte didaktisch reduzieren und so auf unterschiedlichen Niveaus vermitteln und das mittlerweile in allen Fächern.
In Verbindung mit einem modernen Lernmanagementsystem (LMS) und darin hinterlegten curricularen Inhalten und Kompetenzrastern, können Lernende so hochgradig individuell und selbstbestimmt ihre Lernprozesse organisieren.
Natürlich müssen sie dazu auf der Kompetenzebene befähigt und im Prozess begleitet werden.
Und da kommen die Lehrkräfte ins Spiel, deren Rolle sich grundlegend verändern wird. Sie sind jetzt schon kaum noch und dann gar nicht mehr die Hüter arkanen Wissens, dass sie in leere Schülerinnen- und Schülerköpfe trichtern. Sie werden in Zukunft wohl zu Begleitern von Lernprozessen und Coaches der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen, also wieder mehr zu Pädagogen im eigentlichen Sinne. Auch auf der Seite der Lehrkräfte werden begleitende KI-Tutoren Einzug halten, sie werden helfen Lernbegleitung zu gestalten, zu strukturieren, zu kommunizieren und zu evaluieren.
Diese Veränderungen machen Lehrkräfte keinesfalls überflüssig, im Gegenteil, sie verändern zwar deren Rolle grundlegend, schaffen aber eben auch Ressourcen, die in der aktuellen Entwicklung des Lehrkräftemangels mehr denn je gebraucht werden. Es wird dann wieder leichter, die nötigen Ressourcen für die Schülerinnen und Schüler bereit zu stellen, die sie dringend benötigen und es wird der Raum geschaffen die nötigen „Futureskills“ und eine Medienkompetenz für die Kultur der Digitalität zu entwickeln. Ergänzt durch AR- und VR-Anwendungen ergeben sich so völlig neue (teils hybride) Lernsettings, die ein neues Level von Bildung schaffen. Auch hier gilt, wie schon bei den vergangenen technologischen Modernisierungsprozessen in Schulen seit Beginn des Computerzeitalters, Lernprozesse werden anspruchsvoller und die Möglichkeiten vielfältiger.
Die „Klassischen“ Strukturen der Schule in Jahrgängen, Zweigen, Klassen und Fächern lassen die durch KI möglichen Potenziale kaum zu und sind eher hinderlich. KI wird also dazu führen, dass Schule und Lernen neu gedacht werden müssen. Und eigentlich ist das auch gut so.

Weitere spannende Beiträge zum Thema:

Stephanie Wössner: „Zukunft des Lernens: Die KI-Chance“ bei https://thefutureproject.de/content/zukunft-des-lernens-die-ki-chance/.

Yolanda Watson Spiva und Vistasp Karbhari: „OPINION: Why artificial intelligence holds great promise for improving student outcomes“ bei https://hechingerreport.org/opinion-why-artificial-intelligence-holds-great-promise-for-improving-student-outcomes/.

Prof. Olaf Köller im MoMa: https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/professor-koeller-zu-ki-in-schulen-100.html.

Ein wunderbarer Beitrag auf „Bildung Schweiz“: https://www.bildungschweiz.ch/detail/macht-kuenstliche-intelligenz-lehrpersonen-zu-lerncoaches.

Die Washington Post darüber, wie Sal Khans Khanmigo Schule und Lernen verändern wird „An ‘education legend’ has created an AI that will change your mind about AI“: https://www.washingtonpost.com/opinions/2024/02/22/artificial-intelligence-sal-khan/.

TeachingHero ist ein Startup zur KI-gestützten Generierung von Lernmaterial: https://www.lehrer-news.de/blog-posts/ki-im-klassenzimmer-teachinghero-die-zukunft-des-personalisierten-lernens.

Nele Hirsch und Joscha Falck haben eine Blogparade zu #KIBedenken gestartet, in der es viele interessante Impulse zu dem Thema gibt: https://joschafalck.de/blogparade-kibedenken/.

Der BR zeigt Vorteile der Nutzung von KI in der Schule: https://www.br.de/nachrichten/wissen/ki-an-der-schule-wie-laesst-sich-kuenstliche-intelligenz-sinnvoll-einsetzen,U9LDQ0l.

2024-05: Hybride Bildung

Hybrides Lernen ist mir spätestens seit dem phasenweisen Distanzunterricht während der Corona-Pandemie ein Begriff und ich habe mich damals intensiv damit auseinandergesetzt, habe digitale Fortbildungen besucht oder das Buch von Tim Kantereit gelesen. In dieser Phase ging es um ein vernünftiges Wechselspiel aus Präsenz- und Distanzunterricht.
Nach der Pandemie ist es dann für mich eher ruhig um das Thema geworden, bis ich Jonathan Bork kennengelernt habe (über Christian Füller, Twitter und auf dem PxP, andere Geschichte). Jonathan ist ein außergewöhnlicher Schüler, der ein eigenes Konzept für hybride Bildung entwickelt hat. Er hat mir klar gemacht, dass es bei hybrider Bildung um viel mehr als Unterricht in außergewöhnlichen Situationen gehen kann, nämlich um ein inklusives Modell für den Regelunterricht.


Zu Hybridunterricht in Zeiten der Pandemie wurde bereits viel geschrieben und geforscht. In der Summe hat sich dort gespiegelt, was wir über den Präsenzunterricht wissen, die Qualität hängt in erster Linie von der Lehrkraft ab, dann von den technischen Möglichkeiten und nicht zuletzt vom Unterrichtssetting und (virtuellem) classroom-Management.
Schauen wir uns zuerst die Ideen von Jonathan Bork an. Für Jonathan entscheiden Schule, Lernende und Eltern gemeinsam, ob eine hybride Beschulung von Schülerinnen oder Schülern an einer Regelschule in Betracht kommt. Ein gewisser Anteil der Schulzeit müsse weiter in Präsenz erfolgen. Profitieren könnten vor allem Kinder mit ADHS, Autismus etc., Mobbingopfer, hochbegabte oder kranke Kindern. Wichtig sei dafür vor allem eine digitale Lernplattform, die von den Lehrkräften mit Inhalten gefüllt werden müssten. Als Lösung für Schülerinnen und Schüler oder welche mit weiten Anreisen, schlägt Jonathan Studyhalls, also dezentrale Lernorte mit entsprechender technische Ausstattung, vor. In einer Stellungnahme für die Mitglieder des Ausschusses für Bildung im Landtag von NRW hat Jonathan die wichtigsten Aspekte noch einmal zusammengefasst und sich schon mit etlichen relevanten Akteuren der Bildungsszene ausgetauscht. In der Summe geht es ihm um gelingende Inklusion durch hybride Bildung.


Ausgehend von Jonathans Überlegungen beschäftigt sich auch der Schulberater Michael Drabe ausführlich mit hybriden Lernmodellen. Er geht dann weiter auf ein von einer Hochschulgruppe entwickeltes hybrides Prozessmodell ein, welches er grafisch so abbildet, Details dazu hier:


Sowohl das Modell von Jonathan Bork für die Schule, als auch die Ausführungen von Michael Drabe für Studenten, welches auch auf Schulen übertragen werden kann, verlangen von den Lernenden eine größere Autonomie und von den den Lernprozess Begleitenden einen stärkeren Fokus auf den Prozess, also die Kompetenzebene. Dabei ist zu beachten, dass der Prozess mit steigender Selbstlernkompetenz immer weniger Anleitung verlangt und immer mehr Autonomie ermöglicht, also genau das, was Lernprozesse im 21. Jahrhundert, die sich zum Beispiel an den „Futureskills“ oder dem OECD-Lernkompass orientieren, ausmacht. Michael Drabe betont dann weiter die Bedeutung des dialogischen Prozesses zwischen Lernenden und Lehrenden und die Notwendigkeit der permanenten Evaluation des Prozesses, außerdem nennt er acht Vorteile des hybriden Lernens (Funfact: Die acht Vorteile sind im Dialog mit KI entstanden).


Ich würde gerne noch einen dritten Aspekt in den Diskurs einbringen. Mein Punkt zur hybriden Bildung aus Sicht eines Schulleiters ist nämlich abschließend ein ganz pragmatischer. Hybrides Lernen kann, neben dem vermehrten Einsatz von Quer- und Seiteneinsteigenden (mein Blogbeitrag dazu), ein Beitrag zur Abfederung des beginnenden Lehrkräftemangels sein. Wenn den Lernenden durch vermehrtes hybrides Lernen ein autonomerer Lernprozess gelingt, verlieren die enge Steuerung von Lernprozessen und die klassische Instruktion an Bedeutung und Lernbegleitung oder Lerncoaching gewinnen an Bedeutung. Das schafft Ressourcen bei den Lehrkräften, die diese dann dazu verwenden können Lernende, die einen erhöhten Begleitungsbedarf haben, intensiver zu begleiten und mehr auf pädagogische Aspekte und Lernprozesse zu fokussieren. In Verbindung mit vernünftigen digitalen Lernmanagementsystemen entstehen so neue Lernformen, die den individuellen Bedürfnissen in der zunehmend heterogenen Schülerinnen- und Schülerschaft deutlich besser gerecht werden können.
Die Alemannenschule in Wutöschingen hat diese „Benefits“ zum Beispiel schon in Teilen umgesetzt. Lernende, die im dortigen Graduierungssystem die höchste Stufe erreicht haben, können Teile ihrer Lernprozesse zuhause gestalten, natürlich immer wieder angebunden an regelmäßige Gespräche mit ihren zuständigen Lerncoaches.
Denkbar sind dann außerdem Lernsettings, bei denen Lehrkräfte Teile ihres Jobs von zuhause, im Homeoffice, erledigen können, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöht.
Um diesen Autonomiegewinn der Lernenden und den damit verbundenen Changeprozess im Mindset der Lehrenden umzusetzen, bedarf es allerdings noch großer Anstrengungen. Ich meine aber, dass sich diese Anstrengungen lohnen, zumal die Alternative in Zeiten des Lehremangels der Ausfall ist.

Fazit
Die Beschäftigung mit hybrider Bildung bietet auf drei Ebenen entscheidende Vorteile:
1. Sie bietet die Chance für eine deutlich bessere Inklusion
2. Sie fördert die Autonomie der Lernenden und ist zukunftsfähig
3. Sie trägt zur Kompensation des Lehrkräftemangels bei.
Es lohnt sich also in jeden Fall, sich damit auseinander zu setzen. In diesem Sinne freue ich mich sehr auf die Diskussion mit Jonathan Bork und Michael Drabe zu diesem Thema auf der Didacta!


Die Bilder zu diesem Beitrag sind mit DALL-E4 generiert und sollen verschiedene Formen hybrider Bildung illustrieren.

2024-04: Auseinandersetzung mit dem Manifest des Bildungsrates – als Teil einer „Blogparade“

Mehr Vielfalt im Lehrerzimmer!

Quereinstieg ist eine Lösung

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt.

Der Bildungsrat von unten hat am 30.01.24 seine „Stellungnahme zum Fachkräftenotstand an Schulen und zu den von der SWK vorgelegten Empfehlungen“ veröffentlicht! Der Bildungsrat von unten geht auf eine Initiative von Susanne Posselt, Bob Blume, Philipp Dehne und Mark Rackles zurück. Er sieht sich als Bottom Up-Alternative zur KMK und setzt sich für die Vernetzung von Menschen aus der Bildungspraxis ein, die Reformvorschläge unterbreiten. Mittlerweile sind über 1.100 Menschen dort aktiv. Ich bin einer davon und konnte den Entstehungsprozess des Papieres begleiten, zugegeben eher passiv, kann aber versichern, dass es eine beeindruckende Leistung ist. Über 1100 Personen, vorwiegend Lehrkräfte, haben in einem exakt einjährigen Prozess in verschiedenen Arbeitsgruppen und Plenen diskutiert, formuliert, moderiert und abgestimmt und am Ende ist tatsächlich eine Reihe konkreter Forderungen entstanden.
Ich möchte mich für die Blogparade gerne schwerpunktmäßig mit Punkt 3, „Den Quereinstieg als zweiten regulären Zugang zum Lehramt mit bundesweit einheitlichen Standards verstetigen!“ beschäftigen, der wiederum eng mit den meisten anderen Punkten des Manifests zusammenhängt. Wir PoWi-Lehrkräfte glauben ja immer an Interdependenz.
Warum genau dieser Punkt? Einmal, weil er mich als Schulleiter im Moment sehr beschäftigt und dann, weil ich Ende des Monats zu diesem Thema in einer Podiumsdiskussion auf der Didacta sitze und mich so darauf vorbereiten kann; so etwas nennt man dann wohl einen Synergieeffekt.
Für mich ist Fakt, dass wir mehr Quer- und SeiteneinsteigerInnen in der Schule brauchen werden. In der Grundschule und in Mangelfächern ist das ja schon lange der Fall.

Das Lehrerzimmer ohne Quer- und Seiteneinsteiger.

„Der Quer- und Seiteneinstieg in das Lehramt ist seit einigen Jahren gelebte Praxis und effektiver Lückenfüller in Zeiten des Lehr- und Fachkräftedefizits. Der Quereinstieg mit Vorbereitungsdienst (hier so verstanden als Abgrenzung zum sog. Seiteneinstieg als Direkteinstieg ohne Vorbereitungsdienst in den Schuldienst) ist seit zehn Jahren von der KMK als Sondermaßnahme im Bereich der allgemeinen Bildung zugelassen.“ So beginnt dieses Kapitel des Manifests (S. 15).
Wie so oft, lässt sich beim Quereinstieg in das Lehramt kein konsistentes Konzept erkennen, schon gar nicht bundesweit. Für Hessen gibt es immer wieder Quereinstiegsprogramme für bestimmte Mangelfächer. Die Regularien sind kompliziert und es kann sein, dass an der Uni Scheine nachgemacht werden müssen oder/und ein (Teil-)Vorbereitungsdienst absolviert werden muss, an dessen Ende ein Staatsexamen steht, welches zu einem regulären Lehramtsabschluss führt. Diese Fälle sind eher selten, ich kenne wenige.
Das hier diskutierte Manifest geht dann darauf ein, dass die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK (SWK) die Qualifikation der Quereinsteiger an die Universitäten binden will und fordert hier eine stärkere Einbindung der Landesinstitute und Institutionen der 2. Phase der Lehrkräfteausbildung (Zu den Phasen der Lehrkräftebildung: https://lehramtswiki.uni-due.de/index.php/Phasen_der_Lehrerausbildung). Ich denke, dass die Universitäten keine geeigneten Orte sind, es sei denn, es geht tatsächlich um rein fachliche Nachqualifizierungen und selbst da habe ich Zweifel. In Hessen gehören die Universitäten zu einem anderen Ministerium als die Schulen und die professorale Autonomie führt dazu, dass das Lehramt gerne belächelt wird und hinter die „echte“ Wissenschaft zurücktreten muss. So habe ich es selbst in meiner Studienzeit erlebt (Ja, ich weiß: Anekdotische Evidenz). Die Studienseminare in der 2. Phase der Ausbildung können hier eine Rolle spielen, noch besser geeignet sind aber, meiner Meinung nach, die Schulen als Orte der Praxis selbst. Dieser Aspekt fehlt leider im Manifest. Und natürlich fehlen dafür die Ressourcen an den Schulen, aber die könnte man ja schaffen (vgl. Fazit).

Häufiger als zum Quereinstieg kommt es zum Seiteneinstieg, der nicht mit einer berufsbegleitenden Qualifikation verbunden ist, zunächst in befristeten Beschäftigungsverhältnissen stattfindet und deutlich schlechter bezahlt wird. Da verdienen dann Menschen mit Abschlüssen an renommierten Universitäten ein unterdurchschnittliches Gehalt. Das muss man wirklich wollen. Hessen hat den Verdienst mittlerweile etwas angehoben, aber der Abstand zu regulären Lehrkräften ist immer noch groß. Außerdem gibt es keine Aufstiegsmöglichkeiten. Daher bleibt festzuhalten, dass der Seiteneinstieg in der Regel mit finanziellen Opfern einhergeht. Dennoch gibt es mehr Seiten- als Quereinsteiger, was vermutlich an den wenigen Programmen für den Quereinstieg liegt und dies auch nur bestimmte Fächer betrifft, die ohnehin zu wenig studiert werden.:
„Die quantitative Entwicklung des Quereinstiegs hat angesichts des Mangels an Lehrkräften in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die SWK geht davon aus, dass knapp 10 % der Neueinstellungen Seiteneinsteigerinnen sind und 4-5 % Quereinsteigerinnen. In einzelnen Ländern liegt der Anteil der quereinsteigenden sogar über 50 %.“ heißt es in dem Manifest (S.15)
Man kann den Seiteneinstieg natürlich kritisch sehen, es fehlt ja in der Regel die pädagogische und didaktische Qualifikation. Und dennoch gibt es herausragende Beispiele für erfolgreiche Seiteneinstiege. (Genauso wie es Beispiele für Lehrkräfte mit voller Ausbildung, Seiten- und Quereinsteiger gibt, die dann doch auf Dauer nicht für den Job geeignet sind). Auch für Lehrkräfte gibt es übergeordnete Kompetenzen und Haltungsfragen, die eine gute Lehrkraft ausmachen und die sich nur begrenzt in der Lehrkräfteausbildung vermitteln lassen. Ich rede hier zum Beispiel von einer außerordentlichen Fähigkeit zur Selbstreflexion und einem adultismusfreien Menschenbild um auf der Beziehungsebene mit den Schülerinnen und Schülern in Resonanz treten zu können. Erst dann können eigentlich Lernen und Bildung stattfinden und das ist eine hohe Kunst, bei der auch Talent, eine Fehlerkultur und ein internalisiertes Growth Mindset eine Rolle spielen. Das sind auch Dinge, die man nicht abprüfen kann, die man nicht anordnen kann und die man nicht mal eben implementieren kann. Dafür bedarf es konzertierter und orchestrierter, langwieriger Change-Prozesse.
Manche Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger bringen solche Fähigkeiten aber mit und können ganz schnell wertvolle Mitglieder einer Schulgemeinschaft werden. Wie soll das System mit denen umgehen? Welche Perspektiven können solche Menschen haben? Kettenverträge und dann eine Entlohnung deutlich unter der der Kolleginnen und Kollegen? Nachstudieren und ein Referendariat machen, auch wenn man schon im fortgeschrittenen Alter ist oder schon ein Studium auf hohem Niveau absolviert hat, was aber nicht in den schulischen Fächerkanon passt?
Hier sehe ich ein individuelles Training on the Job als einzig sinnvolle Lösung und dafür braucht es fähige Personen aus den Kollegien vor Ort, die die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung haben (Vgl. Fazit).

Training von Quer- und Seiteneinsteigern in der Schule

Um sowohl Quer- als auch Seiteneinsteigende sinnvoll in die Berufspraxis einzuführen und fachlich, pädagogisch und didaktisch nachzuqualifizieren bedarf es also mehr Ressourcen und da sind wir bei den eingangs erwähnten Interdependenzen mit den anderen Forderungen des Bildungsrates von unten.

Zum einen hilft es das Angebot an Fachpersonal in Schulen zu erhöhen (Forderung 2). Mehr Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Fachkräfte für Psychologie und Medientechnik, Verwaltungsassistenzen und Laborhilfen, IT-Kräfte oder medizinisches Personal und andere Fachleute könnten die Lehrkräfte im Kerngeschäft entlasten und gleichzeitig für einen Professionaliserungsschub in Schule sorgen. Dieses Personal könnte dann durchaus auch Funktionen in der Lehre erfüllen. Eine Gesundheitsfachkraft kann Suchtprävention, sexuelle Aufklärung oder Ernährungslehre einbringen, eine IT-Kraft kann ein freiwilliges Angebot zum „Computerschrauben“ machen oder in der Informatik mitarbeiten und eine Psychologin oder ein Psychologe kann Resilienztrainings durchführen usw. Der Fantasie sind da praktisch kaum Grenzen gesetzt, wenn Schule bereit ist sich dahingehend zu öffnen und ihr die nötigen Mittel an die Hand gegeben werden.

Mehr andere Professionen ins Lehrerzimmer!

Zusätzlich muss die Stundentafel auf den Prüfstand und entschlackt werden (Forderung 6). Die curricularen Inhalte und die zu unterrichtenden Fächer und damit Stunden haben eine Tendenz zur Vermehrung; zum Beispiel Blockflöte und Digitale Welt in Hessen oder mehr Deutsch und Mathe in bayerischen Grundschulen. Dazu noch Berufsorientierung mit immer mehr Praktika, soziales Lernen, Sucht- und Gewaltprävention und vieles mehr und, ach ja, natürlich auch Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie und Chemie, Latein und Englisch, Religion und Kunst, Musik und Sport, vielleicht auch noch Wirtschaft, Recht, Philosophie, Japanisch, Polnisch und was weiß ich. Das sind alles tatsächliche Fächer und Aufgaben von Schule. Dazu kommen dann ja noch die ganzen immer wieder diskutierten Wunschfächer wie Glück, Steuern, Mietvertrag oder Haushaltskasse. Sind wir mal ehrlich, das ist doch Unfug. Wir brauchen in den Schulen weniger Inhalt, viele Inhalte lassen sich mit den modernen Medien in einer Kultur der Digitalität erschließen, wenn die Schülerinnen und Schüler eben dieses Erschließen in selbstständigen Lernprozessen erlernt haben. Darauf müssen wir den Fokus richten. Lehrende müssen weg von der reinen Instruktion und hin zu mehr (Lern-)Coaching. Die aktuellen Fächer und ihre Inhalte werden den komplexen Herausforderungen und Zusammenhängen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht. In welchem Fach soll denn zum Beispiel Grundlagenwissen zum Klimawandel oder zu Künstlicher Intelligenz unterrichtet werden? Und ab welchem Alter? Mit welchem Prüfungsziel? Bei Fächern und Inhalten ist weniger mehr: Weniger statisches Wissen, dafür mehr Prozesswissen und mehr Kompetenzorientierung.

Letztlich muss die Arbeit an Schulen wieder mehr Wertschätzung erfahren und dadurch attraktiver werden (Forderung 9). Das kann dann gelingen, wenn endlich wieder deutlich gemacht wird, dass den Schulen für die Gestaltung der Zukunft eine bedeutende Rolle zukommt. In einer VUCA-Welt ist es unerlässlich Zukunftskompetenzen zu erlangen und resilient zu werden. Es ist wichtig Demokratie und Anerkennung einzuüben und nachhaltige Entwicklung zu verstehen. All das kann Schule leisten, wenn man sie lässt. (Vgl, dazu die Newsletter 02 und 08 auf dieser Homepage)

Fazit
Wir müssen jetzt handeln, um später davon profitieren zu können. Wir müssen jetzt Inhalte entschlacken und daraus Ressourcen generieren um hinreichend Quer- und Seiteneinsteigende verschiedener Professionen in das System Schule zu integrieren, mit denen wir dann gemeinsam die Schule und das Lernen der Zukunft gestalten können. Es geht dabei mitnichten um eine Deprofessionalisierung von Schule und Lehrkräften! Im Gegenteil, die Profession der vorhandenen Lehrkräfte ist wichtiger denn je.
Weniger von dem, was wir bisher hatten, führt dann zu mehr von dem, was wir in Zukunft benötigen. Wenn es sein muss, müssen wir dafür unter Umständen jetzt Stunden kürzen, auch bei den Hauptfächern, nur so können wir dringend benötigte Ressourcen zur Schulentwicklung generieren, die uns zukunftsfähig macht.
Das wird uns alles nur mit ausreichend qualifizierten Quer- und Seiteneinsteigenden gelingen, die die Chance haben als gleichwertige Lehrkräfte in den Schuldienst integriert zu werden!

In der Schule der Zukunft.

Anmerkung: Der Text ist wirklich handgeschrieben, die Bilder sind mit DALL-E generiert und natürlich ist nicht intendiert Quer- und Seiteneinsteiger als Tiere zu bezeichnen. Die Integration der doch eher sympathischen Tiere in die Lehrerzimmer soll schlicht und einfach etwas erheitern und den langen Text auflockern.

Ergänzende Anmerkungen zur Lehrkräftearbeitszeit:
Da sich die anderen BloggerInnen der Parade auf das Thema Arbeitszeit konzentrieren, hier eine kurze Ergänzung dazu von mir:
Viele Aspekte, die Kontroversität und die Schwierigkeiten bei der Messung von Arbeitszeit von Lehrkräften können in den verschiedenen Blogbeiträgen zur Blogparade nachgelesen werden (siehe unten).
Einen unpopulären Aspekt möchte ich noch ergänzen. Eine wirklich umfassende und exakte Erfassung der Arbeitszeit würde vermutlich große Ungleichheiten innerhalb der Kollegien ergeben, die sich aus der Fächerkombination und dem über den Unterricht hinausgehenden Engagement ergeben. Dazu kommen noch Lebensabschnittsbedingte Disparitäten und mögliche Karriereambitionen. Das birgt enormes Konfliktpotenzial, allerdings gibt es wohl in jedem Beruf „High- und Low-Performer“.
Letztlich lässt sich bei den meisten Berufen, abgesehen vielleicht von der Fließbandarbeit, eine rein am Output orientierte Erfassung von Arbeitszeit und Leistung nicht sinnvoll realisieren.
Dennoch, wer diesen Aspekt sinnvoll zu Ende diskutieren will, muss letztendlich auch über den Beamtenstatus diskutieren, aber das wäre dann vielleicht mal ein schönes Thema für eine andere Blogparade.
Ich habe mich im Rahmen eines Newsletters noch einmal intensiver diesem Thema gewidmet: https://www.schulmun.de/2024/02/22/newsletter-10-23-02-2014/.

Nach Veröffentlichung erfolgte Ergänzungen zum Thema:
Ein Beitrag der Telekom-Stiftung zur Notwendigkeit von Quer- und Seiteneinsteigenden im MINT-Bereich: https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/MINT-Personal%20an%20Schulen_Zusammenfassung.pdf.

Weitere Beiträge zur Blogparade:
Die weiteren Beiträge befassen sich bisher fast alle mit der Arbeitszeit von Lehrkräften, daher habe ich einen kurzen Abschnitt dazu in meinem Beitrag oben ergänzt.

Jan Martin Klinge auf Halbtagsblog:
https://halbtagsblog.de/2024/02/04/blogparade-2-arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/.

Gastbeitrag von „Lehrer mit Bart“ auf Halbtagsblog:
https://halbtagsblog.de/2024/02/10/arbeitszeiterfassung-gastbeitrag/.

Thomas Kuban auf Kubiwahn:
https://www.kubiwahn.de/2024/02/arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/.

Die reine Leere:
https://reine-leere.de/lehrerarbeitszeit-gemessen-statt-gefuehlt-edublogparade-2/.

Matthias Lausmann auf Herr Mess:
https://herrmess.de/2024/02/10/edublogparade2024-runde-2-arbeitszeiterfassung-fuer-lehrkraefte/#comments.
Mit einer Ergänzung:
https://herrmess.de/2024/03/02/lehren-aus-runde-2-der-edublogparade-2024-working-hours-workload/.

Timo Off:
https://www.timo-off.de/2023/eigentlich-keine-arbeitszeiterfassung-aber/.

Susanne Posselt:
https://susanneposselt.de/vom-wert-der-zeit/.

Fengler Schule:
https://fengler.schule/?p=75.

Christiane Schicke:
https://moewenleak.wordpress.com/2024/02/11/blogparade-2-arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/.

Tobias Schreiner:
https://tobias-schreiner.net/2024/02/17/arbeitszeiterfassung-in-der-schule/.

Kristina Wahl als „die Frau mit dem Dromedar:
https://diefraumitdemdromedar.de/arbeitszeiterfassung-in-der-schule/.

Es gibt noch einen Beitrag von Julius Becker zum Thema „Stundentafel entschlacken“:
https://monsieur-becker.de/2024/stundentafel-entschlacken/.

2024-03: Mehr KI in die Schule die 2.

Ich habe im November gefordert, dass Lehrkräfte sich mehr mit KI beschäftigen müssen und will diese Forderung heute noch einmal bekräftigen.
Warum? Weil die befürchtete Heterogenität zwischen Bundesländern, Schulen, Lehrkräften und Lernenden immer noch weiter zunimmt und weil unser Bildungssystem droht abgehängt zu werden.
Es gibt Bundesländer mit Landeslizenzen für Fobizz oder Fiete, es gibt Bundesländer mit Handreichungen und solche mit Testschulen. Was es nicht gibt, ist eine erkennbare Strategie und schon gar keine nationale.
Frau Professorin Doris Weßels, eine der dezidiertesten Expertinnen zu KI in der Bildung, von der Fachhochschule Kiel hat bei der Anhörung zu KI im Bildungsausschuss des Bundestages im Mai 2023 eine Taskforce KI auf höchster politischer Ebene und verpflichtende Fortbildungen für alle Lehrkräfte gefordert. Zahlreiche Experten aus zahlreichen Bereichen sind sich einig, dass KI Bildung fundamental verändern wird. Wenige Experten sehen das anders. Andreas Schleicher von der OECD hat kürzlich in einem nicht unumstrittenen Interview die meiner Meinung nach richtige Forderung aufgestellt, dass sich Lehrkräfte diesen Entwicklungen nicht verschließen können und bessere Unterrichtskonzepte entwickeln müssen. Er fordert in dem selben Interview aber auch, dass Lehrkräfte dafür entlastet werden müssen, am besten durch Bürokratieabbau.
Sicher gibt es berechtigte Bedenken bezüglich des Datenschutzes oder des Bias, den KI erzeugt, aber selbst die SWK der KMK fordert die Nutzung von KI an Schulen und mehr Mut und eine neue Fehlerkultur in einem Impulspapier.

Was braucht es noch, dass wir uns endlich aufmachen, die Schulen ins 21. Jahrhundert zu führen? Der Prozess der Digitalisierung muss endlich in allen Schulen zu einem Ende kommen und in eine Kultur der Digitalität münden, in der moderne Hard- und Software eine angemessene Rolle spielen. Nicht alles was geht muss digitalisiert werden, aber alles was Sinn macht. Digitale Endgeräte und Werkzeuge müssen endlich als Chance begriffen werden. Sie sind weder gut noch böse, sie verhindern und ermöglichen per se kein Lernen. Das entscheidende ist die Art der Anwendung und das ist uraltes pädagogisches Kerngeschäft. Wir müssen darüber reden, wie wir die Nachteile und Gefahren von KI im Unterricht aufarbeiten und integrieren, nur so entstehen kritisches Denken und Bildung für das 21. Jahrhundert. Das sind Fragen der Didaktik und Methodik. Darüber müssen wir reden, nicht darüber, ob wir uns überhaupt damit auseinandersetzen oder wann wir uns wie auf den Weg machen.
Wir sind schon auf dem Weg. Schülerinnen und Schüler nutzen digitale Endgeräte selbstverständlich und KI zunehmend als Werkzeug. Die Industrie integriert KI in Produktionsprozesse und Produkte. Wir sind umgeben von einer zunehmenden Kultur der Digitalität. Wie soll sich Schule da ausnehmen?
Wenn wir uns an den Schulen nicht gemeinsam mit der ganzen Schulgemeinschaft, ja mit dem ganzen Land, gestaltend auf den Weg machen, wird KI über uns kommen und wir werden ihr ähnlich ratlos gegenüber stehen, wie wir es bei social media im Grunde schon tun. Die Entwicklungen sind so rasant, dass wir eigentlich keine Zeit mehr haben aufzubrechen. Ein Beispiel: Ich glaube, dass in diesem Jahr die ersten KI-Speech to Speech-Übersetzungstools kommen werden (vgl. z.B. bereits jetzt Heygen). Was bedeutet das für den Fremdsprachenunterricht? Bereits jetzt gibt es zahlreiche Tools zur Verbesserung von Hausaufgaben und Hausarbeiten (vgl. z.B. Peer). Was bedeutet das für unsere Notengebung und Prüfungskultur?

Noch einmal: Wir müssen uns jetzt mit KI in der Schule beschäftigen! Zur Not müssen wir, um das bewältigen zu können, ernsthaft darüber nachdenken, Teile von Fächern und bürokratische Akte zu streichen. Jede Woche, jeder Monat, den wir länger warten, wird uns in Zukunft umso mehr Anstrengung kosten.

2024-02: Die Rolle von Schule in der Gesellschaft

Wenn wir über Bildungspolitik diskutieren, geht es in der Regel um solche Schlagworte wie Schulformen, Bildungskanon, Vorbereitung auf den Beruf, Leistungsvermögen, Kompetenzen und so weiter.
Diese Diskussionen sind wichtig, verdecken aber eine viel wichtigere Diskussion, die gerade jetzt wieder mehr in den Vordergrund treten sollte:
Welche Rolle soll Schule bei der Reproduktion von Herrschaft in unserer Gesellschaft spielen?

Schule ist, neben dem Elternhaus und der Peer-Group, die zentrale Sozialisationsinstanz für die Gesellschaft. Die Lehrkräfte, deren Haltung und die curricularen Inhalte prägen nahezu alle Kinder und Jugendlichen, weil diese alle eine Schule besuchen müssen und dort viel Zeit in einer Phase verbringen, in der sich ihre Persönlichkeit formt. Die Rolle von Lehrkräften und das Klima in Schulen können also bei Sozialisationsprozessen kaum unterschätzt werden.
Ich fürchte, dass dieser Aspekt leider zu Gunsten der Stoffvermittlung allzu oft in den Hintergrund tritt. Ich halte das sogar für gefährlich.
Schule war schon immer die zentrale Instanz zur Reproduktion von Herrschaft. Der Beginn des öffentlichen Schulwesens und der damit verbundenen Schulpflicht diente dem viktorianischen Großbritannien zur Produktion von Verwaltern des Empires oder den Preußen zur Organisation des Militärs. Unter den Nationalsozialisten, wie eigentlich in allen Diktaturen, wurde schon die Grundschule genutzt um die Nazi-Propaganda mit dem Ziel der „Gleichschaltung“ früh in den Köpfen zu verankern. Die DDR hat über Zugänge zu höheren Bildungsgängen ideologische Treue belohnt und Subversion durch Verweigerung dieser Zugänge bestraft.
Als Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus haben sich die deutschen Bundesländer Verfassungen und Schulgesetze gegeben, die den Auftrag der Schulen an die Grundsätze der Humanität und der Demokratie gebunden haben.
In Artikel 56, Abs. 4 und 5 der Hessischen Verfassung heißt es zum Beispiel:

(4) Ziel der Erziehung ist, den jungen Menschen zur sittlichen Persönlichkeit zu bilden, seine berufliche Tüchtigkeit und die politische Verantwortung vorzubereiten zum selbständigen und verantwortlichen Dienst am Volk und der Menschheit durch Ehrfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit.
(5) (…) Nicht zu dulden sind Auffassungen, welche die Grundlagen des demokratischen Staates gefährden.

Quelle.

Das klingt zwar etwas altbacken, aber die Idee dahinter ist klar: Verantwortung gegenüber der Menschheit, Nächstenliebe, Rechtlichkeit, Wahrhaftigkeit und die Verteidigung der Grundlagen des demokratischen Staates. Das ist der vornehmste und wichtigste Auftrag von Schule in der Gesellschaft!
Dort steht nichts von Infinitesimalrechnung, vom Ohmschen Gesetz, ja nicht einmal von Rechtschreibung. Das ist sicher auch alles richtig und wichtig, aber noch wichtiger ist es, gerade jetzt, die Kinder und Jugendlichen zu Trägerinnen und Trägern und zu Verteidigerinnen und Verteidigern unserer Demokratie und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu machen. Wir müssen sie außerdem zu einem humanen und verantwortungsvollen Miteinander untereinander und gegenüber unserem Planeten bilden. Auch das ist der vornehmste und wichtigste Auftrag von Schule in der Gesellschaft!
Leider sind diese vornehmen und wichtigen Ziele im Zuge der Debatten um Leistung und im Rahmen der zunehmenden Ökonomisierung der Gesellschaft in den Hintergrund getreten. Gerade jetzt ist aber die Zeit, diese Debatten wieder in den Vordergrund zu rücken. Unsere menschlichen Errungenschaften und unsere Demokratie geraten zunehmend unter Druck und werden von Feinden der Demokratie und der Menschlichkeit herausgefordert. Wir Lehrkräfte müssen uns dem mit all unserer Kraft entgegenstellen und alles daran setzen, wenigstens die nachfolgenden Generationen zu befähigen, mit einer Welt zurecht zu kommen, die in vielerlei Hinsicht herausfordernder wird.
Das wird uns mit einem „weiter so“ nicht gelingen. Dafür bedarf es neuer Mittel und Wege, dafür bedarf es Kinder, die bereit sind ihre Energie in ein globales Miteinander zu stecken, die bereit sind Gewohnheiten in Frage zu stellen und Verhaltensweisen zu verändern.
Es ist unsere Aufgabe als Lehrkräfte sie dazu zu befähigen und der müssen wir vor allem anderen gerecht werden. Wenn wir das wollen, müssen wir anfangen Schule und damit unsere Welt zu verändern. Wir sollten in der Schule den Anspruch haben nicht nur die bestehende Gesellschaft zu reproduzieren, sondern eine bessere Gesellschaft zu schaffen, natürlich nicht im Sinne einer wie auch immer gearteten ideologischen Indoktrination, sondern im Sinne unserer oben zitierten Verfassung und im Sinne unseres Grundgesetzes. Wir müssen schon in der Schule echte Demokratie und würdevolle Menschlichkeit in der gesamten Schulgemeinschaft üben und leben. Jeden Tag!

Nachträge nach Veröffentlichung

Der Deutsche Bildungsserver bietet eine Blogseite mit zahlreichen Anregungen und Beiträgen zum Themenkomplex Demokratie und Bildung:
https://blog.bildungsserver.de/category/themen/demokratie-und-bildung/.