Liebe Schulgemeinschaft,
wir hatten neulich einen Pädagogischen Tag unter dem Motto „einfach bewegen(d)“, den ich in mindestens zweierlei Hinsicht bemerkenswert fand. Leider konnte ich wegen einer Schulleiter-Dienstversammlung am Nachmittag nicht mehr teilnehmen, mir wurde aber berichtet, dass in den Arbeitsgruppen gute Ideen zur Weiterarbeit entwickelt wurden.
Bemerkenswert fand ich zum einen, das ist allerdings fast eine Binsenweisheit, dass noch einmal klar wurde, dass Bewegung Lernprozesse und Konzentration fördert. Gut war, dass das noch einmal mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen unterfüttert wurde. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich bei meinen Kindern nun anders auf den Bewegungsdrang während der Hausaufgaben schaue, womit ich beim zweiten und bemerkenswerteren Punkt wäre.
Als professionelle Lehrkräfte und Pädagogen sind wir reflektierte Praktikerinnen und Praktiker, das heißt, wir müssen unsere professionellen Haltungen immer wieder in Frage stellen. Dies wurde besonders deutlich, als in der Keynote gezeigt wurde, welche Settings in Klassenräumen modern und bewegungsfördernd sind. Darin steckt natürlich auch die implizite Botschaft, dass permanenter instruierender Frontalunterricht mit Reihenbestuhlung nicht sonderlich sinnvoll ist. Wir brauchen stärker individualisierte Lernformen und müssen noch mehr Wert auf den Lernprozess, also auf Kompetenzentwicklung und Feedbackprozesse legen. Deutschland ist bei der Entwicklung einer modernen Lernkultur in den letzten Jahrzehnten und im Vergleich zu vielen anderen Ländern zunehmend ins Hintertreffen geraten und das können wir uns eigentlich nicht leisten, weil Bildung ja unsere wichtigste, vielleicht sogar einzige, zukunftsfähige Ressource ist.
Ich wünsche mir, dass wir an der Weibelfeldschule weiter entschlossen den Weg einer zukunftsfähigen professionellen pädagogischen Haltung gehen. Ich bin zwar erst knapp 1 1/2 Jahre an unserer Schule, mir ist aber schon positiv aufgefallen, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen professionelle pädagogische Praktiker sind, die bereit sind, sich weiterzuentwickeln und sich veränderten Bedingungen anpassen wollen und können. Das ist etwas, was viele Gesamtschulen auszeichnet, aber meiner Meinung nach bei uns besonders stark in unserer DNA verankert ist. Das ist eine Stärke, die es weiter zu stärken gilt.
Was wir dafür brauchen, ist ein analytischerer Blick auf die Prozesse und Ergebnisse unserer Arbeit. An verschiedenen Stellen wurde und wird immer wieder festgestellt, dass Deutschland im Bereich der evidenzbasierten Schul- und Unterrichtsentwicklung hochgradig defizitär ist. Wir pflegen schulisches und unterrichtliches Handeln aus Traditionsgründen und wider jegliche Evidenz (Sitzenbleiben, frühe Selektion, Hausaufgaben usw.); in all diesen Bereichen müssen wir beginnen unsere Haltung zu hinterfragen und Veränderungsprozesse einleiten.
John Hattie hat in einem Interview in der FAZ (https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/lehrer-muessen-den-schuelern-mehr-rueckmeldungen-geben-110123306.html, leider Bezahlschranke) neulich gesagt: „Das Lehrerkollegium habe die Lernentwicklung aller Schüler zu analysieren und die geeigneten Schritte zur Förderung zu bestimmen. Schulleiter sollten sich durch unangekündigte Unterrichtsrundgänge regelmäßig einen Eindruck über das Lernen und Lehren verschaffen“. Darin steckt genau das. Mit „analysieren“ meint er die Schaffung einer validen und evidenzbasierten Basis für die Entwicklung von Kompetenzen der Lernenden. Außerdem ist er der Überzeugung, dass es dafür eine Schulleitung braucht, die diese Prozesse professionell begleitet und auch wertschätzend überprüft. Mir ist klar, dass wir im Moment noch in einer Schulkultur leben (nicht nur bei uns, sondern landesweit), in der unangekündigte Unterrichtsbesuche des Schulleiters angstbesetzt sind und als Affront aufgefasst werden, ich würde mir aber wünschen, dass sich das ändert, dass Hospitationen, nicht nur durch den Schulleiter, sondern kollegial, zum Normalfall würden und als Lernchance durch professionellen Austausch gesehen werden. Auch ich sehe mich als professionellen evidenzorientierten Praktiker, der permanent an seinem Handeln und an seiner Haltung arbeitet, ich bin offen für Feedback und konstruktive Kritik. Im Buch „Der tanzende Direktor“ von Verena Friederike Hasel wird beschrieben, dass in Neuseeland die Klassenzimmer immer offen für Eltern und das Kollegium sind, dort wird die wiederkehrende Schulinspektion freudig empfangen, weil man sich so über Innovationen für den Unterricht austauschen kann und wertschätzendes Feedback zum eigenen unterrichtlichen Handeln erhält. Eine solche Schul- und Lernkultur würde ich mir auch für unser Land wünschen.
Wenn ich die aktuellen Studienergebnisse aus ICILS oder dem Schulbarometer (vgl. Links unten unter „Interessantes“) betrachte, in denen deutlich wird, dass unsere Schülerinnen und Schüler viel zu wenig Medienkompetenz besitzen und Schule und den damit verbundenen Druck als zunehmende Belastung empfinden, der sie krank macht, finde ich, dass wir das reflektieren und darauf reagieren müssen. Die Ergebnisse der Studien, und das gilt ja auch für PISA, IGLU, VERA, IQB und wie sie alle heißen, sind ja keine Momentaufnahmen, sondern zeigen einen Abwärtstrend bei den Leistungen, beim Wohlbefinden und beim Erwerb zukunftsrelevanter Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler. Ich finde, dass wir das nicht hinnehmen können und wir deshalb Schule und Unterricht verändern müssen, wir alle müssen Teile unserer Komfortzone verlassen, wenn wir, auch angesichts der globalen Entwicklungen (vgl. letzter Newsletter) unseren Kindern und Jugendlichen eine lebenswerte und enkelfähige Welt hinterlassen wollen. Packen wir es an! Machen ist wie wollen, nur krasser!
Um den Bogen zum Anfang des Newsletters zu schließen, verweise ich auf die Links zu „Unterricht“ weiter unten, in denen digitale Adventskalender mit 24 Bewegungstipps verlinkt sind.
Ihr
Erik Grundmann
Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:
Interessantes
Zwei Studien haben in den vergangenen Tagen die Bildungsrepublik beschäftigt. Zum Einen die ICILS 2023-Studie zu digitalen Kompetenzen im internationalen Vergleich und das aktuelle Schulbarometer der Robert Bosch-Stiftung.
Eine Zusammenfassung von ICILS (International Computer and Information Literacy Study) gibt es beim Deutschen Schulportal: https://deutsches-schulportal.de/bildungsforschung/icils-2023-eickelmann-digitale-kompetenzen-40-prozent-der-jugendlichen-sind-abgehaengt. Die Studie selbst gibt es hier: https://kw.uni-paderborn.de/institut-fuer-erziehungswissenschaft/arbeitsbereiche/schulpaedagogik/forschungsprojekte/icils-2023.
Das Schulbarometer hat erstmals auch Daten zum Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern erfasst, mit alarmierenden Ergebnisse, dazu eine Zusammenfassung: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/deutsches-schulbarometer-schueler-2024-jeder-fuenfte-junge-mensch-berichtet-von-psychischen-problemen/. Die ganze Studie gibt es hier: https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2024-11/241112_rbs_studie_schulbarometer_Q4-2024_V3_0.pdf.
Ähnliches berichtet auch eine Studie der WHO: https://www.who.int/europe/de/news/item/13-11-2024-rising-school-pressure-and-declining-family-support-especially-among-girls–finds-new-who-europe-report.
Eine weitere interessante Studie zur Digitalisierung im Schulleitungsalltag gibt es hier (nach Registrierung und Einverständnis zu Werbung!): https://www.wolterskluwer.com/de-de/know/zukunftsstudie-schulmanagement-2024#download.
Der „Forschungsmonitor Schule“ veröffentlicht Rezensionen zu bildungswissenschaftlichen Studien, um diese mit der Bildungspraxis zu verknüpfen: https://www.forschungsmonitor-schule.de/hintergrund.php. Ein tolles länderübergreifendes Projekt mehrerer Institute von Kultusministerien.
Finnland kann in vielen Bereichen ein Vorbild sein, sehr interessant ist, dass Finnland Fakenews erfolgreich den Kampf angesagt hat und, dass (natürlich) Schulen dabei eine zentrale Rolle spielen: https://edition.cnn.com/interactive/2019/05/europe/finland-fake-news-intl/.
Susanne Posselt hat auf ihrem lesenswerten Blog einen inspirierenden Beitrag zur Frage der letzten Blogparade der Lehrerbubble („Warum sollte man Lehrerin oder Lehrer werden?“) geschrieben, dessen Haltung ich uneingeschränkt unterstütze. Lehrkraftsein, schreibt sie, ist „eine Lebenseinstellung. Eine Haltung zu den großen Fragen der Welt.“ https://susanneposselt.de/vom-glueck-lehrerin-zu-sein/.
Smartphone und Social Media
Auf dem Deutschen Schulportal gibt es ein schönes Dossier zu Medienkompetenz: https://deutsches-schulportal.de/dossiers/dossier-medienkompetenz-wie-machen-wir-schueler-fit-fuer-die-digitale-welt/.
Die taz zum geplanten Social Media-Verbot unter 16 Jahren in Australien: https://taz.de/Social-Media-Verbot-fuer-Jugendliche/!6048934/.
Hier gibt es die Cyberlife-Studien zu Cybermobbing: https://buendnis-gegen-cybermobbing.de/aktivitaeten/studien.html.
Eine sehr gute und sehr umfangreiche Taskcard-Sammlung von Tools um Fake News, Verschwörungstheorien oder „Bullshit“ aufzudecken: https://www.taskcards.de/#/board/4e9fb693-e08b-43d5-99a8-69bc7554977e/view.
Netzpolitik.org zur zunehmenden Problematik von Deepfake-Nudes, die im Netz immer einfacher zu produzieren sind: https://netzpolitik.org/2024/ki-nacktbilder-wie-online-shops-mit-sexualisierten-deepfakes-abkassieren/.
KI
Jennifer Knellesen hat auf ihrer interessanten Seite „Vom Labor ins Klassenzimmer“, die sich auf die Fahnen geschrieben hat Theorie und Praxis zu verbinden, einen wichtigen Beitrag zur „GenAI-Revolution im Bildungsbereich“ geschrieben, in dem es um die Veränderung der Rolle der Lehrenden geht: https://vom-labor-ins-klassenzimmer.de/die-genai-revolution-im-bildungsbereich/.
Dr. Till Kreutzer von iRights.law erklärt in diesem Video wissenswertes zu OER, Urheberrecht und KI: https://www.youtube.com/watch?v=tBseRLl8268.
„Kompetenzen für den Unterricht mit und über Künstliche Intelligenz: Perspektiven, Orientierungshilfen und Praxisbeispiele für die Lehramtsausbildung in den Naturwissenschaften“ ist ein kostenloser Download von Waxmann, gefördert von der Telekom-Stiftung mit ganz vielen KI-Anwendungsmöglichkeiten speziell für NaWi: https://www.waxmann.com/index.php?eID=download&buchnr=4931.
In diesem Artikel aus dem „Business Insider“ nehmen verschiedene Protagonisten der KI-Szene höchst unterschiedlich Stellung zum Thema AGI: https://www.businessinsider.com/agi-predictions-sam-altman-dario-amodei-geoffrey-hinton-demis-hassabis-2024-11. Wir werden sehen…
KI-resistente Aufgaben sind eine aktuell größer werdende Herausforderung, hier gibt es Tipps:: https://www.edu-ai-alliance.org/post/wie-man-ki-resistente-aufgaben-mit-einem-chatbot-erstellt.
Tipps für den Unterricht
Da der Advent bevorsteht, konzentriere ich mich schwerpunktmäßig in dieser Rubrik in dieser Ausgabe auf verschiedene digitale Adventskalender-Angebote:
Das ZSL BaWü bietet, passend zum Schwerpunktthema des Newsletters, einen bewegten Adventskalender differenziert für verschiedene Altersstufen: https://lis.kultus-bw.de/,Lde/Startseite/Schulsport/Bewegte++Adventskalender.
Einen weiteren bewegenden Adventskalender gibt es auf dem Schweizer Portal schulebewegt.ch: https://www.schulebewegt.ch/de/specials-sets/8a734f29-9fc5-4756-9023-470f0e8a5d43.
Der Bildungsserver Hessen bietet als „exklusives Angebot für Mitarbeitende des Landes Hessen“ täglich einen neuen Podcast mit „digitale(n) Lösungsideen rund um alltägliche Herausforderungen im Schulalltag“: https://schulportal.hessen.de/veranstaltungen/adventskalender-medienbildung-2024-der-podcast-fuer-ihren-schulalltag/.
Für Schülerinnen und Schüler (in Klassen oder einzeln mit Gewinnmöglichkeiten) mit Spaß an Mathematik gibt es: https://www.mathe-im-advent.de/de/.
Auch für Physik-Interessierte gibt es einen Adventskalender mit Gewinnmöglichkeiten: https://www.physik-im-advent.de/.
Unsere Fortbildungsplattform fobizz hat auch einen Adventskalender mit Inspirationen für den Unterricht im Angebot: https://plattform.fobizz.com/fortbildungen/1959-der-fobizz-adventskalender-2024-inspirationen-fuer-deinen-unterricht?search_id=9347614.
Viele Materialien für „Digitales im Unterricht“ gibt es bei: https://coding-for-tomorrow.de/materialsammlungen/.
Für Geschichte gibt es einen spielerischen Einstieg in Berufe einer mittelalterlichen Stadt bei https://www.planet-schule.de/mm/stadt-im-mittelalter/.
In unregelmäßigen Abständen muss immer mal wieder auf das ZUM-Portal hingewiesen werden, wo es (seit 1995!) Unterrichtsmaterialien, Apps, ein Etherpad und so vieles mehr gibt: https://www.zum.de/portal.
Tipps zum Einsatz von „Mentimeter“ im Unterricht: https://www.lehrer-news.de/blog-posts/vom-monolog-zur-mitmach-stunde-wie-mentimeter-deinen-unterricht-veraendert.
Leseempfehlung
Weil wir in Zeiten von KI verstärkt über eine neue Prüfungskultur nachdenken müssen, empfehle ich das neue Bändchen aus der „Upgrade-Reihe“: Sobel, Martina und Alpogus, Murat: Upgrade: Leistungsmessung und Beurteilung. Wege in eine veränderte Prüfungskultur, Hannover 2024.
Hörempfehlung
Dana Weber von der „Glückspraxis“ aus Dreieich hat einen Podcast für Eltern gestartet: https://open.spotify.com/show/34ouRDUOnwD8LMUoLA5JRM?si=NC82-YmTRd6Yz0t6sBSC3g&nd=1&dlsi=57709166790a4e6a.
Das MSB in NRW hostet den Podcast „Nachgefragt“, in Folge 5 geht es um „Der Mythos Demokratieneutralität – Was darf ich als Lehrkraft in der Schule?“ https://www.schulministerium.nrw/nachgefragt-der-msb-podcast-mythos-demokratieneutralitaet-was-darf-ich-als-lehrkraft-der-schule.
Sehempfehlung
In der Mediathek von 3Sat gibt es noch bis zum 28.02.25 den wunderbaren Dokumentarfilm „Bratsch – Ein Dorf macht Schule“ über eine kleine besondere Dorfschule in der Schweiz. Sehenswert: https://www.3sat.de/film/dokumentarfilmzeit/bratsch—ein-dorf-macht-schule-100.html.
Schönes Video (nur 1 Min.) zum Thema Handynutzung: „Where did the day go?“ (und nebenbei noch eine schöne Demonstration für „Gaussian splatting“: https://www.youtube.com/watch?v=X4oh_6DjF1M. Wer sich für Hintergründe dazu interessiert: https://radiancefields.com/3dgs-short-film-where-did-the-day-go.
Veranstaltungsempfehlung
„Vision@Schule“ am 28. und 29. März an der Albert-Schweitzer-Schule in Wetzlar.
Es gibt jetzt (nicht ganz günstige) Tickets für „FUTUROMUNDO EDU. Das Internationale Zukunftsfestival des Lernens. 3.-4. Juli 2025, Stuttgart“ https://www.futuromundo.com/edu.
Spaß im Netz
https://www.mapcrunch.com/.