Newsletter 14, 03.05.2024

Liebe Schulgemeinschaft,

in unserer Schule tut sich was.
ich halte es für wichtig an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt eine Zwischenbilanz zur Entwicklung unserer Schule zu ziehen.
Aus meiner Perspektive gibt es im Moment drei zentrale Felder, die zusammengehören und Entwicklungsschwerpunkte bilden: Die extern begleitete Schulentwicklungsgruppe und die daraus entstehende DNA-Gruppe, der Bereich des Medienkonzeptes und das Präventionskonzept.
Unsere Schule ist ein großes (und wachsendes) System. Wir haben einige Schwerpunkte und sehr viele Angebote und Tätigkeitsfelder. Das ist grundsätzlich gut, führt aber auch zu Unübersichtlichkeit und erschwert die Steuerung.

Deshalb ist es sinnvoll sich von außen Expertise zu holen und in Kooperation mit Experten eine Struktur zu entwickeln, die das System steuerbar und vor allem entwicklungsfähig macht. Mit Miklas Flamm und Sacha Teufel von enenpro (https://enenpro.de/visionen-bildungseinrichtung-zukunft-entwicklung-transformation/) haben wir kompetente Unterstützung dafür gefunden. Nach Vorgesprächen und einem offenen Treffen im März mit vielen begeisterten und begeisternden Kolleginnen und Kollegen aus unserer Schulgemeinschaft, findet jetzt im Mai das erste Treffen der Initialgruppe statt. Aufgabe der Initialgruppe ist es in einem begleiteten Entwicklungsprozess eine DNA-Gruppe zu bilden, die die „DNA“ der Schule abbildet, d.h. in dieser Gruppe sollen dann Vertreterinnen und Vertreter sitzen, die die verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Lehrkräfte und in der gesamten Schulgemeinschaft spiegeln und so Schulentwicklungsvorhaben diskutieren und vorentlasten können, indem in der DNA-Gruppe deutlich wird, ob bei Veränderungen Diskussionsbedarf besteht oder ob mit Konsens zu rechnen ist. Neben dieser eher strukturellen Arbeit geht es bei diesem Prozess auch um die Etablierung von Kommunikationsstrukturen innerhalb des Kollegiums und mit der Schulleitung, die einen wertschätzenden, partizipativen und kollaborativen Transformationsprozess ermöglichen sollen.

Mit dem in der letzten Gesamtkonferenz abgestimmten Medienkonzept haben wir eine tragfähige Basis geschaffen. Am Medienkonzept wird aber auch besonders deutlich, dass zukunftsfähige Konzepte agiler sein müssen. Die Diskussion um die Handynutzung und die Auswirkungen von KI zeigen, dass wir hier einen permanenten Anpassungsprozess starten müssen, bei dem die ganze Schulgemeinschaft einbezogen werden muss. Außerdem ist das Medienkonzept eng verbunden mit dem Präventionskonzept.

Bei der Erstellung des Präventionskonzepts haben wir uns bewusst für einen breiten und aufwändigen Ansatz entschieden. Ziel ist es auch hier unter Mitwirkung der gesamten Schulgemeinschaft und mit Hilfe von externer Expertise in einem ergebnisoffenen und agilen Prozess ein Konzept zu entwickeln, das von allen Teilen der Schulgemeinschaft getragen werden kann. Eigentlich liegt es auf der Hand, dass alle Bereiche der Prävention (Sucht, Gewalt, Medien, sexualisierte Gewalt usw.) zusammen gedacht werden müssen. Genau wie Digitalität, Literacy oder Demokratielernen ist Prävention eine Querschnittsaufgabe aller an Schule Beteiligten. Eine sinnvolle Umsetzung ist nur möglich, wenn eine pädagogische Grundhaltung dahinter steht, die von allen gelebt und eingefordert wird.

Strukturelle Grundlage für diese Entwicklungen soll die Umwandlung in eine Selbstständige Schule (SES) sein, die wir angestoßen haben. Wenn wir eine Umwandlung zum 01.01.2025 anstreben, müssen wir auf der nächsten Gesamtkonferenz darüber abstimmen. Als SES hätten wir wichtige finanzielle und pädagogische Spielräume, um Schulentwicklung effektiv voranzutreiben.

Die Klammer bei all diesen Entwicklungen besteht aus der Schulentwicklungsgruppe und dem Schulleiter, der ja laut Schulgesetz für Schulentwicklung verantwortlich ist. In diesem Rahmen stoßen wir auch schon einzelne Prozesse im Sinne eines „Prototyping“ an, um Erfahrungen zu sammeln. „Prototyping“ stammt aus dem „Design Thinking“ und ist Teil eines agilen Mindsets. Die Idee dahinter ist, dass man schnellere Erfolge und brauchbare Erfahrungen macht, wenn man auf einen allzu ausgedehnten Konzeptionierungsprozess verzichtet, der viel Mühe macht und doch selten perfekt funktioniert. Stattdessen beginnt man einen Prozess und steuert nach, wenn es zu Schwierigkeiten kommt: „fail fast, fail forward, learn fast“. Ich wünsche mir, dass unsere Schule ein Ort wird, an dem wir innovative Ideen entwickeln und ausprobieren können. Wir brauchen eine positive Fehlerkultur und ein Growth Mindset.
Eine erste Idee aus der letzten Sitzung der Schulentwicklungsgruppe ist es, ein Team zu bilden, das sich in ein oder zwei Klassen eines Jahrgangs zusammentut, um in der Praxis eng zusammenzuarbeiten und Ideen zu entwickeln. Wer daran Interesse hat und/oder mehr wissen will, kann gerne die Kolleginnen und Kollegen der Schulentwicklungsgruppe ansprechen.

Ziel des (nie endenden) Schulentwicklungsprozesses muss es am Ende sein, unsere Schule so zu gestalten, dass sie zukunftsfähig wird, dass sie ein Ort wird, an dem Lernende und Lehrende gerne sind, an dem Bildung gelebt wird, die auf eine Welt vorbereitet, die immer herausfordernder wird, die sich permanent verändert und wahnsinnige Möglichkeiten bietet. Wir Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler müssen uns und das System resilient machen und dafür den Weg für unsere Schule finden. Dafür müssen wir eine gemeinsame und wertschätzende Haltung entwickeln. Und das tun wir nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist!
Es geht um die Zukunft unserer Schülerinnen und Schüler und den Ort, an dem wir arbeiten, das sollte es uns Wert sein.

Abschließend möchte ich noch etwas zum Umgang mit den KI-Tools von Fobizz und Fiete sagen. Wie bereits im letzten Newsletter beschrieben, fordere ich Sie auf die neuen Tools gemeinsam mit den Lernenden auszuprobieren, Hinweise und Anleitungen für den Unterricht waren dort auch zu finden. Wir lassen diese „Probierphase“ bis zu den Sommerferien laufen. Vorher wird es noch ein digitales Angebot von Fobizz geben, in dem die Funktionen dieser Plattform noch einmal für uns vorgestellt werden; ein Termin folgt. Für die Zugänge zu den Tools hängen die Listen im Lehrerzimmer aus, zuständig dafür ist Herr Döring. Nach den Ferien werden wir dann beginnen uns systematischer auszutauschen und fortzubilden.

In der Summe habe ich das Gefühl, dass wir in vielerlei Hinsicht auf einem guten und richtigen Weg in die Zukunft sind, ich für meinen Teil arbeite sehr gerne an unserer Schule!

Ihr

Erik Grundmann

Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:


2024-14: Sieht denn wirklich niemand die Katastrophe?

Ich habe in meinem letzten Blogbeitrag über die desolate Situation in der Medienbildung geschrieben. Anfang März hat die HSBC-Studie eine drastische Zunahme psychosomatischer Beschwerden bei Jugendlichen diagnostiziert. Die Studie “Jugend in Deutschland” von Dienstag belegt: “Stimmungstief und Rechtsruck bei Jugend“. Und gestern kam das neue Schulbarometer der Bosch-Stiftung heraus, Ergebnis: Gewalt und Unzufriedenheit an Schulen nehmen zu, immer mehr Lehrkräfte und Schulleitungen wollen ihren Job aufgeben. Die Ergebnisse der letzten PISA-Studie oder des IQB-Bildungstrends sind schon fast wieder verklungen. In den Schulen in Deutschland besteht ein Sanierungsstau von 50 Milliarden Euro, es fehlen 70.000 Lehrkräfte und rund 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Die Liste ließe sich fortsetzen, sollte aber eigentlich schon krass genug sein.
Wo bleibt der Aufschrei? Warum titeln nicht alle Zeitungen damit, warum gibt es keine täglichen Talkshows, Sondersendungen und Demonstrationen? Ist die Situation noch nicht schlimm genug oder ist es uns egal? Überlagern “wichtigere” Themen die notwendige Diskussion? Ich weiß es nicht!


Was ich aber weiß ist, dass ich das nicht hinnehmen will. Ich sehe eine drohende Katastrophe und leite daraus Handlungsbedarf ab. Ich beschäftige mich fast den ganzen Tag und manche Nächte mit Bildung und Schule. Ich sehe die Symptome, die oben geschildert werden, ich sehe aber auch, dass der Status Quo nicht zementiert ist. Es gibt zahlreiche Schulen, die es besser machen und es gibt zahlreiche Institutionen, die helfen und unterstützen es besser zu machen.

Ich zähle hier mal ein paar Schulen auf, die Liste ist alles Andere als vollständig (Links bitte selber googlen):
– Alemmanenschule Wutöschingen
– Richtsbergschule Marburg
– Erich-Kästner-Schule Darmstadt
– IGS-Süd Frankfurt
– Ernst-Reuter-Schule Karlsruhe
– IGS Garbsen
– uvm.
Und jetzt noch ein paar Institutionen:
– Schulen im Aufbruch
– BeWirken
– Helga-Breuninger-Stiftung
– Digital School Story
– Bildungsliebe.Jetzt
– 48 Könige
– Lernkulturzeit/Pioneers of Education
– uvm.
Außerdem gibt es zahlreiche Stellen und Institute innerhalb und außerhalb des Bildungssystems, die Schulentwicklungsprozesse begleiten, Lehrkräfte Fortbilden und coachen.

Der “Tisch der Veränderung” ist also gedeckt! Wir müssen nur zugreifen. Ich bin froh, dass sich die Schule, die ich leiten darf, auf den Weg gemacht hat. Wir haben dort tolle Kolleginnen und Kollegen, die die Veränderung sein wollen und die meine volle Unterstützung haben. Natürlich ist das kein leichter Weg und nicht alle werden ihn gehen wollen, aber es ist ein lohnenswerter Weg. Natürlich wird nicht alles funktionieren, na und? Der Eingangs beschriebene Abwärtstrend ist sicher keine Alternative.
Ich werde alles daran setzen, gemeinsam mit der ganzen Schulgemeinschaft, eine bessere Schule zu entwickeln, eine Schule mit glücklicheren Menschen, eine Schule, die zukunftsfähig ist und macht.
Wir haben aktuell so viele Probleme auf der Welt und Bildung und Schule sind die Schlüssel für eine bessere Zukunft. Packen wir es an! Machen ist wie wollen, nur krasser!


P.S.: Sorry for the Rant, aber schreiben hilft manchmal. Und schließlich gibt es ja auch eine Perspektive. Wenn ich nicht an diese glauben würde, könnte ich meinen Job nicht machen und ich liebe meinen Job.

Blog WfS 2030

Hier begleite ich den Schulentwicklungsprozess der Weibelfeldschule in einem Blog. Es wird über wichtige Meilensteine, über Ideen und deren Umsetzung oder Scheitern berichtet, hier werden Tipps entwickelt und ein Prozess begleitet.
Es geht auch um pädagogische Haltung und Leitbilder und natürlich wird die kommunale und gesellschaftliche Relevanz im Blick behalten.
Wünschenswert sind hier auch Gastbeiträge.

Under Construction!

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Über mich

Mein Name ist Erik Grundmann und ich bin seit 2009 Lehrer für die Fächer Geschichte und Politik und Wirtschaft. Seit 2014 bin ich in der Schulleitung tätig, seit 2019 als stellvertretender Schulleiter und seit August 2023 als Schulleiter. von 2010 bis 2017 hatte ich einen Ausbildungsauftrag am Studienseminar Offenbach, u.a. zur Ausbildung von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst in allgemeinpädagogischen Modulen und im Fach Geschichte.

Studiert habe ich die Fächer Geschichte und Politik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Während meines Studiums habe ich mit interessierten Kommilitoninnen und Kommilitonen unter der Leitung von Frau Professorin Tanja Brühl das MainMUN ins Leben gerufen, einer Simulation der Vereinten Nationen, die bis heute jährlich an der Universität in Frankfurt stattfindet.

Schon in der Oberstufe und vor allem während des Studiums war ich sehr aktiv im Baseballsport, u.a. als Vereinspräsident, Geschäftsführer des hessischen Verbandes und Vizepräsident der Deutschen Baseballjugend. Außerdem war ich als Trainer im Jugend- und Damenbereich und von zahlreichen Verbandsauswahlen sowie als Mitorganisator von Europameisterschaften tätig.

Von 2011 bis 2023 habe ich ehrenamtlich bei der Stadt Dietzenbach am Integrationskonzept mitgearbeitet, seit 2016 als Moderator der Arbeitsgruppe “Bildung”. Im Juni 2023 ist aus dieser AG das Netzwerk Bildung in Dietzenbach hervorgegangen, in dem alle an Bildung beteiligten Institutionen der Kommune vernetzt sind oder werden sollen.

Beruflich und privat interessiere ich mich sehr für Schulentwicklung im 21. Jahrhundert. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es einer tiefgreifenden Reform des Schulsystems in Deutschland bedarf, um der sich beschleunigt verändernden Gesellschaft gerecht zu werden und unseren Kindern, die ja unsere Zukunft sind, adäquate Entwicklungsmöglichkeiten bieten zu können.

Zu einem ausführlichen CV geht es hier.

Blog 2024

Hier finden sich alle Blogeinträge aus 2024

2024-13: Mehr Medienbildung jetzt!

Pics: DALL-E, Sound: suno.ai, Video: Clipchamp.

Wir brauchen mehr Medienbildung in den Schulen, in allen Fächern, in allen Jahrgängen und zwar jetzt.

Dieses Thema beschäftigt mich schon länger und ich habe dazu auch schon gebloggt und mich in meinen Newslettern beschäftigt, insbesondere hier:
https://www.schulmun.de/2023/11/18/2023-04-verlieren-wir-unsere-kinder/
https://www.schulmun.de/2024/01/21/2024-03-mehr-ki-in-die-schule-die-2/
https://www.schulmun.de/2024/02/20/2024-06-ki-ist-der-gamechanger-in-der-bildung/
https://www.schulmun.de/2024/03/28/2024-11-kibedenken-als-teil-einer-blogparade/
https://www.schulmun.de/2024/03/21/newsletter-12-22-03-2024/.
Zahlreiche weiterführende Links habe ich hier zusammengetragen: https://www.schulmun.de/2024/01/04/social-media/.

Ich bin eigentlich kein Freund von Alarmismus und möchte auch nicht so klingen, muss aber feststellen, dass wir Pädagogen, wir Erwachsenen, wie Bildungsverantwortlichen im Bereich der Medienbildung unserer Kinder und Jugendlichen größtenteils versagt haben.
Viele von uns haben keine Vorstellung, was im Bereich der (sozialen) Medien unserer nachfolgenden Generationen wirklich passiert, manche wollen es vielleicht auch lieber nicht wissen. Es gibt gute Bücher (mehr dazu hier: https://www.schulmun.de/buchtipps/), es gibt gute Fortbildungen, Vorträge oder Workshops von verschiedenen Trägern oder auch der Polizei. Leider werden diese zu wenig genutzt und erreichen nicht die Familien, in denen es wichtig wäre; Elternabende zu solchen Themen sind leider oft nicht gut besucht.
Was ist denn nun aber das “Schlimme” was den Kindern und Jugendlichen im Netz passiert? Früher gab es auch Mobbing, Gewalt oder Pornografie. Das Neue ist allerdings die ständige Verfügbarkeit, die leichte (auch ungewollte) Verbreitung, der multimediale Zugang und die ewige Verfügbarkeit von gewollten und ungewollten Fehltritten, das Netz vergisst (fast) nichts. Die Schilderungen sind hier bewusst drastisch, aber nicht dramatisiert. Silke Müller beschreibt in ihrem Buch “Wir verlieren unsere Kinder” zum Beispiel wie Mädchen aus einer 8. Klasse morgens im Bus per Airdrop ein Video auf ihr Smartphone übermittelt bekommen, auf dem ein Mann mit einem Skalpell kastriert wird. In Klassengruppen werden immer wieder Nazi-Memes verschickt. Die beliebten Plattformen Twitch, Discord oder auch Reddit und viele andere werden für Cybergrooming missbraucht, auf Youtube finden sich unzählige Fakenews, Verschwörungstheorien oder Propaganda. Auf Instagram und im Klassenchat findet massives Cybermobbing statt und mit Künstlicher Intelligenz sind Deep Fakes mittlerweile ein “Kinderspiel”.
Besonders tut sich immer wieder TikTok hervor. Diese Plattform mit kurzen, oft lustigen Videoclips hat es in sich. Nicht nur, dass sich dort überproportional viel extremistische Propaganda tummelt, die durch den Algorithmus immens verstärkt wird, hier finden auch zahlreiche fatale Contests statt, die schon Todesopfer gefordert haben, hier werden Kinder aufgefordert Stühle in der Schule zu zersägen, Schultoiletten anzuzünden oder Deo zu inhalieren. Auf TikTok oder auch auf Twitch gibt es Nischen, in denen Jugendliche Selbstmordgedanken austauschen. In den sozialen Netzwerken werden unerfüllbare Schönheitsideale propagiert, dort teilen zehnjährige Mädchen Beautyvideos, in denen sie Anti-Aging-Cremes empfehlen.


Hinzu kommt, dass hinter den (sozialen) Medien eine Multi-Milliarden-Dollarindustrie steckt, deren Anwälte und Lobbyisten eine strenge Regulierung zu verhindern wissen und deren Entwickler und Vermarkter genau wissen, wie sie die Gehirne der Kinder und Jugendlichen (und natürlich auch der Erwachsenen) erreichen. Alle sozialen Netzwerke leben von der Sichtbarkeit ihrer Akteure, die sich in Likes und Followern ausdrückt. Die Jagd nach Likes spricht Urinstinkte des Gehirns an, die über Dopaminausschüttungen Glücksgefühle verursachen, die drogenähnliche Rauschzustände verursachen. Wie bei Drogen fordert das Gehirn aber eine immer stärkere Dosis oder Frequenz um den Glückszustand aufrechtzuerhalten. Auf die Spitze treibt das zum Beispiel Snapchat, wo die Likes durch Flammen ausgedrückt werden, die wieder verschwinden, wenn nicht schnell genug “nachgelegt” wird. Ähnliches gilt auch für die zahlreichen bei Kindern und Jugendlichen beliebten Browsergames von Subwaysurfer bis Forge of Empires mit ihren Gadgets und Levels. Auch die Verkaufsplattform Temu arbeitet mit diesen Mechanismen. Der Vollständigkeit halber soll hier auch noch auf die Effekte von Bubbles und Echokammern hingewiesen werden, die durch die Algorithmen Fehlverhalten verstärken und normalisieren.

Interessant ist in diesem Kontext auch ein Interview mit dem Soziologen Jonathan Haidt in der NZZ zum Einfluss von sozialen Medien auf die Generation Z (https://www.nzz.ch/feuilleton/interview-jonathan-haidt-covid-war-nichts-im-vergleich-zu-dem-was-wir-unseren-kindern-mit-sozialen-medien-und-smartphones-antun-ld.1824924). Er sieht hier einen Zusammenhang zwischen der massenhaften Verbreitung von Smartphones unter Kindern und Jugendlichen seit den Jahren um 2010 und einem gleichzeitig beginnenden Leistungsabfall in der Schule. Gleichzeitig nehmen auch die psychischen Erkrankungen unter Kindern und Jugendlichen seit dieser Zeit massiv zu.

Was können Schulen tun?
Schulen und Eltern haben beide einen Erziehungsauftrag. Leider kommen beide im Bereich der Medienbildung- und -erziehung diesem nur unzureichend nach. Die Gründe dafür sind in Schule und Elternhaus ähnlich. Fehlende Kompetenzen, fehlendes Interesse oder Zeitmangel sind wohl die wesentlichen Gründe. Wir können es uns als Gesellschaft aber nicht leisten unsere Kinder zu verlieren, um den oben genannten Buchtitel noch einmal aufzugreifen.
Für mich kommt naturgemäß den Schulen bei der Medienbildung eine zentrale Rolle zu. Theoretisch ist sie diesen ja sogar schon zugewiesen. Medienbildung ist curricular verankert, Teil von sozialen Lernkonzepten, wird von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern oder anderen externen Experten in die Schule getragen und von den Lehrkräfte unterrichtet. Schulen müssen Medienkonzepte erarbeiten usw.
All das trägt aber leider nur sehr beschränkt, weil es nicht als zentrale Aufgabe wahrgenommen wird, sehr fragmentiert und punktuell stattfindet und Zeit und Raum nicht wirklich vorhanden sind.
Wenn wir nicht bald und massiv handeln, wird sich aber der Leistungsabfall in den Bildungseinrichtungen verschärfen, werden psychische Erkrankungen weiter zunehmen und letztlich unsere pluralistische Gesellschaft und unsere Demokratie aufs Spiel gesetzt.
Wir brauchen also schnell eine radikale Veränderung in der Schule. Wir müssen umgehend Zeit, Raum und Expertise schaffen. Wenn uns das nicht gelingt, sind all unsere aktuellen schulischen Ambitionen ziemlich nutzlos, weil wir unsere Gesellschaft und unsere Demokratie nicht mehr aufrecht erhalten können.
Ich spitze hier bewusst etwas zu und will damit wachrütteln, glaube aber ernsthaft, dass wir die Lehrpläne massiv entschlacken müssen, dass Lehrkräfte den Raum und die Zeit bekommen müssen sich verbindlich in diesem Bereich fortzubilden. Dazu Bedarf es der Unterstützung der politisch und behördlich Verantwortlichen. Wahrscheinlich müssen wir bei Fächern Stunden kürzen oder Fächer sogar ganz streichen, um mehr Medienkompetenz in einer Kultur der Digitalität zu vermitteln. Außerdem muss Medienbildung eine ernsthaft getragene Querschnittsaufgabe in allen Fächern sein. Ein kompetenter Umgang mit (sozialen) Medien ist heutzutage eine zentrale Kulturtechnik, gleichbedeutend mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Idealerweise ist dieser Prozess in einen größeren schulischen Reformprozess eingebettet, aber das ist ein anderes Thema.


Was können Eltern tun?
Viele Eltern müssen sich zunächst, genau wie viele Lehrkräfte, weiterbilden und mit der Medienwelt der Kinder vertraut machen, um mit diesen auf Augenhöhe in einen Dialog treten zu können. Sinnvoll ist es, gemeinsam mit den Kindern Erfahrungen im Netz und im Umgang mit Medien zu sammeln. Zur Weiterbildung gibt es Bücher, zahlreiche Angebote im Internet, Veranstaltungen in der Schule und nicht zuletzt die eigenen Kinder, die ihre Eltern meist stolz und gerne aufklären. Außerdem ist es die Aufgabe und Pflicht der Eltern sich um Privatsphäre-Einstellungen, Datenschutz, Online-Verhaltensregeln und den rechtlichen Rahmen zu kümmern, viele Apps sind zum Beispiel erst ab 14 oder gar 16 Jahren erlaubt. Ganz wichtig ist es, dass Eltern gemeinsam mit den Kindern verbindliche Nutzungsregeln erarbeiten und diese auch durchsetzen (hilfreich hierbei: https://www.mediennutzungsvertrag.de/).

Wir haben viel zu lange darauf gehofft, dass schon irgendwie alles gut werden werden wird und dass Schule das schon irgendwie hinbekommt. Ich fürchte, auch aufgrund meiner Erfahrungen in Schulleitungsfunktion in den letzten Jahren und meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema, dass wir es mit einem “Weiter so” nicht hinbekommen. Wir müssen aufwachen und aktiv werden. Es hilft dabei nicht, die (sozialen) Medien zu verteufeln oder verbieten zu wollen. Diese gehen nicht mehr weg und haben zweifelsohne auch eine enorm positive Seite, die hier nicht thematisiert wird. Wir müssen unsere Verantwortung gegenüber unseren Kindern wahrnehmen und sie bei der Mediennutzung wohlwollend und wertschätzend begleiten und sie stark machen, um den Versuchungen im Netz zu widerstehen. Wir brauchen sicher auch mehr Regulierung und deren Durchsetzung durch den Staat. Der erste Schritt ist aber, dass wir das hier ausführlich beschriebene Problem überhaupt als solches wahrnehmen und ihm den Kampf ansagen. Weniger für uns Erwachsene, mehr für die Zukunft unserer Kinder. Diese sollte es uns wert sein!

Ein paar weiterführende Links zum Thema:

Eine gute erste Anlaufstelle ist immer: https://www.klicksafe.de/. Hier gibt es Informationen und Tipps zum Umgang zu nahezu allen relevanten Themen.

Zur Gefährdung von Kindern durch digitale Medien gibt die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz einen Gefährdungsatlas heraus, der 43 Medienphänomene genauer unter die Lupe nimmt: https://www.bzkj.de/bzkj/zukunftswerkstatt/gefaehrdungsatlas.

Hier gibt es einen prämierten Kurzfilm, der sich kritisch mit dem Suchtfaktor Handy und „Likes“ auseinandersetzt: https://www.youtube.com/watch?v=ioaY1z2trx4. Sehens- und zeigenswert!

Rechtsextreme Ideologien, versteckt hinter Hashtags: Extremisten umgarnen mit TikTok-Videos gezielt Kinder und Jugendliche. Experten warnen vor schleichender Radikalisierung. Beitrag von ZDF heute: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/tiktok-radikalisierung-kinder-jugendliche-rechtsextremismus-100.html#xtor=CS5-281.

In dieser Taskcard des Kreismedienzentrums Zollernalbkreis gibt es Hinweise zu TikTok allgemein und dem Umgang damit im Unterricht sowie zu den Challenges und deren Gefahren: https://kmz-zak.taskcards.app/#/board/4121c28c-dc17-47d7-a1c0-52da55f6557b/view?token=ded6d524-05a1-4c25-ba64-f0e89e2040c5.

Finanzpodcasts sprechen gezielt Jugendliche an und verbreiten rechtes Gedankengut, Blogbeitrag von Bob Blume:  https://bobblume.de/2024/01/24/digital-finanzpodcasts-als-einfallstor-in-rechtes-gedankengut/

Einen sehr langen, kritischen und sehr guten Artikel auf Englisch zum Smartphone und Kindheit gibt es bei The Atlantic: https://www.theatlantic.com/technology/archive/2024/03/teen-childhood-smartphone-use-mental-health-effects/677722/?utm_source=native-share&utm_medium=social&utm_campaign=share.

Viele weitere Informationen, Gedanken und Links finden sich in zahlreichen weiteren Beiträgen auf dieser Homepage.

Newsletter 13, 19.04.2023

Liebe Schulgemeinschaft,

in diesem Newsletter geht es mal wieder um Künstliche Intelligenz.
Der Anlass ist, dass wir mit Schullizenzen für Fobizz und Fiete zwei KI-basierte Tools bekommen, die unsere Arbeit verändern können, deswegen möchte ich in diesem Newsletter einige Anmerkungen und Ideen teilen, die den Einstieg in die Arbeit mit KI erleichtern sollen. Ich beginne mit didaktischen und pädagogischen Gedanken. In Anlehnung an das aus der Informatik-Didaktik bekannte Dagstuhl-Dreieck (https://zsl-bw.de/,Lde/Startseite/lernen-ueberall/ki-dagstuhl) hat KI, wie alle technischen Anwendungen, drei Dimensionen, eine technische Dimension (wie funktioniert KI eigentlich?), eine Nutzungs-Dimension (wie nutze ich KI?) und eine ethische Dimension (wie wirkt KI auf das Individuum und die Gesellschaft?). Alle drei Dimensionen müssen für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI in der Schule, sowohl bei der Planung von Unterricht als auch bei den Unterrichtsinhalten, berücksichtigt werden und zwar in allen Fächern! Das heißt natürlich auch, dass wir jetzt viele Dinge dazu lernen müssen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass sich das lohnt. KI ist für Lehrkräfte keine Bedrohung und kann uns nicht ersetzen, KI ist aber ein Copilot, ein Sparringspartner, ein Co-Tutor und vieles mehr, was unsere Arbeit erleichtern, entlasten und reformieren kann und diese drei Aspekte werden immer nötiger.

Ich möchte Sie ermutigen, sich auszuprobieren und über ihre Arbeit, ihre Erfolge und vor allem ihre Misserfolge auszutauschen, wir sind nicht nur eine lehrende, sondern auch eine lernende Gemeinschaft. Trauen Sie sich Fehler zu machen und lassen Sie uns gemeinsam aus diesen Fehlern lernen. Ich freue mich auf den Diskurs mit Ihnen; die Schülerinnen und Schüler und auch die Eltern sind natürlich herzlich eingeladen, sich an diesem Diskurs zu beteiligen.

Zum Einstieg möchte ich Ihnen zwei Homepages besonders ans Herz legen. Zum einen die von Joscha Falck (https://joschafalck.de/). Joscha ist Mittelschullehrer, Autor und Lehrbeauftragter an der Universität in Bayern und einer der zentralen Akteure in der deutschen KI-Didaktik. Ganz zentral sind seine für den Umgang mit KI entwickelten fünf Dimensionen: Lernen mit, über, durch, trotz und ohne KI:


Empfehlenswert ist auch sein Buch „Effektiv unterrichten mit Künstlicher Intelligenz“, das kürzlich im Persen-Verlag erschienen ist.
Zum anderen empfehle ich noch die Homepage von Manuel Flick (https://www.manuelflick.de/). Manuel ist Lehrer an einem Oberstufenzentrum in Berlin, Fortbildner und Blogger. Auf seiner Homepage findet sich unter anderem ein immer wieder aktualisierter „Chat-GPT-Guide“.

Wem das alles noch nicht genug ist, der kann noch viele weitere spannende Anregungen, Tools und Diskursbeiträge zu KI in der Bildung in der entsprechenden Linksammlung auf meiner Homepage finden (https://www.schulmun.de/2023/10/25/kuenstliche-intelligenz/). Es ist also wichtig, KI nicht einfach irgendwie zu nutzen, sondern immer auch die Kompetenzebene, gemeinsam mit den Lernenden, zu reflektieren. Was bringt mir der Einsatz, war KI wirklich hilfreich und warum? Wie habe ich das gemacht, was habe ich verbessert, was gelernt? Kann ich mir sicher sein, dass mein Ergebnis stimmt und warum?

Welche Fallstricke muss ich beachten, wo sind die Gefahren (zum Beispiel: Cultural Bias, Halluzinationen, Datenschutz, Urheberrecht usw.)?

Nun noch ein paar einführende Worte zu den beiden Tools. Fobizz (fobizz.com) ist eine Plattform, die mittlerweile aus drei Bereichen besteht. Es gibt einen Bereich für Fortbildungen, viele davon stehen als digitale Selbstlernkurse zur Verfügung, können also jederzeit gemacht, unterbrochen und wiederholt werden. Es gibt aber auch Fortbildungen und Webinare, die zu bestimmten Zeiten live stattfinden. Darunter finden sich Fortbildungen für alle Fächer, für viele Tools und Anwendungen, aber auch zu pädagogischen oder didaktischen Themen. Ein anderer Bereich bietet fertiges aber umgestaltbares Unterrichtsmaterial mit Unterrichtsinhalten, Methoden und Tools für den Unterricht. Der dritte Bereich schließlich bietet DSGVO-konforme KI-Assistenzen und Tools. Zum Beispiel gibt es eine KI zum Chatten, eine für Bilder, Korrekturhilfen, KI-Zugänge für die Lernenden und vieles mehr. Bei den Tools finden Sie hier Werkzeuge für den Unterricht. Außerdem hat sich Fobizz kürzlich mit „to teach“ zusammen getan, einer Plattform zur Erstellung von Unterrichtsmaterial, Unterrichtsentwürfen und Übungsaufgaben. Bei den Fortbildungen gibt es auch ein Einführungsvideo, wir bekommen aber auch eine exklusive digitale Einführung für uns.

Das zweite Tool, für das wir eine Schullizenz erworben haben, ist Fiete (www.fiete.ai). Fiete ist ein Feedbacktool, mit dem Lehrkräfte Feedbackkriterien für eine Aufgabe der Lernenden festlegen können, die Lernenden laden ihr Ergebnis hoch und erhalten ein Feedback anhand der vorgegebenen Kriterien und überarbeiten damit ihr Ergebnis. Die Lehrkraft bekommt das Endprodukt und eine Auswertung zum Lernprozess der Lernenden. Fiete hat außerdem noch einen tollen Blog mit spannenden Beiträgen zu KI und Feedback von renommierten Gastautorinnen und -autoren. Auch zu Fiete wird es eine Einführung geben.

Wer Zugang zu den Tools haben möchte, kann sich ab Montag im Lehrerzimmer analog in eine Liste eintragen. Die Zugangsdaten gibt es dann per Mail. Probieren Sie rum und aus, binden Sie die Schülerinnen und Schüler ein und tauschen Sie sich mit den Kolleginnen und Kollegen aus. Bei nächster Gelegenheit wird es sicher auch Mikrofortbildungen, ein zweites Barcamp oder Austausch in anderen Formaten zu KI und den Tools geben. Ich freue mich darauf!

Ihr

Erik Grundmann

Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:

2024-12: Vernetzt die Bildung! Wege aus dem, Trilemma aus Fortbildung, Schulentwicklung und Mangelverwaltung.

Dieser Blogbeitrag verbalisiert meine Vision von Bildung im 21. Jahrhundert: Was würde ich mir wünschen und was würde ich tun, wenn ich unbegrenzte Gestaltungsfreiheit hätte?


Das Trilemma der Bildung und die Notwendigkeit von Veränderung
Dass wir auf ein Trilemma aus fehlenden Ressourcen für Fortbildung und Schulentwicklung aufgrund eines wachsenden Lehrkräftebedarfs zusteuern, habe ich an anderer Stelle schon einmal beschrieben. Dieses Problem beschränkt sich nicht auf die weiterführenden Schulen, sondern ist im Primarbereich und in der vorschulischen Bildung noch viel eklatanter.
Aufgrund des demografischen Wandels und politischer Weichenstellungen wird sich die Situation mittelfristig eher nicht und kurzfristig sicher nicht entspannen. Hinzu kommen ja auch noch der zunehmende Mangel an Therapieplätzen für Jugendliche, unterbesetzte Jugendämter, zu wenig Freizeitangebote und vieles mehr.
Wenn wir trotzdem wollen, und das sollten wir unbedingt, dass unsere Kinder eine Bildung bekommen, die sie auf das 21. Jahrhundert vorbereitet und sie mit der dafür nötigen Resilienz ausstattet, müssen wir das System verändern. Darüber wurde, auch auf dieser Website (zum Beispiel hier oder hier), schon viel geschrieben, daher möchte ich den nötigen Systemwandel hier nur kurz skizzieren.
Getreu dem Motto von Stefan Ruppaner und der Alemannenschule in Wutöschingen: “Unterricht ist allen Übels Anfang” müssen wir Fächer und Stunden in den Schulen auflösen und zu selbstorganisierten und individualisierten Lernprozessen übergehen, die von Lerncoaches begleitet werden; wir müssen den Fokus vom Lehren auf das Lernen richten. Wir müssen die gesamte Schulgemeinschaft, am besten sogar die ganze Kommune in Schulentwicklungsprozesse einbinden und vernetzen, dazu bedarf es echter demokratischer Strukturen, die an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet sind. Es muss eine Kultur der Digitalität etabliert werden, in der die Schülerinnen und Schüler Zukunftskompetenzen erlernen, um in einer VUCA– oder BANI-Welt zurechtzukommen.
Das haben viele Länder schon erkannt und auch in Deutschland gibt es “Leuchtturmschulen”, die sich reformiert haben und neue Lernkonzepte bieten, bei denen die Lernenden im Mittelpunkt stehen. Wer sich solche Schulen anschauen will, sollte sich die Preisträger des Deutschen Schulpreises oder die Agora-Schulen in den Niederlanden und natürlich die skandinavischen, die baltischen Länder oder Neuseeland anschauen. (Zur Einordnung: Es gibt mittlerweile knapp über 100 Preisträger beim Deutschen Schulpreis und es gibt ca. 32.000 Schulen in Deutschland).
Das ein leistungsfähiges Bildungssystem für die Zukunft eines Landes, gerade eines rohstoffarmen Landes wie Deutschland, von zentraler Bedeutung ist, muss eigentlich nicht näher begründet werden. Umso unbegreiflicher ist es, dass es in Deutschland gerade nicht gelingt im Bildungsbereich besser zu werden, das zeigen zumindest die einschlägigen Studien der letzten Jahre von PISA bis IGLU. Vielleicht ist es daher an der Zeit die starren Strukturen des Systems, das Festhalten an Stunden, Noten und Fächern, die frühe Selektion, überhaupt das gegliederte Schulsystem, das Lernen im Gleichschritt und die curriculare Obsession auf den Stoff zu überdenken. Die Welt und die Gesellschaft unterliegen großen Veränderungen, das Schulsystem aber bleibt starr.
Wie schaffen wir es aber aus dem oben beschriebenen Trilemma herauszukommen und trotz schwindender personeller Ressourcen das System zu reformieren, um eine bessere und zeitgemäße Bildung zu erreichen?
Ich sehe drei große Reformansätze, die Synergien schaffen und gleichzeitig die Qualität verbessern. Der eine bezieht sich auf die innere Dimension von Schule, der andere auf die äußere und der dritte bezieht sich auf eine inhaltliche Dimension.

Die innere Dimension der Veränderung
Dieser Aspekt wurde in den vorherigen Ausführungen schon angedeutet und wird im Folgenden bezüglich der möglichen Synergieeffekte und der praktischen Umsetzung von Reform präzisiert.
Die Auflösung des klassischen Lernsettings in Klassen und Fächern und dessen Überführung in offene und individualisierte Lernformen schafft Freiräume. Die Schülerinnen und Schüler übernehmen zunehmend selbst Verantwortung für ihre Lernfortschritte, unterstützen sich dabei gegenseitig und werden im Sinne einer Kultur der Digitalität von Lernmanagementsystemen und digitalen Materialpools unterstützt. Dies erfordert die Verwandlung der Lehrkräfte von Instrukteurinnen und Instrukteuren, von Stoffvermittelnden zu Lernbegleitenden. Als Lernbegleitung ist eine Lehrkraft für deutlich weniger Lernende zuständig als als “klassische” Klassenlehrkraft, inhaltliche Unterrichtsvorbereitung entfällt, Korrekturen verändern sich und werden in Präsenzzeiten erledigt. Es gibt keine Hohlstunden und keine Vertretungen, keine Hausaufgaben und keine Unterrichtsstörungen, weil es keinen Unterricht gibt.
Um das zu konkretisieren: An der bereits erwähnten Alemannenschule leisten die Lehrkräfte bei voller Stelle eine Präsenzarbeitszeit von 35 Wochenstunden in der Schule. Die Differenz zur Regelarbeitszeit von Beamten wird für Elternabende, Klassenfahrten usw. benötigt.
Diese innere Veränderung schafft also Freiräume für die pädagogische Arbeit mit den Lernenden, die im bestehenden System oft zu kurz kommt. Gleichzeitig erhöht das neue System die Zufriedenheit und die Leistungsfähigkeit sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden.

Die äußere Dimension von Veränderung
Das bisher Beschriebene ist zwar noch lange nicht Regelstandard, aber es gibt erfolgreiche Beispiele in der Praxis. Die nun folgenden Gedanken sind bisher, zumindest nach meiner Kenntnis, so noch nicht verwirklicht.


Wie wäre es kommunale Orte im Sinne von Bildung enger zu vernetzen und idealerweise diese Orte dann auch räumlich zu einer Art “Bildungshub” zu verdichten? Was genau damit gemeint ist, warum das sinnvoll ist und welche Synergieeffekte so entstehen können werde ich nun genauer darstellen.
Ein solcher Bildungshub würde dann in einem umgrenzten kindgerechten Raum, Kindergärten, Grund- und weiterführende Schulen und Einrichtungen des lebenslangen Lernens wie Volkshochschulen oder Abendschulen umfassen. Zusätzlich gäbe es Sportstätten, die gemeinsam genutzt werden können, aber auch medizinische, therapeutische und psychologische Versorgung, vielleicht sogar eine Jugendherberge und stationäre Einrichtungen der Jugendpflege. Es gäbe dort Werkstätten und Makerspaces, eine Bibliothek ein Theater und weitere kulturelle Einrichtungen. All diese Einrichtungen dienen tagsüber den Bildungsinstitutionen und stehen abends und am Wochenende der Kommune zur Verfügung. Durch diese geteilten Nutzungen entstehen höhere Auslastungen der Gebäude und Einrichtungen, also in der Summe Synergien bei der Instandhaltung.
Die kurzen Wege schaffen weitere Synergieeffekte vor Ort, zugegebenermaßen entstehen natürlich teilweise längere Anfahrtswege.


Wenn nun die vor Ort vorhandenen Einrichtung noch untereinander vernetzt werden, entstehen weitere Synergieeffekte. Die Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen könnten lernende in den Grundschulen unterstützen. Sie entlasten so Lehrkräfte im Primarbereich und lernen selbst Verantwortung für andere zu übernehmen. Gleichzeitig können die Grundschülerinnen und -schüler in den vorschulischen Einrichtungen Vorlesestunden abhalten und unterstützen so die Erzieherinnen und Erzieher und stärken ihre Lesekompetenz.
Im ländlichen Raum könnten zum Bildungshub zugehörige Nutzgartenflächen bewirtschaftet werden und die Erträge vor Ort für das Mittagessen verarbeitet werden. Die ansässigen Psychologinnen und Therapeuten könnten Präventionsangebote machen oder Workshops anbieten. Lokale Sportvereine, freiwillige Feuerwehren oder andere ehrenamtliche Institutionen können Angebote machen und so Nachwuchs rekrutieren, ebenso wie Studentinnen und Studenten der nächsten Universitäten.
Weitere Synergien ergeben sich natürlich im Gebäudemanagement, in der IT-Administration, der Personalverwaltung usw.
Diese ganzen Synergieeffekte führen zu multiprofessionellen Teams vor Ort und schaffen Ressourcen und eine Lernumgebung mit unzähligen Möglichkeiten sich kreativ, kollaborativ und kommunikativ auszuprobieren, also genau das, was unsere Gesellschaft für die Zukunft braucht.
Ich denke, es wäre wichtig, dass all die verschiedenen Institutionen des Bildungshubs weitgehend autonom bleiben und zentrale Steuerung möglichst minimalinvasiv erfolgt. Kooperation und Kollaboration der einzelnen Institutionen sollten in einem Leitbild festgehalten werden und es müssen basisdemokratische Entscheidungsstrukturen geschaffen werden, in denen die Kinder und Jugendlichen auf Augenhöhe agieren.

Die inhaltliche Dimension der Veränderung
Nicht zwingend an einen Bildungshub gebunden, aber dort sicher einfacher zu verwirklichen, ist die dritte und inhaltliche Dimension der Veränderung, die bisher nach meiner Einschätzung zu wenig Beachtung findet.
Methoden, Begrifflichkeiten und didaktische Prinzipien müssen vom Kindergarten bis zur Volkshochschule besser synchronisiert werden. All diese Institutionen führen Projekte in den Bereichen Medienbildung, BNE, soziales Lernen oder Sprachförderung durch, was natürlich sinnvoll ist.
Allerdings sind diese nicht vernetzt und nicht synchronisiert, sodass die Kinder und Jugendlichen zum Beispiel mit verschiedenen Begrifflichkeiten konfrontiert sind, die aber das Gleiche meinen.
Bildung im Bereich von BNE oder einer Kultur der Digitalität ist hoch komplex und nur fächerübergreifend denkbar. Ich halte es für unerlässlich hier institutionenübergreifende Konzepte, Methoden und Didaktiken zu entwickeln, die es den Lernenden ermöglichen beim Übergang in andere Institutionen an ihr Vorwissen und ihre Vorerfahrungen anzuknüpfen.
Wenn wir es nicht schaffen hier sinnvollere und stringentere Konzepte zu entwickeln provozieren wir unnötige Reibungsverluste.

Fazit
Mir ist durchaus bewusst, dass ich hier eine Zentralisierung fordere, die auch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist, wie zum Beispiel längeren Wegen für die Lernenden, tiefgreifenden Veränderungen in der lokalen Infrastruktur und die auch Widersprüche zu Dezentralisierungstendenzen hervorruft.
Ich bin aber dennoch der Meinung, dass die Vorteile und Synergien überwiegen. Eine Konzentration der knapper werdenden Ressourcen an einem dafür überdurchschnittlich ausgestatteten und attraktiven Ort ist für Lernende und Lehrende und alle Anderen notwendigen Professionen sicher eine bessere Lösung als marode Einrichtungen mit Personalmangel.
Die Praxistauglichkeit der inneren Dimension der Veränderung wurde schon belegt, die äußere Dimension hat noch einen stark visionären Charakter, von dem ich mir allerdings wünschen würde, dass er in den bildungspolitischen Diskurs Eingang findet. Die inhaltliche Dimension ist eigentlich keine große Hürde und kann in kommunalen Pilotprojekten entwickelt und erprobt werden; das hatte ich an meiner alten Wirkungsstätte schon angebahnt und das will ich gerne an meiner neuen Wirkungsstätte in den nächsten Jahren wieder aufnehmen.
Es gibt also viel zu tun, packen wir es an. Machen ist wie wollen, nur krasser!

Spätere Ergänzungen:

Eine Idee, die mich auch schon länger beschäftigt hatte, wird in Lübeck umgesetzt. Eine Schule im leeren Kaufhaus; belebt auch gleichzeitig die Innenstadt: https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/vier-schulen-ziehen-in-ein-karstadt-kaufhaus/?utm_source=+CleverReach+GmbH+%26+Co.+KG&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter+KW+16%2F2024&utm_content=Mailing_15255171.

2024-10: OEP (Open Educational Practices); mein Beitrag zu einer “Blogparade”

Vorneweg: Dieser Beitrag ist sicher nicht mein Highlight und er gerät auch eher kurz, dennoch möchte ich einen Gedanken einbringen.


Nils Winkelmann hat zur Blogparade zum Thema “Wie öffnest Du Deinen Unterricht?” aufgerufen, an der ich mich gerne beteilige. Er hat in seinem Beitrag einen Schwerpunkt auf Partizipation und Teilen im Sinne von Co-Planning und Co-Agency in einer Kultur der Digitalität gelegt. Tom Mittelbach geht es um Digitalität und Demokratielernen.
Meine einfache Antwort auf die Ausgangsfrage wäre: Gar nicht, weil ich aktuell nicht unterrichte. Das soll aber nicht so bleiben und natürlich habe ich auch eine Unterrichtsvergangenheit und eine Position, ja sogar eine Vision, zum Thema Open Educational Ressources (OER) und Open Educational Practice (OEP).
OER, verstanden als geteiltes oder gemeinsam erstelltes Material, zählen für mich zu den größeren Mysterien des Schulsystems. Fast alle Lehrkräfte wünschen sich das oder fordern es sogar, aber die wenigsten Kollegien bekommen das, außer in mehr oder weniger großen Teilbereichen, hin, obwohl die Vorteile (Arbeitserleichterung/-teilung, Vergleichbarkeit, Schwarmintelligenz zur Qualitätssicherung usw.) ja eigentlich auf der Hand liegen. Noch deutlicher tritt dieses Mysterium bei den OEP auf. Gegenseitige Hospitationen, Team-Teaching usw. werden gerne gefordert, aber selten umgesetzt und wenn, dann ist es schwierig eine wertschätzende Feedbackkultur zu entwickeln, die dann wirklich zu Verbesserungen für Lehrende und Lernende führen.
Das soll jetzt keinesfalls wie billiges Lehrkräfte-Bashing klingen. Die Gründe dafür sind wohl eher systemischer Natur, also muss die wünschenswerte Umsetzung von OER und OEP auch durch eine Systemänderung erfolgen. Wenn lernen in einer Kultur der Digitalität individualisiert und mit einem gescheiten Lernmanagement-System (LMS) in einer offenen Lernkultur stattfindet, dann ergeben sich OER und OEP von selbst. Das gemeinsam erstellte oder ausgesuchte Material ist im LMS hinterlegt und kann bei Bedarf angepasst werden und Lernen findet in offenen Räumen und Prozessen an den Bedarfen der Lernenden orientiert statt.


Sehen kann man das in vielen preisgekrönten Schulen und wer es auf die Spitze getrieben sehen will, der sollte sich mit den Agora-Schulen in den Niederlanden auseinandersetzen (einfach mal googeln).
Spannend wäre es jetzt noch die Rolle der Schulträger, der Bundesländer und der KMK zu betrachten. Auch spannend wäre es jetzt noch weiter zu denken und zu überlegen, was das für die verschiedenen Schulstufen bedeutet, Schulformen sollten durch die Individualisierung ja obsolet sein.
Am Ende sind OER und OEP auch wieder eine Frage der Haltung, die eng mit den systemischen Rahmenbedingungen verknüpft ist. Wenn wir OER und OEP wollen müssen wir an diesen beiden Punkten ansetzen und geschicktes Changemanagment betreiben. Auf geht´s!

Andere Beiträge zur Blogparade:

Jan-Martin Klinge auf Halbtagsblog: https://halbtagsblog.de/2024/03/16/teilst-du-noch-oder-oeffnest-du-schon-2/.

Nils Winkelmanns Digilog-Blog: https://digilog.blog/2024/03/14/aufruf-zur-blogparade-wie-oeffnest-du-deinen-unterricht/.

Tom Mittelbach: https://www.tommittelbach.org/2024/03/16/4909/.

Gratian Ritter, der SEAgent: https://seagent.de/soziale-einbindung-vernetzung-offenheit/.