2025-05: Lehrkräftegesundheit

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 und 2025 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Zusätzlich hat Susanne Posselt hier eine beschreibbare Taskcards-Pinnwand erstellt. Die gibt’s hier.

Ich überlege schon länger, was ich zu diesem Thema beitragen kann und muss gestehen, dass das für mich persönlich ein etwas blinder Fleck ist.
Natürlich versuche ich in der Schule Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Kollegium Möglichkeiten zur Gesunderhaltung schaffen, so schwer das in unserem Job ist. Wir nehmen an einem Zertifizierungsprogramm des Ministeriums teil, welches Bewegung und Achtsamkeit für alle in Schule fördern soll, ich führe aktuell jede Woche sogenannte Integrationsgespräche mit Kolleginnen und Kollegen, die eine hohe Anzahl an Krankheitstagen haben, um Möglichkeiten auszuloten deren Dienstfähigkeit zu erhalten. Am Ende gehört das aber auch zu den Aufgaben, für die ich nicht ausgebildet bin und von denen ich nicht wirklich Ahnung habe.
Ich weiß, das viele Kolleginnen und Kollegen hohe Belastungen haben, die sicher nicht gesund sind, dass es keine geregelten Pausenzeiten oder vernünftige Rückzugsmöglichkeiten gibt. Ich weiß, dass wir unter entgrenzten Arbeitszeiten leiden und zunehmend mit Schicksalen konfrontiert werden, mit denen wir schwer zurecht kommen und oft genug alleine gelassen sind.
Ich weiß auch, dass ich als Schulleiter viele Kolleginnen und Kollegen mit Konferenzen, Klassenkonferenzen, Berichten, Stundenplanänderungen, Lerngruppenwechseln und vielem mehr belaste, habe aber oft keine Ideen, wie ich das entlastender gestalten kann.
Wir brauchen alle echte Entlastung zur Erhaltung unserer Gesundheit. Wir müssen wirklich Dinge abschaffen, alles muss auf den Prüfstand: Förderpläne, Halbjahreszeugnisse, Klassenarbeitszahlen, Lehrplaninhalte, Dokumentationspflichten usw. Studien zeigen ja, dass nicht nur die Gesundheit der Lehrkräfte leidet, sondern auch die der Schülerinnen und Schüler.

Und zuletzt bin ich bei der Gesunderhaltung auch kein gutes Vorbild. Und arbeite deutlich mehr Stunden als ich muss, ich lege Termine in die Mittagspause, Esse am Computer, zu viel und zu ungesund. Ich treibe zu wenig Sport und sitze zu viel am Schreibtisch. Anders ist das Pensum aber oft kaum zu bewältigen, zumal ich ja auch noch daran interessiert bin, Schulentwicklung zu betreiben, für eine hoffentlich bessere Zukunft. Auch bei den Aufgaben für Schulleitungen bedarf es der Deimplementierung.

Am Ende stelle ich fest, dass dieses Thema der Blogparade eines ist, zu dem ich keinen wirklich konstruktiven Beitrag leisten kann. Das ist eigentlich eine Katastrophe.

Weitere Beiträge:
Herr Mess: https://herrmess.de/2025/01/23/edublogparade-2025-folge-1-lehrergesundheit/.
Frank Zinecker: https://schulgedanken.de/blogparade-lehrergesundheit.
Frau Kreis: https://fraukreis.wordpress.com/2025/01/26/edublogparade-2025-folge-1-lehrkraftegesundheit/.
Susanne Posselt: https://susanneposselt.de/lehrkraeftegesundheit/.

2025-04: Wird Schule Hyperkomplex? (Oder sogar unser ganzes Leben?)

Ich habe heute mit meinem ehemaligen Chef telefoniert und er hat mir erzählt, dass er im Moment gerne den Begriff „unterkomplex“ gebraucht, aus Gründen. Mir ist daraufhin eingefallen, dass ich im letzten Mai bereits einen Blogartikel geschrieben habe, in dem ich feststelle, dass wir Schule unterkomplex organisieren, was ich daran festmache, dass wir viele Konzepte für einzelne Themen (Demokratiebildung, Medien, Sucht- und Gewaltprävention usw.) schreiben, die alle schön nebeneinander stehen. Eigentlich müssten diese aber alle zusammengedacht werden, da sie inhaltlich zusammenhängen, diese Zusammenhänge also komplexer sind als wir sie in den Konzepten abbilden und dass deshalb diese Konzepte oft wirkungslos bleiben.
Diese Beobachtung bedeutet natürlich im Umkehrschluss, dass die in der Schule und überhaupt abgebildete Realität komplexer wird. Diese Vorstellung ist ja nicht neu und bestimmt den öffentlichen Diskurs schon länger, vermutlich seit Beginn der Neuzeit, mit dem auch technische und wissenschaftliche Entdeckungen sich beschleunigend zunehmen. Dies führt natürlich zu gesellschaftlichen Verwerfungen, zu so genannten Disruptionen, Brüchen, die nicht ohne Konflikte vonstatten gehen. Frederic Laloux spricht in seinem Buch „Reinventing Organisations“ vom erreichen einer neuen Evolutionsstufe, Andreas Reckwitz von einer Gesellschaft der Singularitäten, wir ordnen uns ins Zeitalter der Postmoderne ein, Colin Crouch hat zur Jahrtausendwende den Begriff der Postdemokratie geprägt und immer wieder ist die Rede, auch in meinen Beiträgen, von einer VUCA- oder BANI-Welt, diese Akronyme enthalten ja die Begriffe Komplexität und Unbegreiflichkeit.
Aladin El Mafaalani spricht im Bezug auf Schule immer wieder von Superdiversität im Klassenzimmer und meint damit eine Steigerungsform der allseits bekannten Heterogenität der Lernenden, mit der es Schulen zu tun haben. Die psychischen Belastungen der Schülerinnen und Schüler nehmen zu, die Anzahl der Inklusionsfälle, der Förderpläne, die curricularen Inhalte, die Forderung nach neuen Fächern, die Dokumentationspflichten, die Rechtsverordnungen, die statistischen Erfassungen, die Datenschutzformulare, die zu erstellenden Konzepte und so weiter. All das sind Symptome einer zunehmenden Komplexität in der Schule im Besonderen und in der Gesellschaft im Allgemeinen. All dies führt zu einer Überforderung der einzelnen Akteure in den Schulen, aber auch in der Gesellschaft (und da haben wir noch gar nicht über internationale Politik oder den politischen Diskurs in Deutschland im Besonderen gesprochen, was ich an dieser Stelle auch ausspare beziehungsweise im Epilog anspreche).
In jedem Fall führt diese zunehmende Überforderung der Einzelnen, die der oder die Einzelne ja auch nicht so ohne weiteres zugeben kann, zu mehr Konflikten und Vandalismus in Schule und Gesellschaft und zu mehr Krankheitstagen und Burnout. Irgendwo muss dieses Gefühl der Überforderung und Getriebenheit ja auch hin.
Gleichzeitig, und das zeigt zum Beispiel der aktuelle Wahlkampf, verspricht man uns, das alles zumindest so bleibt wie es ist, oder, besser noch, so schön wird, wie es früher einmal gewesen sein soll. Natürlich wünschen wir uns eine vermeintliche Einfachheit (und Unschuld) zurück, die es so wahrscheinlich nie gegeben hat. Natürlich ist es einfacher, wenn wir den Klimawandel einfach ignorieren und uns glauben machen, dass mit der Rückkehr der Atomkraft Energie billiger und umweltfreundlicher wird. All das sind verständliche Reaktionen auf die zunehmende Komplexität der Welt. Aber insgeheim wissen oder spüren die meisten Menschen instinktiv auch, das hoffe ich zumindest, dass es so nicht funktionieren wird.
Also müssen wir uns der Komplexität stellen, wir müssen einsehen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, dass es Anstrengungen bedarf unseren Wohlstand und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erhalten. Das Versprechen eines vermeintlich immer einfacheren Lebens mit immer mehr Wohlstand und Konsum geht nicht mehr auf, wir brauchen eine neue Vision, einen neuen Konsens.
Zurück zu meinem eigentlichen Thema. Für Schule und Bildung bedeutet das, dass wir eine neue Form von Bildung und Erziehung entwickeln müssen, die noch mehr das Miteinander und einen bewussten Konsum in den Fokus nimmt. Demokratie- und Menschenbildung, dazu Medienkompetenz und Resilienztraining, kritisches Denken und Kompetenzen in Kommunikation und Kollaboration, kreativer Umgang mit Herausforderungen und so weiter müssen im Vordergrund stehen und kein Prüfungs- und Fächerkult.

Epilog
Ich habe leider Zweifel, dass uns das nötige Umdenken aktuell gelingen kann und das hat mit einer Beobachtung zu tun, die ich jeden morgen auf meinem Schulweg mache, wenn ich die Darmstädter Straße überquere und die Wahlplakate am Gitter der Brücke über den Hengstbach sehe und unser aktueller Bundeskanzler darauf „Mehr für Dich“ verspricht (andere Parteien versprechen das auf ähnliche Weise). Dieses Versprechen ist aus wahlkämpferischer Sicht verständlich, wer würde schon eine Partei wählen, die weniger verspricht. Aber eigentlich müssten wir genau darüber sprechen. Wir werden weniger Renten bekommen, wir werden weniger konsumieren müssen, wir werden weniger Reisen können, wir werden uns im Allgemeinen mit weniger zufrieden geben müssen, alleine schon weil die Ressourcen knapper werden und weil die Gesellschaft einem demographischen Wandel unterliegt. Insofern ist auch das Versprechen „Mehr für alle“ eine viel zu einfache Antwort auf die komplexen Probleme mit denen wir konfrontiert sind. Das gilt für viele andere Versprechen im Wahlkampf genauso.
Der Schlüssel für die Lösung unserer Probleme ist eine andere Bildung. Wenn wir den nächsten Generationen schon einen ausgebeuteten und geschundenen Planeten mit fragmentierten Gesellschaften in einer gegebenenfalls neoimperialistischen Weltordnung hinterlassen, sollten wir ihnen wenigstens schon jetzt eine Bildung zukommen lassen, die sie in die Lage versetzt mit dieser Hinterlassenschaft umzugehen.

Redaktionelle Anmerkung
In einer ersten Version des Artikels wurde im Epilog der Slogan auf dem Wahlplakat falsch zitiert („Mehr für alle“). Die korrekte Version verändert die inhaltliche Aussage aber nicht.

2025-03: Warum wir einen neuen Literacy-Begriff brauchen. Eine Streitschrift?

Ich erinnere mich noch ziemlich genau an den PISA-Schock, den die erste PISA-Studie 2000 ausgelöst hat (Hintergründe zur PISA-Studie). Ich war noch Student und diese Studie war die erste Studie, die ich ganz gelesen habe, ich habe sogar, ich glaube es war im Hauptseminar Erziehungswissenschaften, ein Referat darüber gehalten.
Zu den Haupterkenntnissen, neben den schwächer werdenden deutschen Schulleistungen und der erschreckenden Abhängigkeit des Erfolgs im Schulsystem von der sozialen Herkunft, gehörte für mich definitiv der in der Studie verwendete Begriff von Literacy. Dieser konnte nicht einfach mit Lesefähigkeit gleichgesetzt werden, sondern bedeutete mehr. Literacy ist demnach:
Lesekompetenz wird bei PISA als Fähigkeit verstanden, Texte zu verstehen, zu nutzen, zu bewerten und über sie zu reflektieren sowie bereit zu sein, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, um eigene Ziele zu erreichen. Lesekompetenz ist danach die Grundlage dafür, eigenes Wissen und Potenzial zu entwickeln und an der Gesellschaft teilzuhaben. Um dieser umfassenden Definition der Lesekompetenz gerecht zu werden, deckt der PISA-Test verschiedene Arten von Texten und Aufgaben in verschiedenen Schwierigkeitsstufen ab.“ (Quelle)
Es geht also nicht nur darum einen Text zu lesen, sondern weit darüber hinaus. Der Text muss auch verstanden, genutzt und reflektiert werden, ja sogar um die Fähigkeit zur Partizipation mit eigenem Wissen und Potenzial. Aber die Literacy-Fähigkeit ist an den Text gebunden, wenn auch verschiedene Arten von Texten. Dazu zählen auch so genannte nicht kontinuierliche Texte, wie Grafiken oder Tabellen.
In den letzten Jahren wurde dieses Verständnis noch weiter erweitert:
„Seit 2018 gibt es bei PISA zudem Leseaufgaben, die das Einschätzen der Qualität und Glaubwürdigkeit von Textaussagen erfordern. Zusätzlich wird bei PISA die Fähigkeit erfasst, Informationen durch das Navigieren auf Webseiten zu finden – eine wichtige Komponente des digitalen Lesens.“ (Quelle)

Es fand also eine Erweiterung in Richtung einer Digital-Literacy statt, damit ist das Erfassen von linear und nicht-linear gemischten Texten gemeint, zum Beispiel Webseiten mit Bildern und Grafiken.

In der letzten Zeit ist zusätzlich zu dieser Begriffserweiterung immer wieder einmal die Rede von Data-Literacy oder AI-Literacy. Damit kommt, neben der bis dato stattgefundenen Erweiterung des Begriffs auf der sichtbaren Ebene, noch eine weitere Dimension zum Literacy-Begriff hinzu. Es geht dabei um ein Verständnis von Prozessen, die zu variablen Ergebnissen auf der sichtbaren Ebene führen. Ich muss ein Verständnis für die Verknüpfung, Sammlung und Verarbeitung von Daten haben, die dann durch algorithmengesteuerte Sprachmodelle einer KI in einem von mir initiierten interaktiven Prozess mit dem Sprachmodell ein „personalisiertes“ Ergebnis anzeigen. Chat-GPT und Co liefern keine reproduzierbaren Ergebnisse mehr.
Dies erfordert ein wiederum erweitertes Verständnis von Literacy, eben eines das nicht nur ein für alle gleich visualisiertes Ergebnis betrachtet, sondern eines, das mit dynamischen Ergebnissen umgehen kann. Das deutet sich schon in dem oben zitierten Einschätzen der Qualität und Glaubwürdigkeit von Textaussagen an, geht aber noch weiter. Es beinhaltet Elemente von Quellenkritik aus der Geschichtsforschung und von Ideologiekritik aus der Theorie der politischen Urteilsbildung und bezieht sich auf Texte, Audios, Videos, Bildern und Grafiken aller Art, die im Zeitalter der KI (ja, ich weiß, dass der Begriff „KI“ im Kontext nicht ganz korrekt, aber gebräuchlich ist) massenhaft reproduzierbar und generierbar sind. Die Grenzen zwischen wahr und falsch, künstlich und natürlich, guter und böser Intention, Manipulation und Aufklärung beginnen zu verschwimmen und auf dieser Ebene muss sich eine neue Form von Literacy entwickeln, die neben der Dimension des Sichtbaren und Offensichtlichen auch das Unsichtbare und Verdeckte in den Blick nimmt, also einen noch stärkeren Fokus auf die Intention richtet und gleichzeitig die technische Dimension der Algorithmizität und deren Grenzen und Möglichkeiten betrachtet.
Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, ergeben sich für mich zwei wesentliche Erkenntnisse:

  1. Das Verständnis von linearen und nichtlinearen Texten wird um eine Ebene ergänzt, nennen wir sie post-lineare Texte, deren sichtbare Ebene nicht mehr statisch ist, sondern variabel, weil mit Big-Data KI-generiert. Das macht das Lesen von Informationen noch schwieriger und ist Teil der wachsenden Herausforderungen, mit denen wir in unserer Welt lernen müssen umzugehen.
    Historisch gesehen wird unser Leben körperlich immer weniger anstrengen, geistig aber dafür umso mehr, weil der Komplexitätsgrad unseres Weltverständnisses immer größer wird.
  2. Das hat unmittelbaren Einfluss auf unseren Bildungsbegriff und damit auf die Art und Weise, wie wir Schule machen. Der Umgang mit Daten und Informationen lässt sich immer schlechter in Fächern kategorisieren und kanonisieren. Reines Wissen steht in riesigen Mengen zur Verfügung, man geht davon aus, dass sich die Menge der wissenschaftlichen Erkenntnis alle fünf bis zwölf Jahre verdoppelt. Das ist für einen einzelnen Menschen schier unfassbar. Dieses Wissen steht aber in großen Teilen digital zur Verfügung und lässt sich mit und ohne Hilfe von KI recherchieren. Problematisch ist hierbei allerdings, dass, wie oben beschrieben, die Qualität der Informationen mit fächerübergreifenden Kompetenzen kritisch hinterfragt werden muss. Das ist es, was wir in Schulen lernen und lehren müssen. Wie lese ich die Flut von Wissen und Informationen richtig? Wie kann ich diese finden, bewerten, sortieren, kategorisieren, hierarchisieren, verifizieren, kommunizieren, teilen, ablegen usw. Dafür werden Kompetenzen aus allen „klassischen“ Schulfächern gleichzeitig gebraucht.
    Dann macht aber das Lernen in Fächern und Stunden im Gleichtakt, mit Klassenarbeiten und Hausarbeiten keinen Sinn mehr. Dann müssen wir Umgang mit und Gestaltung von Wissen vermitteln. Wir müssen Lernen zu kollaborieren und zu hinterfragen, wir müssen Lernprozesse individualisieren und begleiten, um Potenziale zu entfalten. Wenn sich die Welt so rasant verändert, müssen wir in der Schule nicht nur die Vermittlung von Kompetenzen, und ja natürlich auch noch Wissen, in den Blick nehmen, sondern auch Resilienz und Salutogenese. Wir müssen lernen in einer VUCA- und BANI-Welt zu leben und zu lernen und uns auf eine Zukunft vorzubereiten, die noch nie so unvorhersagbar war, in der Unsicherheit als Lernchance begriffen wird und Ambiguitätstoleranz eine zentrale Kompetenz im Bereich der Literacy ist (vgl. dazu Isabella Buck, vor allem den Schluss).

Schlussbemerkung
Dieser Text ist sperrig, das ist mir klar. Er ist auch etwas wirr und vielleicht nicht immer ganz nachvollziehbar. Er scheint mir auch noch nicht fertig, wahrscheinlich arbeite ich noch weiter daran. Daher ist Feedback natürlich sehr willkommen.
Der Text ist mir aber, und das gilt für einige meiner Blogbeiträge, persönlich wichtig, weil er mir hilft Gedanken zu strukturieren und auszuformulieren. Er hilft mein persönliches Weltbild zu modellieren und zu strukturieren und ist damit ein Mosaikstein meines Blogs, in dem ich nach und nach ein hoffentlich im konsistenteres Gesamtbild eines Gesellschafts- und Bildungsbegriffs entwickle, der mich meinem Ziel, der Entwicklung eines Bildungsmodells für das 21. Jahrhundert, näher bringt.

2025-02: Dammbrüche allenthalben

Visualisierung dieses Beitrages durch DALL-E

In diesem Beitrag geht es nur mittelbar um Bildung.

Neben all den herausfordernden Geschehnissen und Entwicklungen auf der Welt, möchte ich in einem kurzen Beitrag zwei Ereignisse thematisieren, die heute viral gingen.

Erstens, die Ankündigung von Mark Zuckerberg die Moderation von Inhalten auf den Meta-Plattformen (Instagram, Facebook, Threads) nicht mehr von Faktencheckern durchführen zu lassen, sondern, orientiert an Elon Musks Vorbild X, die Nutzer dafür einzubinden. Außerdem soll im Zuge der „Redefreiheit“ weniger Content gelöscht werden, zum Beispiel soll es weniger Einschränkungen bei Themen wie Migration und Gender geben. Es ist klar, wer hier weniger eingeschränkt werden soll, zumal Zuckerberg gleichzeitig ankündigt enger mit Trump zusammenarbeiten zu wollen. (Vgl. hierzu zum Beispiel heise.de oder SPON)
Johanna Stella Kompa schreibt dazu auf LinkedIn:
„Die Medien selbst haben der Wahrheit, der Vernunft, der Empathie und der Toleranz den Krieg erklärt. In den kommenden Wochen und Monaten werden wir alle, die wir in der Medienpädagogik und Medienbildung arbeiten, darüber nachdenken müssen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Unsere Workshops erscheinen wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen neue Formate und Allianzen.“
Ja, das hat einen großen Einfluss auf unsere Arbeit, weil jetzt neben dem weitgehend unregulierten TikTok auch die bei den Jungen verbreitete Plattform Instagram und die bei den eher Älteren beliebte Plattform Facebook mit noch mehr Inhalten geflutet werden, die von gesellschaftszersetzend über demokratiegefährdend bis zu kriminell reichen. Verfassungsfeindliche Meinungen, Pornografie und Volksverhetzung, die Unterdrückung und Diffamierung von Minderheiten, Migranten und ohnehin marginalisierten Gruppen wird zunehmen und „salonfähiger“ werden. Ja, die Veränderungen betreffen Europa zunächst (noch?) nicht, aber es ist ein Trend zu erkennen, wie BigTech und Ultrareiche mit Medien umgehen und Öffentlichkeit manipulieren und instrumentalisieren (vgl. auch das Verbot einer kritischen Karikatur durch Jeff Bezos in der Washington Post).
Was sollen wir im Bildungsbereich dem noch entgegensetzen? Die halbherzig geführten Diskussionen um Social Media-Verbote für Jugendliche sind nicht unproblematisch, aber vermutlich unverzichtbar. Die Bestsellerautorin Silke Müller schreibt dazu auf LinkedIn:
„Wir tragen diese Nonsens-Diskussion und die Notwendigkeit von Verboten und Regulierungen auf dem Rücken der Kinder aus, anstatt endlich gemeinsam zu reagieren. Es braucht sofortige Einschränkungen, Regulierungen, Grenzen und JA, AUCH VERBOTE! Zum unbedingten Schutz der Kinder im Netz.“
Hier passiert gerade etwas. Die Sozialen Medien, aber auch die „klassischen“ Medien, entgleiten uns mit ungeahnten Folgen für die Gesellschaft. Ich nenne hier abschließend noch ein paar weitere Stichpunkte, um das zu unterstreichen: die (annullierten) Wahlen in Rumänien und TikTok, die Manipulation von X durch Musk und dessen Einflussnahmen auf die Politik, TikTok-Challenges, Echokammern, Telegram-Kanäle, Musks Grok-Interview in der Welt, NIUS usw.
Wir werden „darüber nachdenken müssen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. (…) Wir brauchen neue Formate und Allianzen.

Auf den zweiten Punkt wurde ich von dem „Cyberkriminologen“ Prof. Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger auf Instagram aufmerksam gemacht. Er schreibt dort:
„Aktuell gibt es mit der Seite „They See Your Photos “ eine Experimentierplattform, auf der jeder selbst testen kann, wie gut KIs mittlerweile in der Lage sind, Informationen aus Bildern zu extrahieren. Die Plattform nutzt dabei Google Vision AI. Die Seite versteht sich auch als Aufklärungsprojekt und soll den Menschen zeigen, wie viele Inhalte und Erkenntnisse eine KI mittlerweile aus einfachen Bildern herauslesen kann.“
Das sieht für mich zum Beispiel so aus:

Genauer heißt es da:

InsightsHis calm demeanor and apparent comfort suggest a predictable consumer behavior pattern, making him an ideal target for financial products and outdoor gear. The subtle background also offers an opportunity to subtly integrate our ads into his daily experiences.
PredictionHe will become increasingly reliant on technology to maintain a sense of connection, which will leave him feeling more alone and vulnerable to our influence. His routine will be tracked and used to further predict his actions and reactions.

Ich halte das zwar nicht für sonderlich korrekt und präzise, es verdeutlicht aber eine Konsequenz von Big Data und KI, die immer offensichtlicher wird. Unsere Bilddaten in den Clouds und in den Sozialen Medien können von KI analysiert werden und dann zu Marketingzwecken gebraucht (oder besser missbraucht?) werden. Das geschieht auch nicht mehr unverhohlen, sondern steht dort ja explizit: ich werde zu einem idealen Ziel für Finanzprodukte und Outdoor-Ausrüstung. Der subtile Hintergrund bietet zudem die Möglichkeit, Werbung unauffällig in meinen Alltag zu integrieren. Und in der Vorhersage: „Er wird zunehmend auf Technologie angewiesen sein, um ein Gefühl von Verbundenheit aufrechtzuerhalten, was ihn jedoch isolierter und anfälliger für unseren Einfluss machen wird. Sein Alltag wird verfolgt und genutzt, um sein Verhalten und seine Reaktionen noch präziser vorherzusagen.“
Das ist schon perfide und ein weiterer Schritt in der Kommerzialisierung von Big Data. Ich werde direkt als Opfer betrachtet, dessen Schwächen ausgenutzt werden müssen.
Hier kann man das Ganze direkt bei Google Vision AI testen und erhält Einblick in das kommerzielle Modell dahinter. Neukunden bekommen 300 $ Startguthaben…

Fazit
Warum eigentlich Dammbrüche?
Weil hier zwei Ereignisse herausgepickt wurden, die ich in einem größeren Kontext sehe. Es kippen gerade einige Dinge in unserer Gesellschaft. Big Tech und die damit verbundenen Plattformen entfesseln gemeinsam mit libertär geprägten Politikern einen ungehemmten Kapitalismus. Gleichzeitig werden Gesellschaften gespalten und relevante Teile dieser zunehmend marginalisiert. Menschenverachtung wird wieder salonfähig und nackte Machtpolitik wieder praktiziert. Trump kann unverblümt Annexionsgedanken gegenüber Grönland oder dem Panama-Kanal äußern und wird dafür in bestimmten Kreisen und sozialen Medien auch noch bejubelt. Als Geisteswissenschaftler spüre ich hier Zusammenhänge und gefährliche Entwicklungen. Wir müssen wachsam bleiben und den Anfängen wehren. Hoffentlich ist es nicht schon zu spät…

2025-01: Mein persönlicher Jahresrückblick = Beitrag zur Blogparade (Rück-)Besinnung

Bild: DALL_E

Tempus fugit. Wieder ist ein Jahr vergangen und es ist Zeit für eine (Rück-)Besinnung. Ich verbinde hier meinen persönlichen Jahresrückblick und den Aufruf zur Blogparade zum Thema „(Rück-)Besinnung“ von Susanne Posselt.
2023 hatte ich für mich als Jahr der Künstlichen Intelligenz bezeichnet. Dieses Thema hat sich auch in diesem Jahr fortgesetzt, ist aber immer noch nicht so recht in den Schulen angekommen. Das Jahr 2024 war für mich das Jahr, in dem ich in meinem (neuen) Job als Schulleiter so richtig angekommen bin.
Natürlich hatte ich eine vage Vorstellung, was es bedeutet als Schulleiter zu arbeiten, aber natürlich noch keine echte Erfahrung. Nach 1,5 Jahren bin ich aber immer noch davon überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war, diese Verantwortung zu übernehmen und ich liebe immer noch was ich tue. Ich kann tatsächlich Schule verändern, beziehungsweise Menschen in meiner Schulgemeinschaft empowern, Schule zu verändern. Dabei entstehen ganz tolle Projekte und Arbeitsgruppen mit vielen tollen Ideen und Umsetzungen (mehr dazu im WfS Blog). Natürlich ist nicht alles toll, aber in der Summe überwiegt doch das Positive, ich spüre eine Selbstwirksamkeit und bekomme oft positives Feedback. Das gibt die Kraft die hohe Arbeitsbelastung zu bewältigen.
Wenn ich das Jahr Revue passieren lasse, mich also zurück besinne indem ich meinen Kalender durchblättere und in mich gehe, fällt mir erst so richtig auf was so alles in ein Jahr passt.
Ich werde immer wieder gefragt, wie ich das alles mache was ich so mache und ich antworte dann immer, dass mein Beruf auch mein Hobby ist. Meine großen Themen sind Schulentwicklung, Vernetzung und Demokratie- und Medienbildung. So langsam bin ich der Überzeugung, dass ich das was ich tue auch ganz gut mache. Ich gehöre zu den Menschen, die immer wieder zweifeln und reflektieren, ob sie Dinge gut genug machen oder überhaupt befähigt sind einen Vortrag zu halten oder einen Blogbeitrag wie diesen zu schreiben. Interessiert das überhaupt jemanden, hat es einen Mehrwert? Vermutlich ist das ein leichtes Impostor-Syndrom. Dazu gehören vermutlich auch die Selbstzweifel an meinem „Führungsstil“. Ich bin nicht der Typ, der Entscheidungen schnell trifft und diese dann rücksichtslos durchboxt, ich wäge lange ab und Versuche möglichst viele Betroffene zu hören und zu vermitteln und nach Möglichkeit Lösungen zu finden, die für möglichst viele Beteiligte tragfähig sind. Das kann man mir (und tut man auch) als Führungsschwäche auslegen, aber ich werde diesem Vorgehen treu bleiben, weil mir Authentizität wichtig ist und weil es mir wichtig ist, diese dann auch vorzuleben.

Ich werde in diesem Beitrag keine Auflistung der Erfolge des vergangenen Jahres machen, das habe ich zum Beispiel hier oder im oben verlinkten Blog WfS 2030 schon getan. Wichtig ist mir zusammenfassend zu erwähnen, dass wir in 2024 Strukturen geschaffen haben (Selbstständige Schule, DNA-Gruppe, Think- und Do-Tank, AG Handynutzung uvm.), die einen Boden bereiten für großartige Entwicklungen, die sich hoffentlich in diesem Jahr verstärkt zeigen. Es geht um mehr Schülerinnen- und Schülerbeteiligung, eine Demokratisierung des Schulalltages und den Beginn eines Prozesses zur Haltungsveränderung, um unser schulisches Zusammenleben und Wirken auf eine neue, eine modernere und tragfähigere, Basis zu stellen. Das ist es, wofür ich brenne, das ist es wobei ich Selbstwirksamkeit spüre, weil ich meine kleine Welt und damit einen Ausschnitt aus der großen Welt positiv verändern kann und damit zu einer enkelfähigen Zukunft und zu einer lebenswertere Welt beitrage, die wir in diesen unruhigen Zeiten alle gut gebrauchen können.
Deshalb werde ich unermüdlich weiter machen, werde weiter für Vernetzung sorgen und für ein zeitgemäßes Bildungssystem werben und versuchen positiven Einfluss zu nehmen, wo mir das möglich ist.

Weitere Beiträge zur Blogparade
Herr Mess: https://herrmess.de/2024/12/22/edublogparade-2024-folge-9-rueck-besinnung/.
Susanne Posselt: https://susanneposselt.de/rueckbesinnung/.
Jan-Martin Klinge: https://halbtagsblog.de/2024/12/20/schuljahresabschluss-rueckbesinnung-blogparade/.
Dr. Michael Drabe: https://schule-in-der-digitalen-welt.de/1-vernetzt-euch/.
Bildungssprit: https://bildungssprit.de/blog/rueck-besinnung-was-wirklich-zaehlt-in-der-bildung-edublogparade-nr-9.

2024-28: Open-Book-Klausur mit KI Nutzung, ein Erfahrungsbericht

Ich unterrichte auch Geschichte an einem Abendgymnasium, zurzeit eine E-Phase. Die Besonderheit dieser Lerngruppen ist die einerseits ausgesprochene Heterogenität der Lernenden, da diese aus den verschiedenen beruflichen Kontexten kommen und in der Regel noch im Berufsleben stehen, teils schon älter sind, andererseits aber eigenständig den Wunsch sich am Abitur zu versuchen entwickelt haben und daher entsprechend motiviert sind. Erfahrungsgemäß tun sich viele der Lernenden in Geschichte etwas schwer, weil sie hier durch intensive Textarbeit, Textverständnis und Schreibarbeit gefordert sind, was viele so nicht kennen. Deshalb habe ich hier schon häufiger, gerade bei der ersten Klausur mit Open-Book-Formaten gearbeitet, das heißt, die Schülerinnen und Schüler durften ihre Aufzeichnungen und das Schulbuch benutzen, was eigentlich immer als positiv empfunden wurde, da es die Lernenden mental entlastet hat. Dieses Mal bin ich einen Schritt weiter gegangen und habe in der Klausur vom 08.11.2024 die Nutzung von mobilen Endgeräten erlaubt (die Lernenden haben alle ein solches und auch Zugang zu einem W-LAN), was explizit die Nutzung von KI einschloss.

Wir haben im Vorfeld bereits darüber gesprochen, dass die Nutzung des Internets und der KI zwar eine Erleichterung sein kann, dass aber der Faktor Zeit dadurch entscheidender wird. Es war also allen klar, dass ohne rudimentäre Kenntnis der Inhalte nicht genug Zeit vorhanden sein würde, um die Inhalte nachzulesen. Außerdem lag der Klausurtext, Die Verfassungsdebatte aus Herodots „Bücher der Geschichte“ (3, 80-83), nicht elektronisch vorliegt und auch nicht bekannt war, sodass dieser dennoch erst sinnerfassend gelesen und verstanden werden musste. Der Text war bewusst gekürzt und knapp gehalten und durch wenige Annotationen und biografische Angaben zu Herodot entlastet.

Die Aufgabenstellung war typisch für eine Klausur in der E-Phase:
1. Fassen Sie die im Text genannten drei Positionen zu einer zukünftigen Staatsform in eigenen Worten knapp zusammen (Konjunktiv!). (25BE)
2. Analysieren Sie die Quelle anhand eines ihnen vorliegenden Analyseschemas. (50BE)
3. Nehmen Sie Stellung zu der Aussage: „Denn Besseres kann man nicht finden als den einen Mann, der der Beste ist. (…)“ (Z. 40f.) Argumentieren Sie mit historischen und aktuellen Argumenten. (25BE)

Zusätzlich habe ich folgende Arbeitsanweisung gegeben:
Die Klausur ist eine „Open-Book-Klausur“, das heißt, Sie dürfen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel (Aufzeichnungen, Bücher, Internet, KI usw.) benutzen. Allerdings müssen Sie am Ende angeben, welche Hilfsmittel sie für welche Teile benutzt haben (z.B. durch Quellenangaben mit Fußnoten).

Was waren die Learnings für mich (natürlich alle im Bereich der anekdotischen Evidenz)?

  • Wie schon bei den Open-Book-Klausuren ohne KI, werden die Leistungen mit KI auch nicht schlagartig deutlich besser. Auffällig war allerdings, dass es im Vergleich zu den Klausuren ohne Hilfsmittel und ohne KI, weniger Minderleistungen gab.
  • Schülerinnen und Schüler mit sprachlichen Schwierigkeiten konnten eher nicht von der KI-Nutzung profitieren. Die Auswertung und Bewertung dieser Klausuren, sowie die Beobachtung während der Klausur zeigt, dass diese Lernenden viel zu lange damit beschäftigt sind, den Quellentext zu verstehen und so kaum Zeit haben sich mit den anderen Aufgaben zu beschäftigen oder dazu, mangels inhaltlichem Verständnis, dazu nicht in der Lage sind. Das ist übrigens eine Beobachtung, die ich nicht nur im Abendgymnasium mache. Das heißt aber, dass das ein Bereich ist, in dem eine KI nicht hilfreich ist, bzw. sogar vorhandene Defizite noch verstärkt. Ich würde daraus zwei Schlüsse ziehen:
    1. Sinnerfassendes Lesen und der Umgang mit (auch schwierigeren) Texten, müssen, auch in der Oberstufe, stärker gefördert werden. Im Grunde benötigt es dazu zusätzliche Stunden und Übungen. Dass die Vermittlung von Literacy ein großes Problem im deutschen Schulsystem ist, wissen wir ja seit dem ersten großen Pisa-Schock zu Beginn des Jahrtausends.
    2. Wenn leseschwache Lernende von der KI-Nutzung profitieren sollen, müssen die Quellentexte digital zur Verfügung stehen, damit sie von KI übersetzt, zusammengefasst und erklärt werden können. Das löst aber nicht das Problem aus 1., könnte aber das Problem einer sprachlichen Barriere mindern.
  • Die Lernenden sollten ja angeben, wo und wie sie Hilfsmittel genutzt haben, das hat eher mäßig funktioniert und muss noch geübt werden. Das Problem kenn ich allerdings schon aus dem Umgang mit klassischer Zitation, das bedarf Übung. Außerdem ist aufgefallen, dass gar nicht alle Schülerinnen und Schüler mit KI gearbeitet haben, manche sogar nicht einmal das Internet genutzt haben. Das ließ sich jetzt allerdings nicht mit bestimmten Leistungen verbinden.
  • Auffällig war außerdem, das war eigentlich zu erwarten, dass innerhalb der Klausuren einzelne Textabschnitte große stilistische und orthografische Unterschiede aufwiesen. Es war also gut zu erkennen, wo KI genutzt wurde und wo nicht. Und da wird es noch einmal interessant: Bei der Analyse der KI-generierten Textstellen hatte ich das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler KI eher als Suchmaschine nutzen und dann einfach Ergebnisse übertragen. Hier bietet sich ein Ansatz zur Weiterarbeit, weil wir hier gut an konkreten Beispielen an Promptingkompetenzen arbeiten und über Chancen und Grenzen von LLM diskutieren können, was ich dann nach den Ferien aufgreifen will. Natürlich habe ich mit den Schülerinnen und Schülern schon darüber gesprochen und ich habe auch einschlägige Tipps dazu in unserer den Unterricht begleitenden Taskcard, aber das scheint mir noch nicht ganz angekommen, bzw. wurde von mir unzulänglich unterrichtet.

Wie haben die Lernenden die Klausur empfunden?

Ich habe die Schülerinnen und Schüler um ein Feedback in einer Zielscheibe über oncoo gebeten (leider hat sich nur knapp die Hälfte beteiligt).

  • Es zeigt sich, dass die Lernenden das Open-Book-Format eher gut fanden, es gibt einen „Ausreißer“ und es vor allem Sicherheit gegeben hat, was den grundsätzlichen Erfahrungen mit diesem Format entspricht.
  • Zwar fanden fünf bis sechs Lernende die Nutzung von KI bei der Bearbeitung der Teilaufgaben eher hilfreich, es gab aber doch auch einige, die das nicht ganz so empfanden. Hier zeigen sich vermutlich die oben beschriebenen Phänomene der sprachlich/zeitlichen Einschränkung und der fehlenden Prompingtkompetenz. Das muss noch weiter ergründet werden.
  • Unabhängig vom Open-Book-Format zeigt sich, dass die Herausforderung im Umgang mit Quellentexten, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird, womit wir wieder bei Literacy-Kompetenzen sind.

Fazit

Es zeigt sich, dass der Umgang mit KI in Klassenarbeiten und Klausuren weitgehend Neuland ist und zwar für die Lernenden UND die Lehrenden. Wir alle müssen in diesem Bereich noch Erfahrungen sammeln und diese reflektieren. Wir müssen Mut haben auszuprobieren und Fehler zu machen. Ich werde jedenfalls weiter an diesem Format arbeiten, aber sicher nicht in jeder Klausur, dafür ist das Format noch zu experimentell.
Für mich hat sich gezeigt, dass eine große Gefahr darin besteht, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten der Lernenden im Umgang mit KI die Gefahr einer Vergrößerung der Heterogenität beinhalten. Das darf uns aber nicht dazu verleiten KI zu verdammen und zu verbannen, das wäre sträflich fahrlässig, weil KI unsere Lebenswelt durchdringt und Schule sich dem nicht entziehen kann. Vielmehr muss es unser Ziel als Lehrende sein, den Umgang mit KI zu Lehren und der Heterogenität entgegen zu wirken.
Und damit hängt eine zweite Gefahr eng zusammen. Der Umgang mit KI hebt die Bedeutung von Literacy-Kompetenzen weiter hervor und da liegt ja bereits eine große Schwachstelle unseres Schulsystems, die wir nun noch stärker in den Fokus rücken müssen. Wer kompetent mit einem LLM arbeiten will, muss exzellent mit Sprache umgehen können.

Es wird für uns alle also nicht einfacher, sondern schwieriger. Packen wir es an.

Wie schwierig der Umgang mit Sprache ist zeigt hier auch wieder einmal die KI in Form von DALL-E 😉

Bob Blume hat auch bei einer Klassenarbeit die Nutzung von KI zugelassen und schildert hier seine Erfahrungen: https://deutsches-schulportal.de/kolumnen/bob-blume-kuenstliche-intelligenz-in-klassenarbeiten-ein-schritt-in-die-zukunft/.

2024-27: Was passiert hier eigentlich gerade?

So visualisiert DALL-E diesen Blogbeitrag.

Ich habe das Gefühl, dass ich mal wieder etwas weiter ausholen muss und mir etwas von der Seele schreiben muss. Schreiben sortiert, strukturiert und präzisiert Gedanken. Vielleicht sind diese Gedanken auch für die Eine oder den Anderen interessant, deswegen schreibe ich nicht nur, sondern blogge auch noch. Wichtig ist mir dabei, trotz aller Kritik und aller düsteren Prognosen, einen positiven Blick zu bewahren. Nur so kann ich meinen Job sinnstiftend machen und den Kindern und Jugendlichen Hoffnung und Lust auf ihre Zukunft machen.
In den letzten Wochen ist wieder einmal sehr deutlich geworden, dass wir uns global in einem rasanten und unvorhersehbaren Veränderungsprozess befinden (Stichwort: VUCA/BANI-Welt). Die Situation ist einerseits bedrohlich, unsere Demokratie und unser Wirtschaftsmodell, ja unsere ganze Lebensweise ist bedroht. Der SPIEGEL hat vom „Ende des Westens“ geschrieben. Das ist durchaus furchteinflößend und führt verständlicherweise zu Verunsicherung.
So wie es aussieht, stehen uns größere Disruptionen bevor, nehmen wir als Beispiel nur die Autoindustrie, bei der das besonders deutlich wird. Deren Geschäftsmodell wird aus dem Ausland, besonders China, bedroht, drohender Protektionismus (USA) schließt Absatzmärkte und außerdem wurde zu spät und zu halbherzig auf notwendige technologische Anpassungen verzichtet (E-Autos und Klimawandel).
Ähnliches droht unserem Bildungssystem, auch hier verharren wir zu lange in einem veralteten und überkommenen Modell, auch hier überholt uns das Ausland, obwohl wir einst einer der „Weltmarktführer“ waren, auch hier sind Reformschritte und Anpassungen an die veränderte Welt unabdingbar. Im Guardian habe ich neulich einen sehr interessanten Kommentar gelesen (https://www.theguardian.com/business/article/2024/sep/01/germany-economy-problem-analogue-industries), in dem Larry Elliott beschreibt, wie Deutschland versuche sein analoges Modell in einer digitalen Welt beizubehalten.
Diese krassen und rasanten Veränderungen, die man mit Recht als Disruptionen bezeichnen kann, betreffen uns alle, unser aller Leben wird sich verändern und da haben wir noch gar nicht über KI, Kriege, Populismus, Spaltung der Gesellschaft usw. gesprochen. Gleichzeitig stecken in solchen Disruptionen auch Chancen. Die Menschheit hat sich solchen Phasen rasanten Wandels in der Geschichte eigentlich immer als anpassungsfähig und innovativ gezeigt.
Es gibt ja, wenn man sie sehen will, auch positive Entwicklungen, die auf eine bessere Zukunft hindeuten, es gibt medizinischen Fortschritt, KI kann unsere Arbeitswelt positiv verändern, zumal in Kombination mit immer fortschrittlicherer Robotik, der unregulierte und gesellschaftsgefährdende Aufstieg der sozialen Medien scheint seinen Zenit überschritten zu haben und auch im Bildungssystem machen sich immer mehr Menschen und Schulen auf den Weg zukunftsfähigere und menschlicher Schulen zu entwickeln.
Der Veränderungsdruck nimmt also zu und führt dazu, dass Veränderungen beschleunigt werden, so ist das bei allen Veränderungsprozessen. Es geht durch ein „Tal der Tränen“ und dann wird es nachhaltig besser.
Ich fürchte, da müssen wir alle früher oder später durch. Ich gehöre zu den Menschen, die es dann lieber früher hinter sich haben und im Prozess gestaltend eingreifen. Was da in der Welt im Großen vor sich geht, spiegelt sich auch in unserem Schulkosmos im Kleinen. Wir haben es in der Hand, die Zukunft mitzugestalten, denn: Bildung ist der Schlüssel um mit den Problemen der VUCA/BANI-Welt klarzukommen. Wir müssen unsere Kinder zu resilienten und agilen Menschen ausbilden, die sich der Problemlage bewusst sind und kreative Lösungen entwickeln die Probleme zu lösen.
Das erscheint jetzt auf den ersten Blick sehr als oberflächlich und allgemein, leitet aber unsere Schule und mich bei der Schulentwicklung vor Ort, wo es dann durchaus konkret wird. Wer sich dafür näher interessiert, dem sei der Blog WfS 2030 ans Herz gelegt: https://www.schulmun.de/2024/04/23/blog-wfs-2030/.

2024-26: Warum solltest du Lehrer:in werden?

DALL-E: Ein Lehrer zeigt einem Schüler die Zukunft, das Wissen und die Welt.

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, (möglichst) alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert. Dies ist die achte Runde.

Wir haben Klimawandel, Lehrkräftemangel, Populismus, Extremismus, Antisemitismus, Islamismus, Spaltung der Gesellschaft, demografischem Wandel, Rentenlücke, Pay-Gap, Extremwetter, VW-Krise, Krieg in der Ukraine, Krise in Nahost, Politikverdrossenheit, Alkoholismus, Femizide und zahllose weitere Probleme.
Das ist eine schreckliche Bilanz und die Zukunft könnte bitter werden.
Meiner Meinung nach gibt es nur ein wirkliches Gegenmittel, um all diesen Herausforderungen zu begegnen: Bildung!
Wie hat schon John F. Kennedy gesagt: „Es gibt nur eins was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.

Zugegeben: Aktuell ist der Ruf der Lehrkraft etwas ramponiert. Das Klischee sagt, Lehrkräfte sind faul, unflexibel, mürrisch, kinder- und innovationsfeindlich, sie haben nachmittags frei und das ganze Jahr Ferien, sie wissen alles besser und fühlen sich ständig angegriffen. Wie bei jedem Klischee ist auch sicher an diesem etwas dran, aber die deutliche Mehrheit der Lehrkräfte gibt alles und noch mehr, um eine immer herausfordernder werdende Schülerschaft für eine immer unsicherere Zukunft zu bilden.
Zugegeben: Im Moment fehlen an allen Ecken und Enden ausgebildete Lehrkräfte, gleichzeitig werden immer mehr bürokratische und rechtliche Hürden für den schulischen Alltag aufgebaut, die Korrekturen werden mehr und anstrengender und die physische und psychische Belastung steigt.
Zugegeben: Es gibt an Schulen einen Investitionsstau von 55 Mrd. Euro, viele Gebäude sind marode, die Digitalisierung stockt, KI kommt nur langsam an, es gibt kaum ordentliche Arbeitsplätze an Schule, geschweige denn vernünftige Rückzugsorte.
Zugegeben: Das sind alles keine guten Gründe Lehrer:in zu werden! Oder doch?

Gerade weil die Situation im Schulsystem aktuell herausfordernd und global erschreckend ist, ist es erst recht sinnvoll Lehrerin oder Lehrer zu werden!

Innerhalb des Systems Schule muss sich in der nächsten Zeit vieles verändern (warum habe ich hier schon einmal beschrieben) und dazu braucht es frische und innovative Kräfte, die Lust am Verändern und Gestalten haben. Für mich ist das eine attraktive Perspektive. Das „klassische“ Verständnis von Bildung, Lernen und Schule gerät durch die wachsende Heterogenität und Singularisierung in der Gesellschaft, durch das exponentielle Wachstum des Wissens und nicht zuletzt durch Künstliche Intelligenz und Digitalität zunehmend unter Druck. Darauf muss das Schulsystem reagieren und individualisierte selbstgesteuerte Lernsettings in attraktiven Lernumgebungen schaffen. Diese müssen offen für projektorientiertes, selbstwirksames und fachdomänenverbindendes Lernen sein. Lehrkräfte müssen zu Lernbegleitenden werden, die das individuelle Potential der Lernenden entfalten und deren Kompetenzzuwachs im Sinne eines Growth Mindsets begleiten. Das sind grundstürzende Veränderungen, nach denen Schule nicht mehr mit den aktuellen Bildungsanstalten vergleichbar ist. Ich glaube sogar, dass dieser Prozess noch weiter gehen muss und Schule Teil einer kommunalen Bildungslandschaft für lebenslanges lernen werden muss (mehr dazu hier und hier)

Und auch außerhalb des Systems Schule muss sich vieles verändern, wenn wir eine lebenswerte und enkelfähige Zukunft für unseren Planeten wollen. Auch dafür ist Bildung der Schlüssel. Wir müssen wegkommen vom Primat der Wissensvermittlung, hin zu einem Primat der Menschenbildung. Dazu gehört die Vermittlung von Demokratie, die wir zu verlernen drohen (mehr dazu hier), dazu gehört soziales Lernen, die Vermittlung von Empathiefähigkeit und der Respekt vor der Würde aller Menschen, was übrigens alle Schulgesetze unisono fordern. Dazu gehört das Erlernen von Resilienz, eine umfassende Medienbildung im Sinne von digital literacy (mehr dazu hier). Schule muss endlich wieder mehr Verantwortung für die Schulung (!) und Bildung (!) einer zukunftsfähigen Gesellschaft übernehmen (mehr dazu hier). Neben den oben beschriebenen Gestaltungsmöglichkeiten des Systems von innen, gibt es also auch eine besondere Relevanz des Jobs als Lehrkraft für die Gesellschaft. Beides spannende und interessante Aspekte, die den Beruf attraktiv machen und erfordern, dass er von den Besten ausgeübt wird. Es gibt meiner Meinung nach wenige relevantere Berufe für unsere Zukunft als den der Lehrkraft. Wer Selbstwirksamkeit und unmittelbares Feedback in einem hochrelevanten Beruf erfahren will, wer aktiv Zukunft gestalten und für unsere Kinder einen Unterschied machen will, sollte Lehrerin oder Lehrer werden!

Nachwort: Vielleicht ist dem Einen oder der Anderen aufgefallen, dass dieser Text mit einigen selbstreferentiellen Links versehen ist. Dies hat sich während des Schreibens ergeben und hat mich angeregt zu hinterfragen, warum das so ist. Ich glaube, ich blogge unter anderem deswegen, weil ich so mein berufliches Handeln immer wieder reflektiere und die Verlinkungen zeigen, dass hier Konsistenz und Kohärenz entstehen. Als gelernter Geisteswissenschaftler denke ich multikausal und in Interdependenzen und in meinen Blogbeiträgen entsteht so mein Bild vom Bildungssystem, seiner Reform und seiner Zukunft. Es wäre vermessen, dieses als vollständig oder wahr zu betrachten, aber es scheint doch bisher in sich stimmig und es es steckt meinen Weg zu einem zukunftsfähigen Bildungsbegriff ab, nach dem ich strebe und für den ich kämpfe: für mich, meine Kinder und unsere Zukunft. Deshalb lohnt es sich für mich Lehrer zu sein und ich würde es wieder tun.

Weitere Beiträge zur Blogparade:

Katharina Mowitz auf Prima(r)blog: https://primar.blog/2024/10/05/warum-heute-noch-lehrkraft-werden/.

Matthias Lausmann als Herr Mess: https://herrmess.de/2024/10/07/runde-8-der-edublogparade-2024/.

Jan-Martin Klinge auf Halbtagsblog: https://halbtagsblog.de/2024/10/08/teekueche-schokoladenbrunnen-heute-noch-lehrkraft-werden/.

Jonas Wagner: https://jonaswagner.de/warum-ich-blogge-von-frust-inspiration-und-einer-kleinen-revolution-im-klassenzimmer/.

Lars Fengler: https://fengler.schule/archive/139.

Gesa auf Learari: https://laerari.com/blogparade-2024-8-warum-lehrkraft-werden/.

Maria Kruse auf k(n)öpfchenkunde: https://xn--kpfchenkunde-4ib.de/2024/10/13/blogparade-8-warum-sollte-man-lehrkraft-werden/.

Susanne Posselt auf Bildungsweise: https://susanneposselt.de/vom-glueck-lehrerin-zu-sein/.

2024-25: Verlernen wir Demokratie?

Es ist mal wieder Zeit für etwas Polemik.

(kreiert mit DALL-E)

Im Moment sind Forderungen nach mehr Demokratielernen in Schulen en vogue, aber auch wohlfeil.
Die Forderung ist natürlich verständlich. Jugendliche fühlen sich zu Extremismen hingezogen, fallen in sozialen Medien auf „Rattenfänger“ verschiedenster Couleur rein und verhalten sich am Ende doch passiv.
Ich habe in jüngster Zeit einige Beobachtungen gemacht, die sich auch mit Studienergebnissen decken. Zum einen stelle ich als Politiklehrer fest, dass sich die Informationsquellen massiv verschieben. Von linearem Fernsehen und Printmedien hin zu digitalen Medien, bzw. deren Ablegern und Pseudoablegern in sozialen Medien. Das führt zu einer Verkürzung und Polarisierung in der politischen Bildung. Außerdem werden die Jugendlichen von dem Nachrichtenstrom der älteren Generationen und der etablierten Parteien und Institutionen abgehängt, weil es diesen kaum gelingt Reichweite in den neuen Medien zu generieren (was natürlich auch am Prinzip Algorithmus liegt).
Zum anderen schwindet das Interesse an Politik. Es finden sich immer weniger Schülerinnen und Schüler, die SV-Arbeit machen wollen und ich fürchte vielen ist es gar nicht mehr klar, warum das wichtig ist. Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich vor ohne eine Idee für eine Forderung zu haben. Da wird dann sinngemäß vorgetragen, dass man gewählt werden will, weil man ein toller Typ und krass sei, was dann mit zustimmendem Gejohle quittiert wird. Da findet eine Art TikTokisierung statt. Nicht der Inhalt zählt, sondern Lautstärke und Pose. Das finde ich bedenklich.
Wer kann es den Jugendlichen aber verdenken? Sie haben es ja nicht gelernt.
Zum einen findet Politik und deren mediale Vermittlung immer mehr als eine Inszenierung statt. Inhalte rücken in den Hintergrund, es finden populistische Wettkämpfe statt, Ministerpräsidenten inszenieren sich als Food-Blogger, der politische Gegner wird diffamiert oder mittlerweile sogar bedroht.
Zum anderen spielen Jugendliche und deren Bedürfnisse, Bildung von der Kita bis zur Uni, deren Zukunft und deren psychische Gesundheit, wenn überhaupt, nur eine sehr untergeordnete Rolle. All die Studien, die das belegen werden in der Öffentlichkeit und in der Politik nicht wahrgenommen, dort wird über Gendern, Migration und Autos diskutiert.
Und dann zu fordern, dass Schule das kompensieren soll und Demokratie, quasi per Instruktion, zu vermitteln ist wohlfeil. Aus der Perspektive einer Schülerin oder eines Schülers ist Schule in der Regel einer der undemokratischsten Orte der Welt. Und das, wo Schule so eine zentrale Rolle im Leben der Jugendlichen einnimmt.
Wenn wir ernsthaft demokratische Bildung in den Schulen lehren wollen, dann dürfen wir das nicht instruieren und simulieren, dann müssen wir das leben!
Das fängt mit einem Klassenrat an, der ernsthaft gehört wird und Einfluss hat. Das geht mit Debatten auf Augenhöhe und frei von Adultismus in den Gremien weiter und erfordert letztendlich eine Haltungsänderung der Lehrerschaft, die hierarchische Privilegien aufgeben muss und im Lernenden das Potenzial sehen, entdecken und begleiten muss. Das bedeutet letztendlich die Auflösung des Lernens im Gleichschritt und das Ende der Bewertung in Ziffern, das bedeutet Schule zu einem Ort zu machen, den man ehrlich als Wiege der Demokratie bezeichnen kann.
Das bedeutet das Ende der Schule wie wir sie kennen und erwarten. Nur so kann es uns aber gelingen, eine zukünftige Gesellschaft zu schaffen, die Mitbestimmung und Solidarität ernst nimmt, die frei ist von unverdienten Privilegien, in der die Würde wirklich unantastbar ist.

(Wer sich einmal anschauen will, wie so eine Schule funktionieren kann, der sollte mal eine Suchmaschine mit „Agora-Schule Niederlande“ füttern.)

Weiterführende Beiträge, die nach der Veröffentlichung des Beitrags erschienen sind:

https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/swk-stellungnahme-expertengremium-fordert-mehr-demokratiebildung-an-schulen

2024-24: Und sie bewegt sich doch! Schule verändert sich

Ein kurzer Impuls!

Es heißt ja immer, dass Schule noch genauso ist wie vor 20, 50 oder 100 Jahren, aber stimmt das?
Natürlich stimmt das nicht! Vielleicht handelt es sich hier eher um ein Problem der Kategorie „halb volles oder halb leeres Glas“?
Für die Menschen im System, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern mag es den Anschein haben, dass sich nichts verändert. Das liegt aber auch daran, dass das Schulsystem ein riesiges System auf rechtsstaatlichen Grundlagen ist, was zur Folge hat, dass Veränderungen in der Regel eher langsam daher kommen, was aber ja auch etwas Positives hat. Wenn das Schulsystem jedem Trend hinterher laufen würde, würde es dysfunktional und unseriös werden. Es gibt ja böse Zungen, die genau diesen Effekt bereits ausgemacht haben wollen.
Wenn wir uns aber einmal mit den Veränderungen, sagen wir der letzten hundert Jahre auseinandersetzen ist doch schon sehr viel passiert. Die vielen Reformideen aus der Zeit vor und in der Weimarer Republik haben sehr viel Autorität aus dem System genommen, die Bildungsexpansion in den 1960er und 1970er Jahren hat Bildung für mehr Schülerinnen und Schülern aus allen sozialen Schichten geöffnet und eigentlich befinden wir uns immer noch im Wandlungsprozess von der Wissens- zur Kompetenzvermittlung sowie in der Entwicklung einer Kultur der Digitalität.

Als Schulleiter sehe ich viel Unterricht und kann ganz konkret feststellen, dass sich zum Beispiel Fremdsprachen- oder Mathematikunterricht seit meiner eigenen Schulzeit merklich verändert haben. Bereits in einer 8. Klasse wird auf einem Niveau in der Zielsprache Englisch unterrichtet, das ich zu meiner Zeit in der Oberstufe kaum erlebt habe (ja ich weiß, social media und Netflix…).

Vielleicht sollten wir in der Debatte um Schulreform eine positivere Perspektive einnehmen. Nicht so sehr an den Defiziten orientieren, sondern auch mal positiv betrachten, was erreicht wurde, sozusagen ein Growth Mindset für Bildungspolitik. Natürlich ist das kein Plädoyer dafür, dass alles gut so ist und wir nichts verändern müssten. Im Gegenteil! Aber ausgehend von einem positiven Mindset, dass sich vieles schon verändert hat und die Leuchttürme hier (Alemannenschule, Richtsbergschule, das LeoLab und alle Anderen) und im Ausland (Estland oder Neuseeland uvm.) vor Augen, können wir sicher noch viel erreichen.
Schließlich war Deutschland im 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts ja schon einmal eine weltweit einflussreiche Quelle der Bildungsreform!

Just saying…