Newsletter 14, 03.05.2024

Liebe Schulgemeinschaft,

in unserer Schule tut sich was.
ich halte es für wichtig an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt eine Zwischenbilanz zur Entwicklung unserer Schule zu ziehen.
Aus meiner Perspektive gibt es im Moment drei zentrale Felder, die zusammengehören und Entwicklungsschwerpunkte bilden: Die extern begleitete Schulentwicklungsgruppe und die daraus entstehende DNA-Gruppe, der Bereich des Medienkonzeptes und das Präventionskonzept.
Unsere Schule ist ein großes (und wachsendes) System. Wir haben einige Schwerpunkte und sehr viele Angebote und Tätigkeitsfelder. Das ist grundsätzlich gut, führt aber auch zu Unübersichtlichkeit und erschwert die Steuerung.

Deshalb ist es sinnvoll sich von außen Expertise zu holen und in Kooperation mit Experten eine Struktur zu entwickeln, die das System steuerbar und vor allem entwicklungsfähig macht. Mit Miklas Flamm und Sacha Teufel von enenpro (https://enenpro.de/visionen-bildungseinrichtung-zukunft-entwicklung-transformation/) haben wir kompetente Unterstützung dafür gefunden. Nach Vorgesprächen und einem offenen Treffen im März mit vielen begeisterten und begeisternden Kolleginnen und Kollegen aus unserer Schulgemeinschaft, findet jetzt im Mai das erste Treffen der Initialgruppe statt. Aufgabe der Initialgruppe ist es in einem begleiteten Entwicklungsprozess eine DNA-Gruppe zu bilden, die die „DNA“ der Schule abbildet, d.h. in dieser Gruppe sollen dann Vertreterinnen und Vertreter sitzen, die die verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Lehrkräfte und in der gesamten Schulgemeinschaft spiegeln und so Schulentwicklungsvorhaben diskutieren und vorentlasten können, indem in der DNA-Gruppe deutlich wird, ob bei Veränderungen Diskussionsbedarf besteht oder ob mit Konsens zu rechnen ist. Neben dieser eher strukturellen Arbeit geht es bei diesem Prozess auch um die Etablierung von Kommunikationsstrukturen innerhalb des Kollegiums und mit der Schulleitung, die einen wertschätzenden, partizipativen und kollaborativen Transformationsprozess ermöglichen sollen.

Mit dem in der letzten Gesamtkonferenz abgestimmten Medienkonzept haben wir eine tragfähige Basis geschaffen. Am Medienkonzept wird aber auch besonders deutlich, dass zukunftsfähige Konzepte agiler sein müssen. Die Diskussion um die Handynutzung und die Auswirkungen von KI zeigen, dass wir hier einen permanenten Anpassungsprozess starten müssen, bei dem die ganze Schulgemeinschaft einbezogen werden muss. Außerdem ist das Medienkonzept eng verbunden mit dem Präventionskonzept.

Bei der Erstellung des Präventionskonzepts haben wir uns bewusst für einen breiten und aufwändigen Ansatz entschieden. Ziel ist es auch hier unter Mitwirkung der gesamten Schulgemeinschaft und mit Hilfe von externer Expertise in einem ergebnisoffenen und agilen Prozess ein Konzept zu entwickeln, das von allen Teilen der Schulgemeinschaft getragen werden kann. Eigentlich liegt es auf der Hand, dass alle Bereiche der Prävention (Sucht, Gewalt, Medien, sexualisierte Gewalt usw.) zusammen gedacht werden müssen. Genau wie Digitalität, Literacy oder Demokratielernen ist Prävention eine Querschnittsaufgabe aller an Schule Beteiligten. Eine sinnvolle Umsetzung ist nur möglich, wenn eine pädagogische Grundhaltung dahinter steht, die von allen gelebt und eingefordert wird.

Strukturelle Grundlage für diese Entwicklungen soll die Umwandlung in eine Selbstständige Schule (SES) sein, die wir angestoßen haben. Wenn wir eine Umwandlung zum 01.01.2025 anstreben, müssen wir auf der nächsten Gesamtkonferenz darüber abstimmen. Als SES hätten wir wichtige finanzielle und pädagogische Spielräume, um Schulentwicklung effektiv voranzutreiben.

Die Klammer bei all diesen Entwicklungen besteht aus der Schulentwicklungsgruppe und dem Schulleiter, der ja laut Schulgesetz für Schulentwicklung verantwortlich ist. In diesem Rahmen stoßen wir auch schon einzelne Prozesse im Sinne eines „Prototyping“ an, um Erfahrungen zu sammeln. „Prototyping“ stammt aus dem „Design Thinking“ und ist Teil eines agilen Mindsets. Die Idee dahinter ist, dass man schnellere Erfolge und brauchbare Erfahrungen macht, wenn man auf einen allzu ausgedehnten Konzeptionierungsprozess verzichtet, der viel Mühe macht und doch selten perfekt funktioniert. Stattdessen beginnt man einen Prozess und steuert nach, wenn es zu Schwierigkeiten kommt: „fail fast, fail forward, learn fast“. Ich wünsche mir, dass unsere Schule ein Ort wird, an dem wir innovative Ideen entwickeln und ausprobieren können. Wir brauchen eine positive Fehlerkultur und ein Growth Mindset.
Eine erste Idee aus der letzten Sitzung der Schulentwicklungsgruppe ist es, ein Team zu bilden, das sich in ein oder zwei Klassen eines Jahrgangs zusammentut, um in der Praxis eng zusammenzuarbeiten und Ideen zu entwickeln. Wer daran Interesse hat und/oder mehr wissen will, kann gerne die Kolleginnen und Kollegen der Schulentwicklungsgruppe ansprechen.

Ziel des (nie endenden) Schulentwicklungsprozesses muss es am Ende sein, unsere Schule so zu gestalten, dass sie zukunftsfähig wird, dass sie ein Ort wird, an dem Lernende und Lehrende gerne sind, an dem Bildung gelebt wird, die auf eine Welt vorbereitet, die immer herausfordernder wird, die sich permanent verändert und wahnsinnige Möglichkeiten bietet. Wir Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler müssen uns und das System resilient machen und dafür den Weg für unsere Schule finden. Dafür müssen wir eine gemeinsame und wertschätzende Haltung entwickeln. Und das tun wir nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist!
Es geht um die Zukunft unserer Schülerinnen und Schüler und den Ort, an dem wir arbeiten, das sollte es uns Wert sein.

Abschließend möchte ich noch etwas zum Umgang mit den KI-Tools von Fobizz und Fiete sagen. Wie bereits im letzten Newsletter beschrieben, fordere ich Sie auf die neuen Tools gemeinsam mit den Lernenden auszuprobieren, Hinweise und Anleitungen für den Unterricht waren dort auch zu finden. Wir lassen diese „Probierphase“ bis zu den Sommerferien laufen. Vorher wird es noch ein digitales Angebot von Fobizz geben, in dem die Funktionen dieser Plattform noch einmal für uns vorgestellt werden; ein Termin folgt. Für die Zugänge zu den Tools hängen die Listen im Lehrerzimmer aus, zuständig dafür ist Herr Döring. Nach den Ferien werden wir dann beginnen uns systematischer auszutauschen und fortzubilden.

In der Summe habe ich das Gefühl, dass wir in vielerlei Hinsicht auf einem guten und richtigen Weg in die Zukunft sind, ich für meinen Teil arbeite sehr gerne an unserer Schule!

Ihr

Erik Grundmann

Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:


2024-14: Sieht denn wirklich niemand die Katastrophe?

Ich habe in meinem letzten Blogbeitrag über die desolate Situation in der Medienbildung geschrieben. Anfang März hat die HSBC-Studie eine drastische Zunahme psychosomatischer Beschwerden bei Jugendlichen diagnostiziert. Die Studie “Jugend in Deutschland” von Dienstag belegt: “Stimmungstief und Rechtsruck bei Jugend“. Und gestern kam das neue Schulbarometer der Bosch-Stiftung heraus, Ergebnis: Gewalt und Unzufriedenheit an Schulen nehmen zu, immer mehr Lehrkräfte und Schulleitungen wollen ihren Job aufgeben. Die Ergebnisse der letzten PISA-Studie oder des IQB-Bildungstrends sind schon fast wieder verklungen. In den Schulen in Deutschland besteht ein Sanierungsstau von 50 Milliarden Euro, es fehlen 70.000 Lehrkräfte und rund 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Die Liste ließe sich fortsetzen, sollte aber eigentlich schon krass genug sein.
Wo bleibt der Aufschrei? Warum titeln nicht alle Zeitungen damit, warum gibt es keine täglichen Talkshows, Sondersendungen und Demonstrationen? Ist die Situation noch nicht schlimm genug oder ist es uns egal? Überlagern “wichtigere” Themen die notwendige Diskussion? Ich weiß es nicht!


Was ich aber weiß ist, dass ich das nicht hinnehmen will. Ich sehe eine drohende Katastrophe und leite daraus Handlungsbedarf ab. Ich beschäftige mich fast den ganzen Tag und manche Nächte mit Bildung und Schule. Ich sehe die Symptome, die oben geschildert werden, ich sehe aber auch, dass der Status Quo nicht zementiert ist. Es gibt zahlreiche Schulen, die es besser machen und es gibt zahlreiche Institutionen, die helfen und unterstützen es besser zu machen.

Ich zähle hier mal ein paar Schulen auf, die Liste ist alles Andere als vollständig (Links bitte selber googlen):
– Alemmanenschule Wutöschingen
– Richtsbergschule Marburg
– Erich-Kästner-Schule Darmstadt
– IGS-Süd Frankfurt
– Ernst-Reuter-Schule Karlsruhe
– IGS Garbsen
– uvm.
Und jetzt noch ein paar Institutionen:
– Schulen im Aufbruch
– BeWirken
– Helga-Breuninger-Stiftung
– Digital School Story
– Bildungsliebe.Jetzt
– 48 Könige
– Lernkulturzeit/Pioneers of Education
– uvm.
Außerdem gibt es zahlreiche Stellen und Institute innerhalb und außerhalb des Bildungssystems, die Schulentwicklungsprozesse begleiten, Lehrkräfte Fortbilden und coachen.

Der “Tisch der Veränderung” ist also gedeckt! Wir müssen nur zugreifen. Ich bin froh, dass sich die Schule, die ich leiten darf, auf den Weg gemacht hat. Wir haben dort tolle Kolleginnen und Kollegen, die die Veränderung sein wollen und die meine volle Unterstützung haben. Natürlich ist das kein leichter Weg und nicht alle werden ihn gehen wollen, aber es ist ein lohnenswerter Weg. Natürlich wird nicht alles funktionieren, na und? Der Eingangs beschriebene Abwärtstrend ist sicher keine Alternative.
Ich werde alles daran setzen, gemeinsam mit der ganzen Schulgemeinschaft, eine bessere Schule zu entwickeln, eine Schule mit glücklicheren Menschen, eine Schule, die zukunftsfähig ist und macht.
Wir haben aktuell so viele Probleme auf der Welt und Bildung und Schule sind die Schlüssel für eine bessere Zukunft. Packen wir es an! Machen ist wie wollen, nur krasser!


P.S.: Sorry for the Rant, aber schreiben hilft manchmal. Und schließlich gibt es ja auch eine Perspektive. Wenn ich nicht an diese glauben würde, könnte ich meinen Job nicht machen und ich liebe meinen Job.

2024-13: Mehr Medienbildung jetzt!

Pics: DALL-E, Sound: suno.ai, Video: Clipchamp.

Wir brauchen mehr Medienbildung in den Schulen, in allen Fächern, in allen Jahrgängen und zwar jetzt.

Dieses Thema beschäftigt mich schon länger und ich habe dazu auch schon gebloggt und mich in meinen Newslettern beschäftigt, insbesondere hier:
https://www.schulmun.de/2023/11/18/2023-04-verlieren-wir-unsere-kinder/
https://www.schulmun.de/2024/01/21/2024-03-mehr-ki-in-die-schule-die-2/
https://www.schulmun.de/2024/02/20/2024-06-ki-ist-der-gamechanger-in-der-bildung/
https://www.schulmun.de/2024/03/28/2024-11-kibedenken-als-teil-einer-blogparade/
https://www.schulmun.de/2024/03/21/newsletter-12-22-03-2024/.
Zahlreiche weiterführende Links habe ich hier zusammengetragen: https://www.schulmun.de/2024/01/04/social-media/.

Ich bin eigentlich kein Freund von Alarmismus und möchte auch nicht so klingen, muss aber feststellen, dass wir Pädagogen, wir Erwachsenen, wie Bildungsverantwortlichen im Bereich der Medienbildung unserer Kinder und Jugendlichen größtenteils versagt haben.
Viele von uns haben keine Vorstellung, was im Bereich der (sozialen) Medien unserer nachfolgenden Generationen wirklich passiert, manche wollen es vielleicht auch lieber nicht wissen. Es gibt gute Bücher (mehr dazu hier: https://www.schulmun.de/buchtipps/), es gibt gute Fortbildungen, Vorträge oder Workshops von verschiedenen Trägern oder auch der Polizei. Leider werden diese zu wenig genutzt und erreichen nicht die Familien, in denen es wichtig wäre; Elternabende zu solchen Themen sind leider oft nicht gut besucht.
Was ist denn nun aber das “Schlimme” was den Kindern und Jugendlichen im Netz passiert? Früher gab es auch Mobbing, Gewalt oder Pornografie. Das Neue ist allerdings die ständige Verfügbarkeit, die leichte (auch ungewollte) Verbreitung, der multimediale Zugang und die ewige Verfügbarkeit von gewollten und ungewollten Fehltritten, das Netz vergisst (fast) nichts. Die Schilderungen sind hier bewusst drastisch, aber nicht dramatisiert. Silke Müller beschreibt in ihrem Buch “Wir verlieren unsere Kinder” zum Beispiel wie Mädchen aus einer 8. Klasse morgens im Bus per Airdrop ein Video auf ihr Smartphone übermittelt bekommen, auf dem ein Mann mit einem Skalpell kastriert wird. In Klassengruppen werden immer wieder Nazi-Memes verschickt. Die beliebten Plattformen Twitch, Discord oder auch Reddit und viele andere werden für Cybergrooming missbraucht, auf Youtube finden sich unzählige Fakenews, Verschwörungstheorien oder Propaganda. Auf Instagram und im Klassenchat findet massives Cybermobbing statt und mit Künstlicher Intelligenz sind Deep Fakes mittlerweile ein “Kinderspiel”.
Besonders tut sich immer wieder TikTok hervor. Diese Plattform mit kurzen, oft lustigen Videoclips hat es in sich. Nicht nur, dass sich dort überproportional viel extremistische Propaganda tummelt, die durch den Algorithmus immens verstärkt wird, hier finden auch zahlreiche fatale Contests statt, die schon Todesopfer gefordert haben, hier werden Kinder aufgefordert Stühle in der Schule zu zersägen, Schultoiletten anzuzünden oder Deo zu inhalieren. Auf TikTok oder auch auf Twitch gibt es Nischen, in denen Jugendliche Selbstmordgedanken austauschen. In den sozialen Netzwerken werden unerfüllbare Schönheitsideale propagiert, dort teilen zehnjährige Mädchen Beautyvideos, in denen sie Anti-Aging-Cremes empfehlen.


Hinzu kommt, dass hinter den (sozialen) Medien eine Multi-Milliarden-Dollarindustrie steckt, deren Anwälte und Lobbyisten eine strenge Regulierung zu verhindern wissen und deren Entwickler und Vermarkter genau wissen, wie sie die Gehirne der Kinder und Jugendlichen (und natürlich auch der Erwachsenen) erreichen. Alle sozialen Netzwerke leben von der Sichtbarkeit ihrer Akteure, die sich in Likes und Followern ausdrückt. Die Jagd nach Likes spricht Urinstinkte des Gehirns an, die über Dopaminausschüttungen Glücksgefühle verursachen, die drogenähnliche Rauschzustände verursachen. Wie bei Drogen fordert das Gehirn aber eine immer stärkere Dosis oder Frequenz um den Glückszustand aufrechtzuerhalten. Auf die Spitze treibt das zum Beispiel Snapchat, wo die Likes durch Flammen ausgedrückt werden, die wieder verschwinden, wenn nicht schnell genug “nachgelegt” wird. Ähnliches gilt auch für die zahlreichen bei Kindern und Jugendlichen beliebten Browsergames von Subwaysurfer bis Forge of Empires mit ihren Gadgets und Levels. Auch die Verkaufsplattform Temu arbeitet mit diesen Mechanismen. Der Vollständigkeit halber soll hier auch noch auf die Effekte von Bubbles und Echokammern hingewiesen werden, die durch die Algorithmen Fehlverhalten verstärken und normalisieren.

Interessant ist in diesem Kontext auch ein Interview mit dem Soziologen Jonathan Haidt in der NZZ zum Einfluss von sozialen Medien auf die Generation Z (https://www.nzz.ch/feuilleton/interview-jonathan-haidt-covid-war-nichts-im-vergleich-zu-dem-was-wir-unseren-kindern-mit-sozialen-medien-und-smartphones-antun-ld.1824924). Er sieht hier einen Zusammenhang zwischen der massenhaften Verbreitung von Smartphones unter Kindern und Jugendlichen seit den Jahren um 2010 und einem gleichzeitig beginnenden Leistungsabfall in der Schule. Gleichzeitig nehmen auch die psychischen Erkrankungen unter Kindern und Jugendlichen seit dieser Zeit massiv zu.

Was können Schulen tun?
Schulen und Eltern haben beide einen Erziehungsauftrag. Leider kommen beide im Bereich der Medienbildung- und -erziehung diesem nur unzureichend nach. Die Gründe dafür sind in Schule und Elternhaus ähnlich. Fehlende Kompetenzen, fehlendes Interesse oder Zeitmangel sind wohl die wesentlichen Gründe. Wir können es uns als Gesellschaft aber nicht leisten unsere Kinder zu verlieren, um den oben genannten Buchtitel noch einmal aufzugreifen.
Für mich kommt naturgemäß den Schulen bei der Medienbildung eine zentrale Rolle zu. Theoretisch ist sie diesen ja sogar schon zugewiesen. Medienbildung ist curricular verankert, Teil von sozialen Lernkonzepten, wird von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern oder anderen externen Experten in die Schule getragen und von den Lehrkräfte unterrichtet. Schulen müssen Medienkonzepte erarbeiten usw.
All das trägt aber leider nur sehr beschränkt, weil es nicht als zentrale Aufgabe wahrgenommen wird, sehr fragmentiert und punktuell stattfindet und Zeit und Raum nicht wirklich vorhanden sind.
Wenn wir nicht bald und massiv handeln, wird sich aber der Leistungsabfall in den Bildungseinrichtungen verschärfen, werden psychische Erkrankungen weiter zunehmen und letztlich unsere pluralistische Gesellschaft und unsere Demokratie aufs Spiel gesetzt.
Wir brauchen also schnell eine radikale Veränderung in der Schule. Wir müssen umgehend Zeit, Raum und Expertise schaffen. Wenn uns das nicht gelingt, sind all unsere aktuellen schulischen Ambitionen ziemlich nutzlos, weil wir unsere Gesellschaft und unsere Demokratie nicht mehr aufrecht erhalten können.
Ich spitze hier bewusst etwas zu und will damit wachrütteln, glaube aber ernsthaft, dass wir die Lehrpläne massiv entschlacken müssen, dass Lehrkräfte den Raum und die Zeit bekommen müssen sich verbindlich in diesem Bereich fortzubilden. Dazu Bedarf es der Unterstützung der politisch und behördlich Verantwortlichen. Wahrscheinlich müssen wir bei Fächern Stunden kürzen oder Fächer sogar ganz streichen, um mehr Medienkompetenz in einer Kultur der Digitalität zu vermitteln. Außerdem muss Medienbildung eine ernsthaft getragene Querschnittsaufgabe in allen Fächern sein. Ein kompetenter Umgang mit (sozialen) Medien ist heutzutage eine zentrale Kulturtechnik, gleichbedeutend mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Idealerweise ist dieser Prozess in einen größeren schulischen Reformprozess eingebettet, aber das ist ein anderes Thema.


Was können Eltern tun?
Viele Eltern müssen sich zunächst, genau wie viele Lehrkräfte, weiterbilden und mit der Medienwelt der Kinder vertraut machen, um mit diesen auf Augenhöhe in einen Dialog treten zu können. Sinnvoll ist es, gemeinsam mit den Kindern Erfahrungen im Netz und im Umgang mit Medien zu sammeln. Zur Weiterbildung gibt es Bücher, zahlreiche Angebote im Internet, Veranstaltungen in der Schule und nicht zuletzt die eigenen Kinder, die ihre Eltern meist stolz und gerne aufklären. Außerdem ist es die Aufgabe und Pflicht der Eltern sich um Privatsphäre-Einstellungen, Datenschutz, Online-Verhaltensregeln und den rechtlichen Rahmen zu kümmern, viele Apps sind zum Beispiel erst ab 14 oder gar 16 Jahren erlaubt. Ganz wichtig ist es, dass Eltern gemeinsam mit den Kindern verbindliche Nutzungsregeln erarbeiten und diese auch durchsetzen (hilfreich hierbei: https://www.mediennutzungsvertrag.de/).

Wir haben viel zu lange darauf gehofft, dass schon irgendwie alles gut werden werden wird und dass Schule das schon irgendwie hinbekommt. Ich fürchte, auch aufgrund meiner Erfahrungen in Schulleitungsfunktion in den letzten Jahren und meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema, dass wir es mit einem “Weiter so” nicht hinbekommen. Wir müssen aufwachen und aktiv werden. Es hilft dabei nicht, die (sozialen) Medien zu verteufeln oder verbieten zu wollen. Diese gehen nicht mehr weg und haben zweifelsohne auch eine enorm positive Seite, die hier nicht thematisiert wird. Wir müssen unsere Verantwortung gegenüber unseren Kindern wahrnehmen und sie bei der Mediennutzung wohlwollend und wertschätzend begleiten und sie stark machen, um den Versuchungen im Netz zu widerstehen. Wir brauchen sicher auch mehr Regulierung und deren Durchsetzung durch den Staat. Der erste Schritt ist aber, dass wir das hier ausführlich beschriebene Problem überhaupt als solches wahrnehmen und ihm den Kampf ansagen. Weniger für uns Erwachsene, mehr für die Zukunft unserer Kinder. Diese sollte es uns wert sein!

Ein paar weiterführende Links zum Thema:

Eine gute erste Anlaufstelle ist immer: https://www.klicksafe.de/. Hier gibt es Informationen und Tipps zum Umgang zu nahezu allen relevanten Themen.

Zur Gefährdung von Kindern durch digitale Medien gibt die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz einen Gefährdungsatlas heraus, der 43 Medienphänomene genauer unter die Lupe nimmt: https://www.bzkj.de/bzkj/zukunftswerkstatt/gefaehrdungsatlas.

Hier gibt es einen prämierten Kurzfilm, der sich kritisch mit dem Suchtfaktor Handy und „Likes“ auseinandersetzt: https://www.youtube.com/watch?v=ioaY1z2trx4. Sehens- und zeigenswert!

Rechtsextreme Ideologien, versteckt hinter Hashtags: Extremisten umgarnen mit TikTok-Videos gezielt Kinder und Jugendliche. Experten warnen vor schleichender Radikalisierung. Beitrag von ZDF heute: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/tiktok-radikalisierung-kinder-jugendliche-rechtsextremismus-100.html#xtor=CS5-281.

In dieser Taskcard des Kreismedienzentrums Zollernalbkreis gibt es Hinweise zu TikTok allgemein und dem Umgang damit im Unterricht sowie zu den Challenges und deren Gefahren: https://kmz-zak.taskcards.app/#/board/4121c28c-dc17-47d7-a1c0-52da55f6557b/view?token=ded6d524-05a1-4c25-ba64-f0e89e2040c5.

Finanzpodcasts sprechen gezielt Jugendliche an und verbreiten rechtes Gedankengut, Blogbeitrag von Bob Blume:  https://bobblume.de/2024/01/24/digital-finanzpodcasts-als-einfallstor-in-rechtes-gedankengut/

Einen sehr langen, kritischen und sehr guten Artikel auf Englisch zum Smartphone und Kindheit gibt es bei The Atlantic: https://www.theatlantic.com/technology/archive/2024/03/teen-childhood-smartphone-use-mental-health-effects/677722/?utm_source=native-share&utm_medium=social&utm_campaign=share.

Viele weitere Informationen, Gedanken und Links finden sich in zahlreichen weiteren Beiträgen auf dieser Homepage.

2024-09: Lehrkräfte, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind – als Teil einer “Blogparade”

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt. Dies ist der vierte Teil der Blogparade.

Jeder Mensch, der in der Schule war, also fast jede und jeder, hat Erinnerungen an Lehrkräfte; gute und schlechte.


Das liegt natürlich zum einen in der Natur der Dinge. Nicht alle Menschen können gleich gut miteinander und das ist auch gut so, spiegelt das doch die Diversität, die das Menschsein ausmacht und das Leben so attraktiv macht.
Zum anderen, das betone ich immer wieder, ist Schule ein zentraler Ort der Sozialisation und daher ist es von größter Bedeutung, wie das Verhältnis von Schülerinnen und Schülern zu Lehrkräften ist, weil es besonders zukunftswirksam sein kann.
Meine persönliche Schullaufbahn fand in den 1980er und am Anfang der 1990er Jahre statt, ich habe 1993 Abitur gemacht. Diese Schullaufbahn war von Beginn an von ambivalenten Erfahrungen mit Lehrkräften geprägt. Bereits in der Grundschule habe ich erlebt, was für einen Unterschied eine Lehrperson machen kann. Meine Klassenlehrerin in den ersten beiden Jahren war autoritär und hatte keine gute Beziehungsebene zu vielen Schülerinnen und Schülern aufgebaut und ich war einer von diesen. Die Folge waren einige Elterngespräche, aufmüpfiges Verhalten und eher durchwachsene Leistungen. Ich erinnere eine Situation, in der ein Klassenkamerad wegen störendem Verhalten hinter die Tafel musste und dort offensichtlich vergessen wurde. Erst als ein leises Schluchzen zu hören war, durfte er wieder an seinen Platz. Solche Demütigungen können tief sitzen und das Verhältnis zur Schule und zum Leben nachhaltig beeinflussen.
Besagte Lehrerin hat dann nach meiner 2. Klasse die Schule gewechselt und wir bekamen Frau Schinzel. Frau Schinzel war eine etwas ältere Quereinsteigerin und mochte Kinder. Sie ist uns offen und wertschätzend begegnet und auf einmal machte Schule Spaß, meine Leistungen verbesserten sich und niemand wurde mehr im Unterricht gedemütigt. Meine Grundschulklasse und ich haben bis heute Kontakt zu Frau Schinzel und wir haben uns bereits mehrfach mit ihr getroffen, eigentlich wäre es mal wieder Zeit für ein solches Treffen, sie müsste wohl schon um die 90 Jahre alt sein.


Eigentlich müsste mir also schon nach der Grundschule klar gewesen sein, was dann in den 2000er Jahren die zentrale Erkenntnis der Metastudie von John Hattie wurde: “The Teacher matters!”.
Die beiden folgenden Jahre verbrachte ich dann an der damals in Hessen obligatorischen Förderstufe (Funfact: Das war die Schule, an der ich jetzt Schulleiter bin). Das war eine Gesamtschule, die den Gesamtschulgedanken lebte und ich habe eigentlich durchweg positive Erinnerungen an diese Zeit. Einzig getrübt vielleicht durch den Musiklehrer, der mich immer wieder bloß stellte, indem er mich Takte vor der Klasse klatschen ließ, was ich bis heute nicht wirklich kann. Aber das fällt wohl eher in die Kategorie unterschiedliche Persönlichkeiten und Talente. Mit der Schulmusik stand ich bereits in der Grundschule auf Kriegsfuß, wo ich am Ende gar nicht mehr vorsingen musste und gleich eine vier dafür bekam.
Nachhaltiger wirkte dann die Zeit am Gymnasium von der 7. Klasse bis zum Abitur. Dort hätten mich als Nichtakademikerkind die herrschenden Selektionsmechanismen fast mit Latein und Mathe bezwungen. Am Ende hat mich das vermutlich resilienter gemacht, aber vor allem den damaligen Mathematikunterricht möchte ich nicht mehr erleben müssen und den wünsche ich auch niemandem. Ich kam eigentlich mit ganz guten Voraussetzungen und mit Interesse an Mathematik ans Gymnasium, aber die dortige “friss oder stirb”-Mentalität, die Bloßstellungen und Demütigungen, haben mir nachhaltig den Spaß an Mathematik vergällt und mir bis heute das Gefühl gegeben, in diesem Fach nicht gut genug zu sein. Ich erinnere mich noch heute daran, wie mir ein Mathematiklehrer immer genüsslich meine Klausuren hinwarf mit den Worten: “Na. Herr Grundmann, das war wohl nix”. Das hat sich bis in mein Chemiestudium gehalten, dass ich mangels mathematischer Fähigkeiten abgebrochen habe. Ich erinnere in diesem Zusammenhang eine Situation, in der sich ein Klassenkamerad an der Tafel eingenässt hat.


Es ist schade, wenn solche Erinnerungen mit Schule verbunden bleiben.
Wir Lehrkräfte dürfen nie vergessen, dass die Schülerinnen und Schüler, die wir unterrichten, nicht freiwillig zu uns kommen, sie können sich nicht aussuchen, ob sie in die Schule gehen und nur in wenigen Fällen, in welche Schule sie gehen. Es handelt sich bei unseren Schülerinnen und Schülern außerdem um Kinder, die in ihrer Persönlichkeit noch nicht gefestigt sind, die unterschiedliche Hintergründe und Erlebnisse mitbringen. Wir sind die Pädagoginnen und Pädagogen, es ist zuallererst unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass alle Kinder ernst genommen werden und sie auf ein Lernumfeld treffen, in dem sie sich wohlfühlen. Übertriebene Autorität, eine mangelhafte pädagogische Haltung und Adultismus oder sonstige Formen von Diskriminierung sind da fehl am Platz. Ein wenig bin ich auch deswegen Lehrer geworden, weil ich das besser machen wollte. Ich hoffe, das ist mir bisher weitestgehend gelungen.
Hauptsächlich bin ich aber Lehrer geworden, weil ich auch all die guten Vorbilder erinnere. Da waren unglaublich inspirierende Lehrkräfte in Geschichte, Politik, Deutsch, Religion, Biologie oder Chemie, bei denen Lernen in der Regel Spaß gemacht hat, weil es mit Erkenntnissen verbunden war, die mich stolz machten. Das waren Lehrkräfte, die mir das Gefühl gegeben haben jemand zu sein, die mich und meine Anliegen ernst genommen haben und die mich abgeholt haben, die meine Stärken gestärkt haben und konstruktiv mit meinen Schwächen umgegangen sind.
Da war ein Herr Scheitza, der sich meine elaborierten Geschichtsausführungen in Klausuren angetan hat und diese auch noch gut fand. Die 13 Punkte, die ich mal bei ihm geschrieben habe ehren mich noch heute, denn 14 oder gar 15 Punkte gab es bei ihm nur, wenn man besser war als er selbst. Da war ein Herr Neubauer, der uns immer mit kleinkopierten ganzen Seiten aus der Zeit traktiert hat, dem ich aber mein Interesse an Politik verdanke, da waren zwei Herren Müller, der eine hat mir doch noch zum Latinum verholfen und der andere hat an meine chemischen Fähigkeiten im Leistungskurs geglaubt, da war eine Frau Schüller, die mir den Faust und Brecht näher brachte und viele andere, an die ich gerne zurück denke.
Solche Lehrkräfte brauchen wir und haben wir heute auch mehr als früher. In der Summe ist bei mir ein gutes Gefühl beim Rückblick auf meine Lehrerinnen und Lehrer geblieben. Ich weiß aber, dass das nicht für alle meine Mitschülerinnen und Mitschüler gilt und ich kenne einige, die bis heute bei ihren Kindern ein Misstrauen gegenüber der Institution Schule und den Lehrkräften hegen. Das ist schade, weil in der Schule so viele wichtige Grundlagen für das spätere Leben angebahnt werden, die wir positiv besetzen müssen. Lebenslanges Lernen, Neugierde und Interesse sind Zukunftsfähigkeiten, die wir dringender brauchen denn je und da machen wir Lehrkräfte für unsere Schülerinnen und Schüler einen Unterschied, genauso, wie es unsere Lehrerinnen und Lehrer für uns gemacht haben. Schule hat mir dann Spaß gemacht, wenn ich mich ausprobieren durfte, wenn ich Freiräume hatte, zum Beispiel bei einem Referat über die Rote Armee Fraktion, für das ich sogar in die Unibibliothek gefahren bin. Schule hat mir Spaß gemacht, wenn sie für gemeinsame Erlebnisse gesorgt hat, wie auf der Wintersportwoche oder im Theater und natürlich hat Schule Spaß gemacht, wenn es kleine oder große Erfolge gab.
Natürlich ist Schule kein Ponyhof und natürlich kommt es dort zu Konflikten, natürlich können nicht alle Schülerinnen und Schüler alle Fächer gleich gut, es wäre aber wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler die Schule am Ende mit einer in der Summe positiv besetzten Erinnerung verlassen.

Herr Mess mit einer traurigen Geschichte und noch einigen anderen Links zu Beiträgen zur Blogparade:
https://herrmess.de/2024/03/30/blogparade-2024-runde-4/.

Maria Kruse auf K(n)öpfchenkunde: https://xn--kpfchenkunde-4ib.de/2024/03/28/blogparade/.

Christiane Schicke auf “Neues aus dem Baumhaus”: https://moewenleak.wordpress.com/2024/03/26/blogparade-4-ein-pauker-schlag-oder-auch-welche-lehrer-haben-mich-beeindruckt/.

Jan Martin Klinge auf Halbtagsblog:
https://halbtagsblog.de/2024/04/23/blogparade-4-lehrkraefte-die-mich-besonders-beeindruckt-haben/.

Susanne Posselt:
https://susanneposselt.de/beeindruckende-lehrerinnenpersoenlichkeiten/.

Newsletter 12, 22.03.2024

Liebe Schulgemeinschaft,

auch wenn es eher (zu?) kurz war, ich fand unser Experiment mit der offenen pädagogischen Diskussion am Ende der letzten Gesamtkonferenz gelungen. Auch wenn es keine konkreten Ergebnisse gab, so konnten dennoch viele Positionen ausgetauscht und verdeutlicht werden. Die Gruppe, die über den Umgang mit mobilen Endgeräten diskutiert hat, hat noch einmal gezeigt, dass wir in einer VUCA-Welt leben. Die Diskussion war nämlich von einer gewissen Unsicherheit geprägt, sie war komplex und hat Mehrdeutigkeiten aufgezeigt.

Bis vor einem Jahr war für mich klar, dass das Smartphone zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gehört und deswegen nicht aus der Schule verbannt werden darf. Idealerweise wird eine Kultur der Digitalität gelebt, in der die Lernenden UND Lehrenden verantwortungsvoll mit ihren mobilen Endgeräten umgehen, diese nur in erlaubten Phasen im Unterricht einsetzen, Pausen für Bewegung nutzen und es nicht zu damit verbundenen Mobbingaktionen usw. kommt. Mittlerweile komme ich ins Zweifeln. Solange eine solche verantwortungsvolle Kultur der Digitalität noch nicht hergestellt ist, überwiegt vielleicht doch der Schaden, den Handy und Co anrichten. Immer wieder wird im Unterricht gefilmt oder fotografiert, wird in Chats gemobbt und sobald sich irgendwo eine Handgreiflichkeit anbahnt, werden die Smartphones gezückt. Ein Teil der Förderstufenschülerinnen und -schüler nutzt die Pausen nicht für Bewegung, sondern zum Spielen von irgendwelchen Browsergames, deren einziges Ziel es ist über Dopaminausschüttungen im Gehirn Suchtzustände herzustellen und am Ende vielleicht zu In-App-Käufen zu verleiten oder Werbung zu verbreiten. Jugendliche und Kinder werden über soziale Medien, TikTok, Gruppenchats, teils in ihren Spielen, über Airdrop und alle möglichen anderen Kanälen, mit Aufnahmen von (extremer) Gewalt, Tierquälerei oder Pornografie konfrontiert, von denen viele Erwachsene keine Vorstellung haben (ich empfehle in diesem Zusammenhang immer wieder Silke Müllers Buch „Wir verlieren unsere Kinder“, s.u.). Es gibt mittlerweile ja durchaus ernstzunehmende Studien, dass übermäßiger Medienkonsum, gerade bei Kindern, zu Konzentrationsschwierigkeiten oder Schlafstörungen führt. Es gibt andererseits aber keine Studien, die belegen, dass die sinnvolle Nutzung digitaler Endgeräte für schulische Zwecke schädlich ist.
Natürlich spielt sich von alledem nur ein Bruchteil in der Schule ab. In der Regel findet der Ge- und Missbrauch von digitalen Endgeräten ja zuhause und im Freundeskreis statt.
Dennoch muss sich Schule der Verantwortung zur Medienbildung bewusst sein. Die Medien sind da, ob wir sie in der Schule nutzen (kontrolliert oder unkontrolliert) oder verbieten, verschwinden tun sie nicht mehr und mit KI erreichen wir eine neue Dimension. Wenn jede und jeder über Prompts Programme erstellen, Bilder, sogar Videos, von erstaunlicher Qualität erzeugen kann, verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Dann muss Schule erst recht Medienbildungsarbeit leisten und zum kritischen und reflektierten Umgang mit all den Geräten und Tools bilden, vielleicht sogar auf Kosten des tradierten Inhaltskanons schulischen Wissens.
Ich bleibe dabei, das Ziel muss es sein die Schülerinnen und Schüler zu einem verantwortlichen Umgang mit digitalen Endgeräten und den damit verbundenen Risiken und Möglichkeiten zu erziehen. Bis wir diese Kultur der Digitalität allerdings erreicht haben und in der Schule und zuhause dieser verantwortungsvolle Umgang stattfindet, könnte es aber sein, dass wir eine Art Moratorium brauchen, bis wir, und damit meine ich die gesamte Schulgemeinschaft, uns schlau genug gemacht haben, wie wir zu dem verantwortungsvollen Umgang kommen. Vielleicht brauchen wir dafür externe Expertise, auf jeden Fall brauchen wir Zeit, um einen nachhaltigen Prozess zu starten. Wir waren uns in der Diskussion nach der Gesamtkonferenz im Grunde einig, dass ein Schnellschuss mit Regeln, die nicht von allen getragen werden, keine Lösung sein kann. Wir werden diese Diskussion führen und ich lade Sie und Euch alle herzlich dazu ein.

Unten finden Sie noch ein paar Links zur Vertiefung des hier angesprochenen Themen-komplexes.

Ihr

Erik Grundmann

Und wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:

Leseempfehlungen
– Silke Müller: Wir verlieren unsere Kinder. Gewalt, Missbrauch, Rassismus. Der verstörende Alltag im Klassenchat, München 2023.
– Leonie Lutz, Anika Osthoff: Begleiten statt verbieten. Als Familie kompetent uns sicher in die digitale Welt, München 2022.
– Jessica Wawrzyniak: Screen-Teens. Wie wir Jugendliche in die digitale Verantwortung begleiten, München 2022.

Studie der TU München zum Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern in Deutschland: https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/so-geht-es-den-schuelerinnen-in-deutschland.
Und ein Interview der Robert-Bosch-Stiftung mit Julian Schmitz zum Zusammenhang von Schule und Wohlbefinden von Kindern: https://www.bosch-stiftung.de/de/storys/warum-schule-bildung-und-wohlbefinden-zusammen-denken-muss-0?s=09.
Hier noch eine Studie der Körber-Stiftung zum Themenkomplex: https://koerber-stiftung.de/site/assets/files/37114/240305_koerber-stiftung_umfrage_nach_dem_potsdamer_geheimtreffen.pdf.

Empfehlenswert ist zum Thema KI auf jeden Fall auch die aktuelle Ausgabe der Pädagogik.

Wir wünschen eine erholsame Ferien- und Osterzeit!
Egal, was Sie vorhaben oder tun (müssen):

Newsletter 10, 23.02.2014

Liebe Schulgemeinschaft,

die letzte Blogparade der Edu-Blogger hat sich im Wesentlichen mit dem Thema Arbeitszeit von Lehrkräften befasst. Eine Liste mit Links zu den Beiträgen findet sich unter diesem Blogbeitrag: https://www.schulmun.de/2024/02/04/2024-04-auseinandersetzung-mit-dem-manifest-des-bildungsrates-als-teil-einer-blogparade/.
Das Thema beschäftigt aktuell auch unsere Schulgemeinschaft wieder und ist natürlich von großer Bedeutung für die Identifikation mit dem Job. Matthias Lausmann, alias Herr Mess, schreibt davon, dass unser Job kein Job wie jeder andere sei und hat damit sehr recht!
Wir stehen aktuell mal wieder vor der Phase der größten Belastung im Lehrendenjob, der Prüfungskampagne. Für uns als Gesamtschule heißt das, Haupt- und Realschulprüfungen, mündliches und schriftliches Abitur und die damit verbundenen intensiven Korrekturen. Das heißt, dass für viele Kolleginnen und Kollegen eine Zeit der Überstunden ansteht, die erst Ende Juni aufhört.

(Interpretation erschöpfter Lehrkräfte im Lehrerzimmer von DALL-E)

Auch die unterrichtsfreie Zeit, die man außerhalb der Lehrkräftebubble als Osterferien bezeichnet, hilft da nur begrenzt, da mündliche Prüfungen vorbereitet und überarbeitet werden müssen und natürlich der normale Korrekturbetrieb und die Unterrichtsvor- und -nachbereitungen weiter gehen müssen. Bleibt also die unterrichtsfreie Zeit im Sommer, aka Sommerferien, als Lichtblick und Kompensation.
Der Grundgedanke bei der Lehrkäftearbeitszeit ist, dass die Überstunden in Belastungsphasen durch Unterstunden in der unterrichtsfreien Zeit und in Phasen geringerer Belastung kompensiert werden. Insgesamt gibt es, wenn man Samstage als Werktage mitzählt, bundesweit einheitlich 75 Ferientage (für Schülerinnen und Schüler). Berücksichtigt man nun, dass Beamte in Hessen eine vorgesehene Arbeitszeit von 41 Stunden in der Woche und einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen haben, ergibt sich, dass der Jahresurlaub mit der freien Zeit im Sommer eigentlich abgegolten ist und dafür die anderen unterrichtsfreien Zeiten durchgearbeitet werden müsste, bzw. dort die Überstunden zu kompensieren sind. Nun arbeiten natürlich auch manche Lehrkräfte in den Sommerferien, vor allem Schulleitungsmitglieder, die dafür aber unter Umständen zu anderen Zeiten frei haben. Einschlägige Studien deuten auf jeden Fall darauf hin, dass viele Lehrkräfte spürbar mehr arbeiten. als sie müssten, eine schöne Übersicht zur Studienlage gibt es beim Deutschen Schulportal: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/lehrerarbeitszeit-infografik-so-viele-stunden-arbeiten-lehrerinnen-und-lehrer-wirklich/.
Das der Arbeitszeitberechnung zugrundeliegende Deputatsmodell ist über 150 Jahre alt und seither nicht wesentlich erneuert worden. Natürlich haben sich die Welt und die Anforderungen an Schule stark verändert. Das wiederum hängt aber auch von dem Standort und Typ der Schule ab, außerdem hängt die Belastung von der Fächerkombination ab, vom Vorhandensein einer Oberstufe, vom Altersdurchschnitt des Kollegiums, vom Bundesland, von der Schulleitung, vom Kollegium, vom Rahmenterminplan, der Anzahl von Ausflügen und Fahrten, von Teilzeiten usw. Was gehört eigentlich zur Arbeitszeit? Wie verbuche ich, dass ich am Wochenende beim Einkauf Stifte für die Schule gekauft habe? Ist es Arbeitszeit, wenn ich ein interessantes Buch zu Agilität lese oder als PoWi-Lehrer die Tageszeitung? Das heißt am Ende, dass, auch bei Experimenten mit Jahresarbeitszeiten wie in Hamburg, eine Gerechtigkeit kaum hergestellt werden kann. Hinzu kommen noch Aspekte, die nicht unbedingt lehramtstypisch sind, wie subjektives Belastungsempfinden oder der unterschiedliche Zeitaufwand verschiedener Menschen für die gleiche Tätigkeit. Das heißt am Ende, dass mit einer Zeiterfassung für die Arbeitszeit von Lehrkräften wenig gewonnen wäre, aber Konflikte vorprogrammiert wären. Die Berechnung von Lehrkräftearbeitszeiten ist also eine komplexe Angelegenheit.
All das soll jetzt nicht heißen, dass Lehrkräfte nicht be- oder gar überlastet sind, im Gegenteil, viele arbeiten zunehmend am Limit (vgl. Newsletter 9: https://www.schulmun.de/2024/02/08/newsletter-09-09-02-2024/). Am Ende zeigen mir diese Ausführungen, dass wir, solange wir in Deputaten, Stunden, Fächern, Klassenarbeiten denken, keine Fairness hinbekommen werden und in Zeiten zunehmenden Lehrkräftemangels auch keine Entlastung.

Und hier wieder als Angebot ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:

  1. Interessantes
    Eine Zusammenfassung der „berühmten“ Studie zur Lehrkräftearbeitszeit von Mark Rackles für die Telekom-Stiftung gibt es hier: https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/Lehrkraeftearbeitszeit-Expertise-Zusammenfassung.pdf.
    Das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg hat einige Bände zu wirksamen Unterricht als Transfer von der Bildungswissenschaft in die Praxis mit renommierten Autorinnen und Autoren zusammengestellt. Lesenswert: https://ibbw-bw.de/,Lde/Startseite/Empirische-Bildungsforschung/Publikationsreihe-Wirksamer-Unterricht.
    Verschiedene Ansätze zum Lernen aus der Gedächtnispsychologie: https://www.taptapklick.de/homeschooling/2024/02/15/wie-unser-gedaechtnis-tickt.
    Kristine Wahl, die Frau mit dem Dromedar, mit einem Blogbeitrag zu ihrer Odyssee durch verschiedene Schulformen und den Dingen, die man am Gymnasium nicht lernt: https://diefraumitdemdromedar.de/ende-einer-odyssee-oder-5-dinge-die-du-am-gymnasium-nicht-lernst/.
    Ein Beitrag zur Diskussion um die Aussagekraft von Noten auf SPON (weil wir auf dem Pädagogischen Tag eine spannende Session dazu hatten): https://www.spiegel.de/panorama/bildung/zeugnisse-wie-vergleichbar-sind-schulnoten-wirklich-a-a51b857d-d559-4d47-87b7-601f68f3f596?sara_ref=re-so-app-sh.
  2. KI
    OpenAI hat zu Wochenbeginn seine Text-to-Video-KI Sora mit beeindruckenden Ergebnissen vorgestellt, ein erläuterndes Video dazu (Dank an Hr. Zalac) gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=vTkT0DruA_A.
    Zu den Implikationen von KI als Übersetzungstool für den Fremdsprachenunterricht: https://channelobserver.de/produkte/ki-als-dolmetscher-muessen-wir-nie-mehr-eine-sprache-lernen-37555/.
    Einen schönen KI Leitfaden zu Schülerprodukten des Gymnasiums Neubiberg (Georg Schlamp) gibt es hier: http://englisch-lehrer.net/abb/Gymnasium%20Neubiberg%20KI%20Leitfaden%2011%202023.pdf.
    Etwas umfangreicher mit der Zielgruppe Oberstufe gibt es noch eine Handreichung von Frau Stier: https://www.fraustier.de/ki-handreichung-fuer-die-schule/.
    Und noch drei Beiträge zum Diskurs um die Auswirkungen von KI auf Schule und Bildung:
    https://hechingerreport.org/opinion-why-artificial-intelligence-holds-great-promise-for-improving-student-outcomes/
    https://thefutureproject.de/content/zukunft-des-lernens-die-ki-chance/
    https://www.schulmun.de/2024/02/20/2024-06-ki-ist-der-gamechanger-in-der-bildung/.
  3. Medien- und Demokratiekompetenz
    Eine schöne Seite des Wiesbadener Kollegen Günter Steppich mit zahlreichen Tipps zur Medienbildung (danke Frau Hoffmann): https://www.medien-sicher.de/.
    Tom Mittelbach sammelt in einem Wakelet Material und Artikel zu „Lehrer:innen für Demokratie“: https://wakelet.com/wake/oY-2D4ayI_YxijA3oC8UD.
  4. Hörempfehlung
    Weil die Diskussion bei uns ja gerade auch wieder aufkommt: Podcast zu Smartphones und Digitalisierung an Schulen mit einem guten Beitrag des Kollegen Georg Schlamp aus Bayern (nur 10 Minuten): https://www.br.de/mediathek/podcast/br24-thema-des-tages/handyverbot-an-schulen-und-digitalisierung/2090259.
  5. Tipps für den Unterricht
    Clideo ist ein hilfreiches Online-Tool zur Online-Videobearbeitung: https://clideo.com/de.
  6. Sehempfehlung
    KI kann auch sinnvoll im Mathematikunterricht eingesetzt werden, ein schönes Video daz gibt es von Christian Spannagel von der PH Heidelberg: https://www.youtube.com/watch?v=ia95t6RID9g.
  7. Die Zukunft von Bildung
    In einem schönen Artikel auf der Seite „Bildung Schweiz“ werden einige Expertenmeinungen zum Einfluss von KI auf die Zukunft von Schule und Bildung sehr gut zusammengefasst. https://www.bildungschweiz.ch/detail/macht-kuenstliche-intelligenz-lehrpersonen-zu-lerncoaches. Passend dazu sind meine letzten beiden Blogeinträge:
    https://www.schulmun.de/2024/02/19/2024-05-hybride-bildung/
    https://www.schulmun.de/2024/02/20/2024-06-ki-ist-der-gamechanger-in-der-bildung/
  8. Spaß im Netz
    Goody ist nach Selbstbeschreibung „the world’s most responsible AI model“. Viel Spaß damit: https://www.goody2.ai/chat.
    Mit https://www.suno.ai/ lassen sich im Internet kleine Songschnipsel produzieren, da haben sich Hr. Klem (kennen Sie evtl. vom Pädagogischen Tag) und ich einen kleinen Spaß gemacht und Songs zur Weibelfeldschule erstellen lassen, der Rap ist von Robin und der Country/Pop von mir, bzw. der KI (?):
    https://app.suno.ai/song/fd9dcde7-a622-439a-957e-cb4f2af309e0/
    https://app.suno.ai/song/cef32f79-0d82-4541-bbe0-b6d9e6533308
    https://app.suno.ai/song/1e182751-f694-4237-b2e6-39abbc129f6c.

2024-06: KI ist der Gamechanger in der Bildung


Vorbemerkung
Dieser Blogbeitrag betrachtet ein mögliches Zukunftsszenario. Wie das bei Projektionen in die Zukunft ist, kann man dabei furchtbar daneben liegen. Dennoch halte ich diesen Debattenbeitrag für wichtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir wieder mehr Diskurs, auch über Grundlagen, (nicht nur) im Bildungssystem brauchen und freue mich daher über Beiträge und Kommentare. Wir sehen doch, wie rasant sich die Welt verändert und erleben jeden Tag neue Dysfunktionalitäten im System, sodass es eigentlich geboten scheint, auch einmal die Systemfrage zu stellen und zu schauen, was wir anders und besser machen können. Es ist ja auch nicht so, dass es keine Beispiele gibt; es gibt Schulen, die anders, besser und erfolgreicher arbeiten. Warum nicht von diesen lernen?


Wer meine Beiträge in social media oder auf dieser Website verfolgt, weiß, dass ich seit Beginn des Hypes Ende 2022 ein Fan von Künstlicher Intelligenz (KI) bin. Ich habe zahlreiche Texte dazu gelesen, Videos gesehen und Podcasts gehört, ich habe mich vor allem mit KI in der Bildung auseinandergesetzt und selbst vorwiegend mit Sprach- und Bildmodellen experimentiert. Ich nutze ChatGPT+, die Fobizz-Tools, war Betatester von Fiete und nutze zahlreiche kostenlose Probetools.
Ich bin kein Informatiker und kein Mathematiker, kein KI-Evangelist und verdiene auch kein Geld damit.
Dennoch bin ich mittlerweile der festen Überzeugung, dass KI viele Bereiche unseres Lebens grundstürzend verändern wird. Der Bereich, von dem ich vermutlich am meisten verstehe, ist der der Bildung. Deshalb will ich mich in diesem Blogbeitrag mit dem Einfluss von KI auf den Bildungssektor auseinandersetzen.

Seit ich mich mit KI beschäftige habe ich das Bauchgefühl, eine Entwicklung mitzuerleben, die unsere Zukunft so stark verändert wie die industrielle Revolution oder eine der großen historischen Agrarrevolutionen. Verstärkt wurde ich in dieser Annahme zunächst, als Sal Khan in seinem TED-Talk am 1. Mai letzten Jahres “Khanmigo”, einen KI-Tutor, vorstellte. Letztlich überzeugt haben mich die Custom-GPTs von OpenAI, mit denen man mit wenigen Kenntnissen seine eigenen Chatbots prompten kann. Das habe ich erst kürzlich mit einem von mir geprompteten Geschichtstutor, der bei der Vorbereitung auf das hessische Geschichtsabitur unterstützt, wieder erfahren.


Diese KI-Tutoren können einen zentralen Teil der “klassischen” Lehrarbeit übernehmen, indem sie Stoff, also Inhalte, vermitteln, durch Üben festigen und sogar den Lernerfolg überprüfen. Das Ganze können sie sogar für jede Lernerin und jeden Lerner individualisiert und mit einer Geduld, die keine menschliche Lehrkraft aufbringen kann. Diese Tools können Feedback geben, Aufgaben differenzieren oder komplexe Sachverhalte didaktisch reduzieren und so auf unterschiedlichen Niveaus vermitteln und das mittlerweile in allen Fächern.
In Verbindung mit einem modernen Lernmanagementsystem (LMS) und darin hinterlegten curricularen Inhalten und Kompetenzrastern, können Lernende so hochgradig individuell und selbstbestimmt ihre Lernprozesse organisieren.
Natürlich müssen sie dazu auf der Kompetenzebene befähigt und im Prozess begleitet werden.
Und da kommen die Lehrkräfte ins Spiel, deren Rolle sich grundlegend verändern wird. Sie sind jetzt schon kaum noch und dann gar nicht mehr die Hüter arkanen Wissens, dass sie in leere Schülerinnen- und Schülerköpfe trichtern. Sie werden in Zukunft wohl zu Begleitern von Lernprozessen und Coaches der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen, also wieder mehr zu Pädagogen im eigentlichen Sinne. Auch auf der Seite der Lehrkräfte werden begleitende KI-Tutoren Einzug halten, sie werden helfen Lernbegleitung zu gestalten, zu strukturieren, zu kommunizieren und zu evaluieren.
Diese Veränderungen machen Lehrkräfte keinesfalls überflüssig, im Gegenteil, sie verändern zwar deren Rolle grundlegend, schaffen aber eben auch Ressourcen, die in der aktuellen Entwicklung des Lehrkräftemangels mehr denn je gebraucht werden. Es wird dann wieder leichter, die nötigen Ressourcen für die Schülerinnen und Schüler bereit zu stellen, die sie dringend benötigen und es wird der Raum geschaffen die nötigen “Futureskills” und eine Medienkompetenz für die Kultur der Digitalität zu entwickeln. Ergänzt durch AR- und VR-Anwendungen ergeben sich so völlig neue (teils hybride) Lernsettings, die ein neues Level von Bildung schaffen. Auch hier gilt, wie schon bei den vergangenen technologischen Modernisierungsprozessen in Schulen seit Beginn des Computerzeitalters, Lernprozesse werden anspruchsvoller und die Möglichkeiten vielfältiger.
Die “Klassischen” Strukturen der Schule in Jahrgängen, Zweigen, Klassen und Fächern lassen die durch KI möglichen Potenziale kaum zu und sind eher hinderlich. KI wird also dazu führen, dass Schule und Lernen neu gedacht werden müssen. Und eigentlich ist das auch gut so.

Weitere spannende Beiträge zum Thema:

Stephanie Wössner: “Zukunft des Lernens: Die KI-Chance” bei https://thefutureproject.de/content/zukunft-des-lernens-die-ki-chance/.

Yolanda Watson Spiva und Vistasp Karbhari: “OPINION: Why artificial intelligence holds great promise for improving student outcomes” bei https://hechingerreport.org/opinion-why-artificial-intelligence-holds-great-promise-for-improving-student-outcomes/.

Prof. Olaf Köller im MoMa: https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/professor-koeller-zu-ki-in-schulen-100.html.

Ein wunderbarer Beitrag auf “Bildung Schweiz”: https://www.bildungschweiz.ch/detail/macht-kuenstliche-intelligenz-lehrpersonen-zu-lerncoaches.

Die Washington Post darüber, wie Sal Khans Khanmigo Schule und Lernen verändern wird “An ‘education legend’ has created an AI that will change your mind about AI”: https://www.washingtonpost.com/opinions/2024/02/22/artificial-intelligence-sal-khan/.

TeachingHero ist ein Startup zur KI-gestützten Generierung von Lernmaterial: https://www.lehrer-news.de/blog-posts/ki-im-klassenzimmer-teachinghero-die-zukunft-des-personalisierten-lernens.

Nele Hirsch und Joscha Falck haben eine Blogparade zu #KIBedenken gestartet, in der es viele interessante Impulse zu dem Thema gibt: https://joschafalck.de/blogparade-kibedenken/.

Der BR zeigt Vorteile der Nutzung von KI in der Schule: https://www.br.de/nachrichten/wissen/ki-an-der-schule-wie-laesst-sich-kuenstliche-intelligenz-sinnvoll-einsetzen,U9LDQ0l.

2024-05: Hybride Bildung

Hybrides Lernen ist mir spätestens seit dem phasenweisen Distanzunterricht während der Corona-Pandemie ein Begriff und ich habe mich damals intensiv damit auseinandergesetzt, habe digitale Fortbildungen besucht oder das Buch von Tim Kantereit gelesen. In dieser Phase ging es um ein vernünftiges Wechselspiel aus Präsenz- und Distanzunterricht.
Nach der Pandemie ist es dann für mich eher ruhig um das Thema geworden, bis ich Jonathan Bork kennengelernt habe (über Christian Füller, Twitter und auf dem PxP, andere Geschichte). Jonathan ist ein außergewöhnlicher Schüler, der ein eigenes Konzept für hybride Bildung entwickelt hat. Er hat mir klar gemacht, dass es bei hybrider Bildung um viel mehr als Unterricht in außergewöhnlichen Situationen gehen kann, nämlich um ein inklusives Modell für den Regelunterricht.


Zu Hybridunterricht in Zeiten der Pandemie wurde bereits viel geschrieben und geforscht. In der Summe hat sich dort gespiegelt, was wir über den Präsenzunterricht wissen, die Qualität hängt in erster Linie von der Lehrkraft ab, dann von den technischen Möglichkeiten und nicht zuletzt vom Unterrichtssetting und (virtuellem) classroom-Management.
Schauen wir uns zuerst die Ideen von Jonathan Bork an. Für Jonathan entscheiden Schule, Lernende und Eltern gemeinsam, ob eine hybride Beschulung von Schülerinnen oder Schülern an einer Regelschule in Betracht kommt. Ein gewisser Anteil der Schulzeit müsse weiter in Präsenz erfolgen. Profitieren könnten vor allem Kinder mit ADHS, Autismus etc., Mobbingopfer, hochbegabte oder kranke Kindern. Wichtig sei dafür vor allem eine digitale Lernplattform, die von den Lehrkräften mit Inhalten gefüllt werden müssten. Als Lösung für Schülerinnen und Schüler oder welche mit weiten Anreisen, schlägt Jonathan Studyhalls, also dezentrale Lernorte mit entsprechender technische Ausstattung, vor. In einer Stellungnahme für die Mitglieder des Ausschusses für Bildung im Landtag von NRW hat Jonathan die wichtigsten Aspekte noch einmal zusammengefasst und sich schon mit etlichen relevanten Akteuren der Bildungsszene ausgetauscht. In der Summe geht es ihm um gelingende Inklusion durch hybride Bildung.


Ausgehend von Jonathans Überlegungen beschäftigt sich auch der Schulberater Michael Drabe ausführlich mit hybriden Lernmodellen. Er geht dann weiter auf ein von einer Hochschulgruppe entwickeltes hybrides Prozessmodell ein, welches er grafisch so abbildet, Details dazu hier:


Sowohl das Modell von Jonathan Bork für die Schule, als auch die Ausführungen von Michael Drabe für Studenten, welches auch auf Schulen übertragen werden kann, verlangen von den Lernenden eine größere Autonomie und von den den Lernprozess Begleitenden einen stärkeren Fokus auf den Prozess, also die Kompetenzebene. Dabei ist zu beachten, dass der Prozess mit steigender Selbstlernkompetenz immer weniger Anleitung verlangt und immer mehr Autonomie ermöglicht, also genau das, was Lernprozesse im 21. Jahrhundert, die sich zum Beispiel an den “Futureskills” oder dem OECD-Lernkompass orientieren, ausmacht. Michael Drabe betont dann weiter die Bedeutung des dialogischen Prozesses zwischen Lernenden und Lehrenden und die Notwendigkeit der permanenten Evaluation des Prozesses, außerdem nennt er acht Vorteile des hybriden Lernens (Funfact: Die acht Vorteile sind im Dialog mit KI entstanden).


Ich würde gerne noch einen dritten Aspekt in den Diskurs einbringen. Mein Punkt zur hybriden Bildung aus Sicht eines Schulleiters ist nämlich abschließend ein ganz pragmatischer. Hybrides Lernen kann, neben dem vermehrten Einsatz von Quer- und Seiteneinsteigenden (mein Blogbeitrag dazu), ein Beitrag zur Abfederung des beginnenden Lehrkräftemangels sein. Wenn den Lernenden durch vermehrtes hybrides Lernen ein autonomerer Lernprozess gelingt, verlieren die enge Steuerung von Lernprozessen und die klassische Instruktion an Bedeutung und Lernbegleitung oder Lerncoaching gewinnen an Bedeutung. Das schafft Ressourcen bei den Lehrkräften, die diese dann dazu verwenden können Lernende, die einen erhöhten Begleitungsbedarf haben, intensiver zu begleiten und mehr auf pädagogische Aspekte und Lernprozesse zu fokussieren. In Verbindung mit vernünftigen digitalen Lernmanagementsystemen entstehen so neue Lernformen, die den individuellen Bedürfnissen in der zunehmend heterogenen Schülerinnen- und Schülerschaft deutlich besser gerecht werden können.
Die Alemannenschule in Wutöschingen hat diese “Benefits” zum Beispiel schon in Teilen umgesetzt. Lernende, die im dortigen Graduierungssystem die höchste Stufe erreicht haben, können Teile ihrer Lernprozesse zuhause gestalten, natürlich immer wieder angebunden an regelmäßige Gespräche mit ihren zuständigen Lerncoaches.
Denkbar sind dann außerdem Lernsettings, bei denen Lehrkräfte Teile ihres Jobs von zuhause, im Homeoffice, erledigen können, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöht.
Um diesen Autonomiegewinn der Lernenden und den damit verbundenen Changeprozess im Mindset der Lehrenden umzusetzen, bedarf es allerdings noch großer Anstrengungen. Ich meine aber, dass sich diese Anstrengungen lohnen, zumal die Alternative in Zeiten des Lehremangels der Ausfall ist.

Fazit
Die Beschäftigung mit hybrider Bildung bietet auf drei Ebenen entscheidende Vorteile:
1. Sie bietet die Chance für eine deutlich bessere Inklusion
2. Sie fördert die Autonomie der Lernenden und ist zukunftsfähig
3. Sie trägt zur Kompensation des Lehrkräftemangels bei.
Es lohnt sich also in jeden Fall, sich damit auseinander zu setzen. In diesem Sinne freue ich mich sehr auf die Diskussion mit Jonathan Bork und Michael Drabe zu diesem Thema auf der Didacta!


Die Bilder zu diesem Beitrag sind mit DALL-E4 generiert und sollen verschiedene Formen hybrider Bildung illustrieren.

Newsletter 09, 09.02.2024

Liebe Schulgemeinschaft,

dieser Newsletter ist auf den ersten Blick KI frei! Nicht, weil es aus diesem Bereich nichts Neues gäbe, sondern weil manchmal Denkpausen angebracht sind, das gilt meiner Meinung nach besonders bei KI. Das soll nicht heißen, dass das Thema durch ist, im Gegenteil, ich werde schon bald darauf zurückkommen. 😉

Heute will ich mich mit dem Thema Fortbildung auseinandersetzen, genauer mit dem Trilemma aus Fortbildung, Schulentwicklung und Mangelverwaltung.

Ich kann zu Beginn festhalten, dass wir in einer Phase des Lehrkräftemangels sind, dass wir im Bildungsbereich einen massiven Investitionsstau haben, dass Vergleichsstudien wie PISA, IQB oder VERA, Abwärtstrends in der Performanz der Schülerinnen belegt haben und vieles mehr, bei gleichzeitiger Zunahme von Leistungsheterogenität und psychischer Belastung der Jugendlichen. Eigentlich nennt man so etwas eine Polykrise. Und das ist nur die systemimmanente Polykrise, über die im Land und auf der Welt haben wir dann noch gar nicht gesprochen.

Ich will aber weder lamentieren noch polemisieren, ich möchte Sie aber an einem Problem teilhaben lassen, das mich umtreibt und Sie zum Diskurs darüber auffordern. Ich frage mich schon länger, was wir machen können oder müssen, um aus dieser Polykrise rauszukommen.

Zunächst müssten wir Schulentwicklung betreiben, um uns neue Ideen und Konzepte zu überlegen, die auf die veränderten Bedingungen passen und die vielleicht sogar mit geringeren Ressourcen auskommen, die gleichzeitig diesen wunderbaren Job als Lehrkraft wieder attraktiver gestalten und so zumindest mittelfristig für personelle Entlastung sorgen können. Und dazu brauchen wir Zeit, vielleicht sogar Muse, Zeit für Diskussionen, Zeit, sich andere Schulen und Konzepte anzuschauen, Zeit für Fortbildungen und Schulentwicklung.

Wir stopfen im Moment aber Löcher. Ein Stundenplan jagt den nächsten, eine Lehrkraft erhöht ihre Stunden, die nächste arbeitet zusätzlich, um die Krise zu bewältigen. In der Summe holen wir immer wieder das allerletzte aus dem System heraus in der Hoffnung, dass es bald besser wird. Vielleicht wird es das, das wäre schön.

Aber was, wenn nicht? Müssten wir nicht jetzt das System agiler und resilienter machen? Aber wie soll das gehen, wenn wir alle Ressourcen aufwenden müssen, um unsere Pflicht abzudecken und keine Kapazitäten mehr für die Kür bleiben? Wir müssten eigentlich jetzt weniger Ressourcen in die Pflicht stecken und dafür mehr in die Kür.

Das verstehe ich als das Trilemma aus Fortbildung, Schulentwicklung und Mangelverwaltung. Das treibt mich um und dafür bin ich auf der Suche nach Lösungen und dafür fordere ich Sie zum Mitdenken auf. Noch bewegen wir uns auf kein „Worst-Case-Szenario“ zu, noch müsste es Möglichkeiten geben. Lassen Sie uns ins Handeln kommen, bevor wir nicht mehr handlungsfähig sind, was hoffentlich nicht passiert. Aber was, wenn doch?

Ein resilientes System hat Strategien und Ideen für Notfälle, es kann agil auf immer neue Herausforderungen reagieren, ohne seine Handlungsfähigkeit zu verlieren. Lassen Sie uns ins Gespräch kommen und Ideen entwickeln, wie wir unsere Schule zukunftsfest machen. Mit dem Pädagogischen Tag als Barcamp, der Initiative der Schulentwicklungsgruppe zur Umwandlung in eine Selbstständige Schule und dem im März beginnenden extern begleiteten Schulentwicklungsprozess (nähere Info und Einladung folgen bald), haben wir die Weichen in die richtige Richtung gestellt, jetzt müssen wir, um im Bild zu bleiben, noch alle auf den Zug aufspringen und gemeinsam Gleise legen und Feuer unter dem Kessel machen.

Ja, wir stehen vor großen Herausforderungen, aber unsere Schule hat alle Möglichkeiten, diese zu bewältigen. Ich bin in jedem Fall optimistisch, einfach weil es sich lohnt; für uns, für unsere Kinder und für unsere Welt.

Ihr

Erik Grundmann

Und hier wieder als Angebot ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:

Interessantes
Interessanter Debattenbeitrag von Axel Krommer zur “Schule als chinesisches Zimmer“, bzw. über die Simulation von Kompetenzen: https://axelkrommer.com/2021/02/21/die-schule-als-chinesisches-zimmer-oder-wie-man-kompetenzen-simuliert/.
Bei https://wirlernenonline.de/ gibt es frei verfügbares Material nach Fächern sortiert.
Für die Technikbegeisterten könnte dieser Artikel des New Yorker zu Apples gerade herausgekommener VR-Brille „Vision Pro“ von Interesse sein: https://www.newyorker.com/tech/annals-of-technology/where-will-virtual-reality-take-us.

Medien- und Demokratiekompetenz
In der Toolbox von teachtoday der Telekom finden sich schnell und übersichtlich vielfältige Materialen zur Förderung der Medien- und Demokratiekompetenz junger Menschen im Alter von 9-16 Jahren. https://www.teachtoday.de/2920_Toolbox.htm.

Hörempfehlung
Podcast zu Sinn, Unsinn und Wirksamkeit von Korrekturen von Benedikt Wisniewski: https://open.spotify.com/episode/5VdwCXfWy3aq27I7nCCoFr.  
Eine Podcastreihe zur Nachhaltigkeitspädagogik gibt es hier: https://open.spotify.com/show/7Fm45ZWBZRsWf51M0mMrKG.

Unterricht mit digitalen Tafeln
Chartle
ist ein hilfreiches Online-Tool zur Erstellung von Diagrammen. Auf der Seite gibt es weitere Links zu zahlreichen anderen brauchbaren digitalen Helferlein, vom QR- bis zum Mindmap-Generator. https://www.chartle.de/.
Mit https://video.link/ kann man Youtube-Links “entschärfen”, d.h. die Werbung entfernen, Cookies minimieren, automatische Empfehlungen und Autoplay deaktivieren, sodass Youtube im Unterricht eingesetzt werden kann.

Sehempfehlung
Dieses Mal empfehle ich einen echten Film: „Das Lehrerzimmer“, nicht umsonst ausgezeichnet und für den Oscar nominiert (Verleihung am 10. März). Der Film ist wirklich sehenswert und intensiv. Eine gute Kritik, die den größeren Kontext bedenkt, gibt es hier: https://www.ndr.de/kultur/film/tipps/Oscar-Hoffnung-Das-Lehrerzimmer-Drama-moralische-Zwickmuehle,daslehrerzimmer100.html.

Smartphone und Co
Hier finden Sie Tipps zu Sicherheitseinstellungen bei Apps und Spielen auf Smartphones und Tabletts des BSI: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Publikationen/Broschueren/Wegweiser_Checklisten_Flyer/Jugendschutzeinstellungen_Schritt_fuer_Schritt.html.

TikTok und Rechtsextremismus
Rechtsextreme Ideologien, versteckt hinter Hashtags: Extremisten umgarnen mit TikTok-Videos gezielt Kinder und Jugendliche. Experten warnen vor schleichender Radikalisierung. Beitrag von ZDF heute: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/tiktok-radikalisierung-kinder-jugendliche-rechtsextremismus-100.html#xtor=CS5-281.
Mehr zu TikTok gibt es in einem Dossier der BpB: https://www.bpb.de/lernen/bewegtbild-und-politische-bildung/themen-und-hintergruende/lernen-mit-und-ueber-tiktok/.

Spaß im Netz
Eine schöne Graphic Novel finden Sie hier https://gh123432.my.canva.site/percy-jackson-and-the-hidden. Diese wurde mit Canva erstellt. Mit Canva kann man Beiträge für Social Media, Plakate uvm. erstellen. Für Canva gibt es kostenlose Lehrkräftezugänge! Bei Fragen können Sie mich gerne ansprechen.
Hier können Geschichtsinteressierte in das alte Persepolis eintauchen: https://persepolis.getty.edu/.
Eigentlich kein Spaß: Die German Toilet Organization hat erneut den Wettbewerb „Toiletten machen Schule“ zur Verbesserung der Situation in den Schultoiletten ausgeschrieben: https://www.toilets-making-the-grade.org/de/deutschland-2024.



2024-04: Auseinandersetzung mit dem Manifest des Bildungsrates – als Teil einer “Blogparade”

Mehr Vielfalt im Lehrerzimmer!

Quereinstieg ist eine Lösung

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt.

Der Bildungsrat von unten hat am 30.01.24 seine „Stellungnahme zum Fachkräftenotstand an Schulen und zu den von der SWK vorgelegten Empfehlungen“ veröffentlicht! Der Bildungsrat von unten geht auf eine Initiative von Susanne Posselt, Bob Blume, Philipp Dehne und Mark Rackles zurück. Er sieht sich als Bottom Up-Alternative zur KMK und setzt sich für die Vernetzung von Menschen aus der Bildungspraxis ein, die Reformvorschläge unterbreiten. Mittlerweile sind über 1.100 Menschen dort aktiv. Ich bin einer davon und konnte den Entstehungsprozess des Papieres begleiten, zugegeben eher passiv, kann aber versichern, dass es eine beeindruckende Leistung ist. Über 1100 Personen, vorwiegend Lehrkräfte, haben in einem exakt einjährigen Prozess in verschiedenen Arbeitsgruppen und Plenen diskutiert, formuliert, moderiert und abgestimmt und am Ende ist tatsächlich eine Reihe konkreter Forderungen entstanden.
Ich möchte mich für die Blogparade gerne schwerpunktmäßig mit Punkt 3, “Den Quereinstieg als zweiten regulären Zugang zum Lehramt mit bundesweit einheitlichen Standards verstetigen!” beschäftigen, der wiederum eng mit den meisten anderen Punkten des Manifests zusammenhängt. Wir PoWi-Lehrkräfte glauben ja immer an Interdependenz.
Warum genau dieser Punkt? Einmal, weil er mich als Schulleiter im Moment sehr beschäftigt und dann, weil ich Ende des Monats zu diesem Thema in einer Podiumsdiskussion auf der Didacta sitze und mich so darauf vorbereiten kann; so etwas nennt man dann wohl einen Synergieeffekt.
Für mich ist Fakt, dass wir mehr Quer- und SeiteneinsteigerInnen in der Schule brauchen werden. In der Grundschule und in Mangelfächern ist das ja schon lange der Fall.

Das Lehrerzimmer ohne Quer- und Seiteneinsteiger.

“Der Quer- und Seiteneinstieg in das Lehramt ist seit einigen Jahren gelebte Praxis und effektiver Lückenfüller in Zeiten des Lehr- und Fachkräftedefizits. Der Quereinstieg mit Vorbereitungsdienst (hier so verstanden als Abgrenzung zum sog. Seiteneinstieg als Direkteinstieg ohne Vorbereitungsdienst in den Schuldienst) ist seit zehn Jahren von der KMK als Sondermaßnahme im Bereich der allgemeinen Bildung zugelassen.” So beginnt dieses Kapitel des Manifests (S. 15).
Wie so oft, lässt sich beim Quereinstieg in das Lehramt kein konsistentes Konzept erkennen, schon gar nicht bundesweit. Für Hessen gibt es immer wieder Quereinstiegsprogramme für bestimmte Mangelfächer. Die Regularien sind kompliziert und es kann sein, dass an der Uni Scheine nachgemacht werden müssen oder/und ein (Teil-)Vorbereitungsdienst absolviert werden muss, an dessen Ende ein Staatsexamen steht, welches zu einem regulären Lehramtsabschluss führt. Diese Fälle sind eher selten, ich kenne wenige.
Das hier diskutierte Manifest geht dann darauf ein, dass die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK (SWK) die Qualifikation der Quereinsteiger an die Universitäten binden will und fordert hier eine stärkere Einbindung der Landesinstitute und Institutionen der 2. Phase der Lehrkräfteausbildung (Zu den Phasen der Lehrkräftebildung: https://lehramtswiki.uni-due.de/index.php/Phasen_der_Lehrerausbildung). Ich denke, dass die Universitäten keine geeigneten Orte sind, es sei denn, es geht tatsächlich um rein fachliche Nachqualifizierungen und selbst da habe ich Zweifel. In Hessen gehören die Universitäten zu einem anderen Ministerium als die Schulen und die professorale Autonomie führt dazu, dass das Lehramt gerne belächelt wird und hinter die “echte” Wissenschaft zurücktreten muss. So habe ich es selbst in meiner Studienzeit erlebt (Ja, ich weiß: Anekdotische Evidenz). Die Studienseminare in der 2. Phase der Ausbildung können hier eine Rolle spielen, noch besser geeignet sind aber, meiner Meinung nach, die Schulen als Orte der Praxis selbst. Dieser Aspekt fehlt leider im Manifest. Und natürlich fehlen dafür die Ressourcen an den Schulen, aber die könnte man ja schaffen (vgl. Fazit).

Häufiger als zum Quereinstieg kommt es zum Seiteneinstieg, der nicht mit einer berufsbegleitenden Qualifikation verbunden ist, zunächst in befristeten Beschäftigungsverhältnissen stattfindet und deutlich schlechter bezahlt wird. Da verdienen dann Menschen mit Abschlüssen an renommierten Universitäten ein unterdurchschnittliches Gehalt. Das muss man wirklich wollen. Hessen hat den Verdienst mittlerweile etwas angehoben, aber der Abstand zu regulären Lehrkräften ist immer noch groß. Außerdem gibt es keine Aufstiegsmöglichkeiten. Daher bleibt festzuhalten, dass der Seiteneinstieg in der Regel mit finanziellen Opfern einhergeht. Dennoch gibt es mehr Seiten- als Quereinsteiger, was vermutlich an den wenigen Programmen für den Quereinstieg liegt und dies auch nur bestimmte Fächer betrifft, die ohnehin zu wenig studiert werden.:
“Die quantitative Entwicklung des Quereinstiegs hat angesichts des Mangels an Lehrkräften in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die SWK geht davon aus, dass knapp 10 % der Neueinstellungen Seiteneinsteigerinnen sind und 4-5 % Quereinsteigerinnen. In einzelnen Ländern liegt der Anteil der quereinsteigenden sogar über 50 %.” heißt es in dem Manifest (S.15)
Man kann den Seiteneinstieg natürlich kritisch sehen, es fehlt ja in der Regel die pädagogische und didaktische Qualifikation. Und dennoch gibt es herausragende Beispiele für erfolgreiche Seiteneinstiege. (Genauso wie es Beispiele für Lehrkräfte mit voller Ausbildung, Seiten- und Quereinsteiger gibt, die dann doch auf Dauer nicht für den Job geeignet sind). Auch für Lehrkräfte gibt es übergeordnete Kompetenzen und Haltungsfragen, die eine gute Lehrkraft ausmachen und die sich nur begrenzt in der Lehrkräfteausbildung vermitteln lassen. Ich rede hier zum Beispiel von einer außerordentlichen Fähigkeit zur Selbstreflexion und einem adultismusfreien Menschenbild um auf der Beziehungsebene mit den Schülerinnen und Schülern in Resonanz treten zu können. Erst dann können eigentlich Lernen und Bildung stattfinden und das ist eine hohe Kunst, bei der auch Talent, eine Fehlerkultur und ein internalisiertes Growth Mindset eine Rolle spielen. Das sind auch Dinge, die man nicht abprüfen kann, die man nicht anordnen kann und die man nicht mal eben implementieren kann. Dafür bedarf es konzertierter und orchestrierter, langwieriger Change-Prozesse.
Manche Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger bringen solche Fähigkeiten aber mit und können ganz schnell wertvolle Mitglieder einer Schulgemeinschaft werden. Wie soll das System mit denen umgehen? Welche Perspektiven können solche Menschen haben? Kettenverträge und dann eine Entlohnung deutlich unter der der Kolleginnen und Kollegen? Nachstudieren und ein Referendariat machen, auch wenn man schon im fortgeschrittenen Alter ist oder schon ein Studium auf hohem Niveau absolviert hat, was aber nicht in den schulischen Fächerkanon passt?
Hier sehe ich ein individuelles Training on the Job als einzig sinnvolle Lösung und dafür braucht es fähige Personen aus den Kollegien vor Ort, die die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung haben (Vgl. Fazit).

Training von Quer- und Seiteneinsteigern in der Schule

Um sowohl Quer- als auch Seiteneinsteigende sinnvoll in die Berufspraxis einzuführen und fachlich, pädagogisch und didaktisch nachzuqualifizieren bedarf es also mehr Ressourcen und da sind wir bei den eingangs erwähnten Interdependenzen mit den anderen Forderungen des Bildungsrates von unten.

Zum einen hilft es das Angebot an Fachpersonal in Schulen zu erhöhen (Forderung 2). Mehr Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Fachkräfte für Psychologie und Medientechnik, Verwaltungsassistenzen und Laborhilfen, IT-Kräfte oder medizinisches Personal und andere Fachleute könnten die Lehrkräfte im Kerngeschäft entlasten und gleichzeitig für einen Professionaliserungsschub in Schule sorgen. Dieses Personal könnte dann durchaus auch Funktionen in der Lehre erfüllen. Eine Gesundheitsfachkraft kann Suchtprävention, sexuelle Aufklärung oder Ernährungslehre einbringen, eine IT-Kraft kann ein freiwilliges Angebot zum “Computerschrauben” machen oder in der Informatik mitarbeiten und eine Psychologin oder ein Psychologe kann Resilienztrainings durchführen usw. Der Fantasie sind da praktisch kaum Grenzen gesetzt, wenn Schule bereit ist sich dahingehend zu öffnen und ihr die nötigen Mittel an die Hand gegeben werden.

Mehr andere Professionen ins Lehrerzimmer!

Zusätzlich muss die Stundentafel auf den Prüfstand und entschlackt werden (Forderung 6). Die curricularen Inhalte und die zu unterrichtenden Fächer und damit Stunden haben eine Tendenz zur Vermehrung; zum Beispiel Blockflöte und Digitale Welt in Hessen oder mehr Deutsch und Mathe in bayerischen Grundschulen. Dazu noch Berufsorientierung mit immer mehr Praktika, soziales Lernen, Sucht- und Gewaltprävention und vieles mehr und, ach ja, natürlich auch Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie und Chemie, Latein und Englisch, Religion und Kunst, Musik und Sport, vielleicht auch noch Wirtschaft, Recht, Philosophie, Japanisch, Polnisch und was weiß ich. Das sind alles tatsächliche Fächer und Aufgaben von Schule. Dazu kommen dann ja noch die ganzen immer wieder diskutierten Wunschfächer wie Glück, Steuern, Mietvertrag oder Haushaltskasse. Sind wir mal ehrlich, das ist doch Unfug. Wir brauchen in den Schulen weniger Inhalt, viele Inhalte lassen sich mit den modernen Medien in einer Kultur der Digitalität erschließen, wenn die Schülerinnen und Schüler eben dieses Erschließen in selbstständigen Lernprozessen erlernt haben. Darauf müssen wir den Fokus richten. Lehrende müssen weg von der reinen Instruktion und hin zu mehr (Lern-)Coaching. Die aktuellen Fächer und ihre Inhalte werden den komplexen Herausforderungen und Zusammenhängen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gerecht. In welchem Fach soll denn zum Beispiel Grundlagenwissen zum Klimawandel oder zu Künstlicher Intelligenz unterrichtet werden? Und ab welchem Alter? Mit welchem Prüfungsziel? Bei Fächern und Inhalten ist weniger mehr: Weniger statisches Wissen, dafür mehr Prozesswissen und mehr Kompetenzorientierung.

Letztlich muss die Arbeit an Schulen wieder mehr Wertschätzung erfahren und dadurch attraktiver werden (Forderung 9). Das kann dann gelingen, wenn endlich wieder deutlich gemacht wird, dass den Schulen für die Gestaltung der Zukunft eine bedeutende Rolle zukommt. In einer VUCA-Welt ist es unerlässlich Zukunftskompetenzen zu erlangen und resilient zu werden. Es ist wichtig Demokratie und Anerkennung einzuüben und nachhaltige Entwicklung zu verstehen. All das kann Schule leisten, wenn man sie lässt. (Vgl, dazu die Newsletter 02 und 08 auf dieser Homepage)

Fazit
Wir müssen jetzt handeln, um später davon profitieren zu können. Wir müssen jetzt Inhalte entschlacken und daraus Ressourcen generieren um hinreichend Quer- und Seiteneinsteigende verschiedener Professionen in das System Schule zu integrieren, mit denen wir dann gemeinsam die Schule und das Lernen der Zukunft gestalten können. Es geht dabei mitnichten um eine Deprofessionalisierung von Schule und Lehrkräften! Im Gegenteil, die Profession der vorhandenen Lehrkräfte ist wichtiger denn je.
Weniger von dem, was wir bisher hatten, führt dann zu mehr von dem, was wir in Zukunft benötigen. Wenn es sein muss, müssen wir dafür unter Umständen jetzt Stunden kürzen, auch bei den Hauptfächern, nur so können wir dringend benötigte Ressourcen zur Schulentwicklung generieren, die uns zukunftsfähig macht.
Das wird uns alles nur mit ausreichend qualifizierten Quer- und Seiteneinsteigenden gelingen, die die Chance haben als gleichwertige Lehrkräfte in den Schuldienst integriert zu werden!

In der Schule der Zukunft.

Anmerkung: Der Text ist wirklich handgeschrieben, die Bilder sind mit DALL-E generiert und natürlich ist nicht intendiert Quer- und Seiteneinsteiger als Tiere zu bezeichnen. Die Integration der doch eher sympathischen Tiere in die Lehrerzimmer soll schlicht und einfach etwas erheitern und den langen Text auflockern.

Ergänzende Anmerkungen zur Lehrkräftearbeitszeit:
Da sich die anderen BloggerInnen der Parade auf das Thema Arbeitszeit konzentrieren, hier eine kurze Ergänzung dazu von mir:
Viele Aspekte, die Kontroversität und die Schwierigkeiten bei der Messung von Arbeitszeit von Lehrkräften können in den verschiedenen Blogbeiträgen zur Blogparade nachgelesen werden (siehe unten).
Einen unpopulären Aspekt möchte ich noch ergänzen. Eine wirklich umfassende und exakte Erfassung der Arbeitszeit würde vermutlich große Ungleichheiten innerhalb der Kollegien ergeben, die sich aus der Fächerkombination und dem über den Unterricht hinausgehenden Engagement ergeben. Dazu kommen noch Lebensabschnittsbedingte Disparitäten und mögliche Karriereambitionen. Das birgt enormes Konfliktpotenzial, allerdings gibt es wohl in jedem Beruf “High- und Low-Performer”.
Letztlich lässt sich bei den meisten Berufen, abgesehen vielleicht von der Fließbandarbeit, eine rein am Output orientierte Erfassung von Arbeitszeit und Leistung nicht sinnvoll realisieren.
Dennoch, wer diesen Aspekt sinnvoll zu Ende diskutieren will, muss letztendlich auch über den Beamtenstatus diskutieren, aber das wäre dann vielleicht mal ein schönes Thema für eine andere Blogparade.
Ich habe mich im Rahmen eines Newsletters noch einmal intensiver diesem Thema gewidmet: https://www.schulmun.de/2024/02/22/newsletter-10-23-02-2014/.

Nach Veröffentlichung erfolgte Ergänzungen zum Thema:
Ein Beitrag der Telekom-Stiftung zur Notwendigkeit von Quer- und Seiteneinsteigenden im MINT-Bereich: https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/MINT-Personal%20an%20Schulen_Zusammenfassung.pdf.

Weitere Beiträge zur Blogparade:
Die weiteren Beiträge befassen sich bisher fast alle mit der Arbeitszeit von Lehrkräften, daher habe ich einen kurzen Abschnitt dazu in meinem Beitrag oben ergänzt.

Jan Martin Klinge auf Halbtagsblog:
https://halbtagsblog.de/2024/02/04/blogparade-2-arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/.

Gastbeitrag von “Lehrer mit Bart” auf Halbtagsblog:
https://halbtagsblog.de/2024/02/10/arbeitszeiterfassung-gastbeitrag/.

Thomas Kuban auf Kubiwahn:
https://www.kubiwahn.de/2024/02/arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/.

Die reine Leere:
https://reine-leere.de/lehrerarbeitszeit-gemessen-statt-gefuehlt-edublogparade-2/.

Matthias Lausmann auf Herr Mess:
https://herrmess.de/2024/02/10/edublogparade2024-runde-2-arbeitszeiterfassung-fuer-lehrkraefte/#comments.
Mit einer Ergänzung:
https://herrmess.de/2024/03/02/lehren-aus-runde-2-der-edublogparade-2024-working-hours-workload/.

Timo Off:
https://www.timo-off.de/2023/eigentlich-keine-arbeitszeiterfassung-aber/.

Susanne Posselt:
https://susanneposselt.de/vom-wert-der-zeit/.

Fengler Schule:
https://fengler.schule/?p=75.

Christiane Schicke:
https://moewenleak.wordpress.com/2024/02/11/blogparade-2-arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/.

Tobias Schreiner:
https://tobias-schreiner.net/2024/02/17/arbeitszeiterfassung-in-der-schule/.

Kristina Wahl als “die Frau mit dem Dromedar:
https://diefraumitdemdromedar.de/arbeitszeiterfassung-in-der-schule/.

Es gibt noch einen Beitrag von Julius Becker zum Thema “Stundentafel entschlacken”:
https://monsieur-becker.de/2024/stundentafel-entschlacken/.