Tempus fugit. Wieder ist ein Jahr vergangen und es ist Zeit für eine (Rück-)Besinnung. Ich verbinde hier meinen persönlichen Jahresrückblick und den Aufruf zur Blogparade zum Thema „(Rück-)Besinnung“ von Susanne Posselt. 2023 hatte ich für mich als Jahr der Künstlichen Intelligenz bezeichnet. Dieses Thema hat sich auch in diesem Jahr fortgesetzt, ist aber immer noch nicht so recht in den Schulen angekommen. Das Jahr 2024 war für mich das Jahr, in dem ich in meinem (neuen) Job als Schulleiter so richtig angekommen bin. Natürlich hatte ich eine vage Vorstellung, was es bedeutet als Schulleiter zu arbeiten, aber natürlich noch keine echte Erfahrung. Nach 1,5 Jahren bin ich aber immer noch davon überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war, diese Verantwortung zu übernehmen und ich liebe immer noch was ich tue. Ich kann tatsächlich Schule verändern, beziehungsweise Menschen in meiner Schulgemeinschaft empowern, Schule zu verändern. Dabei entstehen ganz tolle Projekte und Arbeitsgruppen mit vielen tollen Ideen und Umsetzungen (mehr dazu im WfS Blog). Natürlich ist nicht alles toll, aber in der Summe überwiegt doch das Positive, ich spüre eine Selbstwirksamkeit und bekomme oft positives Feedback. Das gibt die Kraft die hohe Arbeitsbelastung zu bewältigen. Wenn ich das Jahr Revue passieren lasse, mich also zurück besinne indem ich meinen Kalender durchblättere und in mich gehe, fällt mir erst so richtig auf was so alles in ein Jahr passt. Ich werde immer wieder gefragt, wie ich das alles mache was ich so mache und ich antworte dann immer, dass mein Beruf auch mein Hobby ist. Meine großen Themen sind Schulentwicklung, Vernetzung und Demokratie- und Medienbildung. So langsam bin ich der Überzeugung, dass ich das was ich tue auch ganz gut mache. Ich gehöre zu den Menschen, die immer wieder zweifeln und reflektieren, ob sie Dinge gut genug machen oder überhaupt befähigt sind einen Vortrag zu halten oder einen Blogbeitrag wie diesen zu schreiben. Interessiert das überhaupt jemanden, hat es einen Mehrwert? Vermutlich ist das ein leichtes Impostor-Syndrom. Dazu gehören vermutlich auch die Selbstzweifel an meinem „Führungsstil“. Ich bin nicht der Typ, der Entscheidungen schnell trifft und diese dann rücksichtslos durchboxt, ich wäge lange ab und Versuche möglichst viele Betroffene zu hören und zu vermitteln und nach Möglichkeit Lösungen zu finden, die für möglichst viele Beteiligte tragfähig sind. Das kann man mir (und tut man auch) als Führungsschwäche auslegen, aber ich werde diesem Vorgehen treu bleiben, weil mir Authentizität wichtig ist und weil es mir wichtig ist, diese dann auch vorzuleben.
Ich werde in diesem Beitrag keine Auflistung der Erfolge des vergangenen Jahres machen, das habe ich zum Beispiel hier oder im oben verlinkten Blog WfS 2030 schon getan. Wichtig ist mir zusammenfassend zu erwähnen, dass wir in 2024 Strukturen geschaffen haben (Selbstständige Schule, DNA-Gruppe, Think- und Do-Tank, AG Handynutzung uvm.), die einen Boden bereiten für großartige Entwicklungen, die sich hoffentlich in diesem Jahr verstärkt zeigen. Es geht um mehr Schülerinnen- und Schülerbeteiligung, eine Demokratisierung des Schulalltages und den Beginn eines Prozesses zur Haltungsveränderung, um unser schulisches Zusammenleben und Wirken auf eine neue, eine modernere und tragfähigere, Basis zu stellen. Das ist es, wofür ich brenne, das ist es wobei ich Selbstwirksamkeit spüre, weil ich meine kleine Welt und damit einen Ausschnitt aus der großen Welt positiv verändern kann und damit zu einer enkelfähigen Zukunft und zu einer lebenswertere Welt beitrage, die wir in diesen unruhigen Zeiten alle gut gebrauchen können. Deshalb werde ich unermüdlich weiter machen, werde weiter für Vernetzung sorgen und für ein zeitgemäßes Bildungssystem werben und versuchen positiven Einfluss zu nehmen, wo mir das möglich ist.
Ich unterrichte auch Geschichte an einem Abendgymnasium, zurzeit eine E-Phase. Die Besonderheit dieser Lerngruppen ist die einerseits ausgesprochene Heterogenität der Lernenden, da diese aus den verschiedenen beruflichen Kontexten kommen und in der Regel noch im Berufsleben stehen, teils schon älter sind, andererseits aber eigenständig den Wunsch sich am Abitur zu versuchen entwickelt haben und daher entsprechend motiviert sind. Erfahrungsgemäß tun sich viele der Lernenden in Geschichte etwas schwer, weil sie hier durch intensive Textarbeit, Textverständnis und Schreibarbeit gefordert sind, was viele so nicht kennen. Deshalb habe ich hier schon häufiger, gerade bei der ersten Klausur mit Open-Book-Formaten gearbeitet, das heißt, die Schülerinnen und Schüler durften ihre Aufzeichnungen und das Schulbuch benutzen, was eigentlich immer als positiv empfunden wurde, da es die Lernenden mental entlastet hat. Dieses Mal bin ich einen Schritt weiter gegangen und habe in der Klausur vom 08.11.2024 die Nutzung von mobilen Endgeräten erlaubt (die Lernenden haben alle ein solches und auch Zugang zu einem W-LAN), was explizit die Nutzung von KI einschloss.
Wir haben im Vorfeld bereits darüber gesprochen, dass die Nutzung des Internets und der KI zwar eine Erleichterung sein kann, dass aber der Faktor Zeit dadurch entscheidender wird. Es war also allen klar, dass ohne rudimentäre Kenntnis der Inhalte nicht genug Zeit vorhanden sein würde, um die Inhalte nachzulesen. Außerdem lag der Klausurtext, Die Verfassungsdebatte aus Herodots „Bücher der Geschichte“ (3, 80-83), nicht elektronisch vorliegt und auch nicht bekannt war, sodass dieser dennoch erst sinnerfassend gelesen und verstanden werden musste. Der Text war bewusst gekürzt und knapp gehalten und durch wenige Annotationen und biografische Angaben zu Herodot entlastet.
Die Aufgabenstellung war typisch für eine Klausur in der E-Phase: 1. Fassen Sie die im Text genannten drei Positionen zu einer zukünftigen Staatsform in eigenen Worten knapp zusammen (Konjunktiv!). (25BE) 2. Analysieren Sie die Quelle anhand eines ihnen vorliegenden Analyseschemas. (50BE) 3. Nehmen Sie Stellung zu der Aussage: „Denn Besseres kann man nicht finden als den einen Mann, der der Beste ist. (…)“ (Z. 40f.) Argumentieren Sie mit historischen und aktuellen Argumenten. (25BE) Zusätzlich habe ich folgende Arbeitsanweisung gegeben: Die Klausur ist eine „Open-Book-Klausur“, das heißt, Sie dürfen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel (Aufzeichnungen, Bücher, Internet, KI usw.) benutzen. Allerdings müssen Sie am Ende angeben, welche Hilfsmittel sie für welche Teile benutzt haben (z.B. durch Quellenangaben mit Fußnoten).
Was waren die Learnings für mich (natürlich alle im Bereich der anekdotischen Evidenz)?
Wie schon bei den Open-Book-Klausuren ohne KI, werden die Leistungen mit KI auch nicht schlagartig deutlich besser. Auffällig war allerdings, dass es im Vergleich zu den Klausuren ohne Hilfsmittel und ohne KI, weniger Minderleistungen gab.
Schülerinnen und Schüler mit sprachlichen Schwierigkeiten konnten eher nicht von der KI-Nutzung profitieren. Die Auswertung und Bewertung dieser Klausuren, sowie die Beobachtung während der Klausur zeigt, dass diese Lernenden viel zu lange damit beschäftigt sind, den Quellentext zu verstehen und so kaum Zeit haben sich mit den anderen Aufgaben zu beschäftigen oder dazu, mangels inhaltlichem Verständnis, dazu nicht in der Lage sind. Das ist übrigens eine Beobachtung, die ich nicht nur im Abendgymnasium mache. Das heißt aber, dass das ein Bereich ist, in dem eine KI nicht hilfreich ist, bzw. sogar vorhandene Defizite noch verstärkt. Ich würde daraus zwei Schlüsse ziehen: 1. Sinnerfassendes Lesen und der Umgang mit (auch schwierigeren) Texten, müssen, auch in der Oberstufe, stärker gefördert werden. Im Grunde benötigt es dazu zusätzliche Stunden und Übungen. Dass die Vermittlung von Literacy ein großes Problem im deutschen Schulsystem ist, wissen wir ja seit dem ersten großen Pisa-Schock zu Beginn des Jahrtausends. 2. Wenn leseschwache Lernende von der KI-Nutzung profitieren sollen, müssen die Quellentexte digital zur Verfügung stehen, damit sie von KI übersetzt, zusammengefasst und erklärt werden können. Das löst aber nicht das Problem aus 1., könnte aber das Problem einer sprachlichen Barriere mindern.
Die Lernenden sollten ja angeben, wo und wie sie Hilfsmittel genutzt haben, das hat eher mäßig funktioniert und muss noch geübt werden. Das Problem kenn ich allerdings schon aus dem Umgang mit klassischer Zitation, das bedarf Übung. Außerdem ist aufgefallen, dass gar nicht alle Schülerinnen und Schüler mit KI gearbeitet haben, manche sogar nicht einmal das Internet genutzt haben. Das ließ sich jetzt allerdings nicht mit bestimmten Leistungen verbinden.
Auffällig war außerdem, das war eigentlich zu erwarten, dass innerhalb der Klausuren einzelne Textabschnitte große stilistische und orthografische Unterschiede aufwiesen. Es war also gut zu erkennen, wo KI genutzt wurde und wo nicht. Und da wird es noch einmal interessant: Bei der Analyse der KI-generierten Textstellen hatte ich das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler KI eher als Suchmaschine nutzen und dann einfach Ergebnisse übertragen. Hier bietet sich ein Ansatz zur Weiterarbeit, weil wir hier gut an konkreten Beispielen an Promptingkompetenzen arbeiten und über Chancen und Grenzen von LLM diskutieren können, was ich dann nach den Ferien aufgreifen will. Natürlich habe ich mit den Schülerinnen und Schülern schon darüber gesprochen und ich habe auch einschlägige Tipps dazu in unserer den Unterricht begleitenden Taskcard, aber das scheint mir noch nicht ganz angekommen, bzw. wurde von mir unzulänglich unterrichtet.
Wie haben die Lernenden die Klausur empfunden?
Ich habe die Schülerinnen und Schüler um ein Feedback in einer Zielscheibe über oncoo gebeten (leider hat sich nur knapp die Hälfte beteiligt).
Es zeigt sich, dass die Lernenden das Open-Book-Format eher gut fanden, es gibt einen „Ausreißer“ und es vor allem Sicherheit gegeben hat, was den grundsätzlichen Erfahrungen mit diesem Format entspricht.
Zwar fanden fünf bis sechs Lernende die Nutzung von KI bei der Bearbeitung der Teilaufgaben eher hilfreich, es gab aber doch auch einige, die das nicht ganz so empfanden. Hier zeigen sich vermutlich die oben beschriebenen Phänomene der sprachlich/zeitlichen Einschränkung und der fehlenden Prompingtkompetenz. Das muss noch weiter ergründet werden.
Unabhängig vom Open-Book-Format zeigt sich, dass die Herausforderung im Umgang mit Quellentexten, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird, womit wir wieder bei Literacy-Kompetenzen sind.
Fazit
Es zeigt sich, dass der Umgang mit KI in Klassenarbeiten und Klausuren weitgehend Neuland ist und zwar für die Lernenden UND die Lehrenden. Wir alle müssen in diesem Bereich noch Erfahrungen sammeln und diese reflektieren. Wir müssen Mut haben auszuprobieren und Fehler zu machen. Ich werde jedenfalls weiter an diesem Format arbeiten, aber sicher nicht in jeder Klausur, dafür ist das Format noch zu experimentell. Für mich hat sich gezeigt, dass eine große Gefahr darin besteht, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten der Lernenden im Umgang mit KI die Gefahr einer Vergrößerung der Heterogenität beinhalten. Das darf uns aber nicht dazu verleiten KI zu verdammen und zu verbannen, das wäre sträflich fahrlässig, weil KI unsere Lebenswelt durchdringt und Schule sich dem nicht entziehen kann. Vielmehr muss es unser Ziel als Lehrende sein, den Umgang mit KI zu Lehren und der Heterogenität entgegen zu wirken. Und damit hängt eine zweite Gefahr eng zusammen. Der Umgang mit KI hebt die Bedeutung von Literacy-Kompetenzen weiter hervor und da liegt ja bereits eine große Schwachstelle unseres Schulsystems, die wir nun noch stärker in den Fokus rücken müssen. Wer kompetent mit einem LLM arbeiten will, muss exzellent mit Sprache umgehen können.
Es wird für uns alle also nicht einfacher, sondern schwieriger. Packen wir es an.
Wie schwierig der Umgang mit Sprache ist zeigt hier auch wieder einmal die KI in Form von DALL-E 😉
manchmal sind Dinge für einen selbst so selbstverständlich, dass man davon ausgeht, dass alle wüssten, wovon man redet. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen meiner ersten Unterrichtsbesuche in Geschichte, in dem mein Ausbilder mir erklärte, dass ich nicht davon ausgehen kann, dass alle Achtklässler wüssten, was ein Kompass sei. Neulich hatte ich wieder so einen Moment, als es um die SDG und BNE ging. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist seit 2017 besonderer Bildungs- und Erziehungsauftrag laut Hessischem Schulgesetz (§2 Abs (2)8.) und in zahlreichen Resolutionen und einem Orientierungsrahmen der KMK verankert (https://www.kmk.org/themen/allgemeinbildende-schulen/weitere-unterrichtsinhalte-und-themen/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung.html). Zurück geht BNE auf die Agenda 21, die auf der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro 1992 beschlossen wurde. Das war die Zeit, in der durch die zunehmenden Erkenntnisse zur Klimakrise und der Zerstörung der Umwelt der, eigentlich aus der mittelalterlichen Forstwirtschaft stammende, Begriff der Nachhaltigkeit (englisch: sutainability) in den öffentlichen Fokus rückte. Von 2005 bis 2014 fand die Weltdekade BNE statt und im Anschluss startete das UNESCO-Weltaktionsprogramm BNE. 2015 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen dann auch die 17 Sustainable Development Goals (SDG, dt: Nachhaltige Entwicklungsziele) beschlossen, die bis 2030 erfüllt werden sollen (vgl.: https://unric.org/de/17ziele/).
Quelle: Von UNDP (United Nations Development Programme) – https://unric.org/https://unric.org/de/17ziele/gdrive: SDG Icons German. Eigenes Werk mittels: gdrive: SDG Material_DE_Ohne UN-Emblem.zip -> SDG_Poster_DE_No UN Emblem.pdf, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=125994232
2017 verabschiedete die „Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung“ einen Aktionsplan für Deutschland, der zahlreiche Ziele und konkrete Handlungsfelder umfasst. BNE wird dabei nicht als ein weiteres Themenfeld in einzelnen Fächern verstanden, sondern braucht einen fächerübergreifenden Ansatz, der auch die Didaktik und Methodik betrifft. Natürlich machen wir als Umweltschule oder mit der Umwelt-Themenklasse schon sehr viel gut und richtig in dieser Richtung, aber BNE und die SDG beziehen sich nicht nur auf Umwelt, sondern erkennen an, dass die 17 Ziele alle miteinander zusammenhängen. Staaten müssen sich Klimaschutz leisten können und dafür bedarf es frieden und guter Bildung usw. Angesichts der aktuellen ökologischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen rücken diese Ziele leider wieder in den Hintergrund. Genau deshalb ist es aber so wichtig, dass wir als Schule umso mehr Wert auf die SDG legen. Viele Kinder und Jugendliche spüren instinktiv, dass wir mehr für die Umwelt tun müssten und es ist unsere Aufgabe als Schulgemeinschaft sie dabei zu unterstützen. Wir müssen ihnen das theoretische Rüstzeug und das agile Mindset mitgeben, Dinge zum Guten zu verändern, was uns aktuell scheinbar schwer gelingt. Wir gehen im kommenden Jahr auf jeden Fall einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Mit dem Reallabor Weibelfeldschule, Zukunftsschmiede „TrendHub“ (Think-/Do-Tank) schaffen wir Möglichkeiten für die ganze Schulgemeinschaft lernendenzentriert und BNE-orientiert selbstwirksame und nachhaltige Lernerfahrungen zu sammeln (und ja, die ganzen Buzzwords müssen sein). Nähere Erläuterungen dazu finden Sie im Schulentwicklungsblog. Nach diesem kurzen Input möchte ich nun aber auch noch ein paar persönliche Worte loswerden.
Wieder neigt sich ein langes und anstrengendes Jahr dem Ende zu, mein erstes vollständiges Kalenderjahr als Schulleiter der Weibelfeldschule. Ich wurde in diesem Jahr bewährt und bin jetzt fest ernannt. Es war nicht immer leicht, aber das ist auch nicht zu erwarten, es gab sehr anstrengende Phasen, Meinungsverschiedenheiten und kontroverse Idee, aber auch das ist normal. Es kommt auch immer wieder zu Konflikten zwischen einzelnen Menschen oder Gremien der Schulgemeinschaft, aber auch das ist normal. All das ist normal. Ich würde sogar behaupten das ist gut, denn es zeigt: das System lebt, es ist in Bewegung und das ist gut so, Stillstand ist Rückschritt und mittlerweile ist, glaube ich, fast allen klar geworden, dass ich Veränderung will. Veränderung von Haltung, von Unterricht, von Schulentwicklung. Wir können es uns nicht leisten nichts zu ändern, die Welt verändert sich rasant und wir müssen eine Balance finden aus notwendiger, womöglich bisweilen disruptiver, Veränderung und notwendiger Bewahrung von Bewährtem und Gutem, das wird nicht leicht, aber ich glaube wir sind auf dem richtigen Weg, wir stellen die richtigen Fragen, wir haben die richtigen Arbeitsgruppen und wir entwickeln die richtigen Strukturen. Und vor allem haben wir die richtigen Menschen in allen Teilen der Schulgemeinschaft, deren zunehmendes Engagement in diesen ohnehin anstrengenden Zeiten mein Antrieb ist. Ich bin dankbar und glücklich, Schulleiter dieser Weibelfeldschule mit Ihnen und Euch allen zu sein und wünsche Ihnen und Euch allen eine schöne Ferien- und/oder Weihnachtszeit, einen friedlichen und glücklichen Start in das neue Jahr und freue mich auf ein weiteres im positiven Sinne anstrengendes Jahr mit Ihnen und Euch an der Weibelfeldschule!
Ihr
Erik Grundmann
Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:
TikTok-Challenge Warnung!
Als Erstes muss ich einmal wieder vor einer neuen TikTok-Challenge warnen, die schon zu ersten schweren Verletzungen geführt hat. Bei der s.g. „Supermann-Challenge“ springen Kinder in die Arme zweier Freunde und werden von diesen zurückgeworfen; klingt harmlos, ist es aber nicht. Reden Sie darüber mit den Schülerinnen und Schülern, bzw. Ihren Kindern. Weitere Infos gibt es hier: https://www.mimikama.org/superman-challenge-auf-tiktok-2-kinder-verletzt/.
Tipps für den Unterricht Fällt dieses Mal etwas kürzer aus, es sind ja bald Ferien. Eine Plattform für Augmented Reality (AR), Mixed Reality (MR) oder Virtual Reality (VR) im Unterricht bietet „schule mal digital“: https://www.schule-mal-digital.de/.
Leseempfehlung Ich habe es zwar noch nicht selbst gelesen, das Buch wird aber von so vielen klugen Menschen empfohlen, dass ich es jetzt hier quasi mit „Vorschusslorbeeren“ empfehle: Yuval Noah Harar: Nexus. Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz, München 2024. Ist jedenfalls meine Ferienlektüre Nummer eins.
Sehempfehlung Deepfake-Pornografie ist auch das Thema einer ZDF-Dokumentation, erschreckend anzusehen, unterstreicht aber noch einmal, auch wenn der Schwerpunkt hier ein anderer ist, warum Bilder von Kindern nichts im Netz zu suchen haben, da mittlerweile ein halbwegs vernünftiges Profilbild in WhatsApp ausreicht, um solche Filme herzustellen: https://www.zdf.de/dokumentation/die-spur/deepfake-pornos-jagd-nach-taetern-collien-ulmen-fernandes-100.html. Im Netz scheint gerade eine ganze Industrie zu entstehen, die für relativ wenig Geld und anonym hochwertige Deepfakes herstellt. Hatte ich schon einmal in einem der ersten Newsletter empfohlen, ist aber einfach sehr gut und auch mit deutschen Untertiteln bei der BpB erschienen. Gemeint ist der großartige TED-Talk über die Veränderung von Bildungsparadigmen des leider zu früh verstorbenen Ken Robinson. Vielleicht bietet sich ja in der besinnlichen Zeit die Gelegenheit mal reinzuschauen: https://www.bpb.de/mediathek/video/158066/ken-robinson-bildung-voellig-neu-denken/. Auf YouTube gibt es noch mehr großartige Talks von ihm.
Veranstaltungsempfehlung Die didacta findet vom 11. bis 15. Februar 2025 auf dem Messegelände Stuttgart statt. Die Weibelfeldschule wir dort auch wieder präsent sein. Der Ticketverkauf läuft.
wir hatten neulich einen Pädagogischen Tag unter dem Motto „einfach bewegen(d)“, den ich in mindestens zweierlei Hinsicht bemerkenswert fand. Leider konnte ich wegen einer Schulleiter-Dienstversammlung am Nachmittag nicht mehr teilnehmen, mir wurde aber berichtet, dass in den Arbeitsgruppen gute Ideen zur Weiterarbeit entwickelt wurden. Bemerkenswert fand ich zum einen, das ist allerdings fast eine Binsenweisheit, dass noch einmal klar wurde, dass Bewegung Lernprozesse und Konzentration fördert. Gut war, dass das noch einmal mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen unterfüttert wurde. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich bei meinen Kindern nun anders auf den Bewegungsdrang während der Hausaufgaben schaue, womit ich beim zweiten und bemerkenswerteren Punkt wäre. Als professionelle Lehrkräfte und Pädagogen sind wir reflektierte Praktikerinnen und Praktiker, das heißt, wir müssen unsere professionellen Haltungen immer wieder in Frage stellen. Dies wurde besonders deutlich, als in der Keynote gezeigt wurde, welche Settings in Klassenräumen modern und bewegungsfördernd sind. Darin steckt natürlich auch die implizite Botschaft, dass permanenter instruierender Frontalunterricht mit Reihenbestuhlung nicht sonderlich sinnvoll ist. Wir brauchen stärker individualisierte Lernformen und müssen noch mehr Wert auf den Lernprozess, also auf Kompetenzentwicklung und Feedbackprozesse legen. Deutschland ist bei der Entwicklung einer modernen Lernkultur in den letzten Jahrzehnten und im Vergleich zu vielen anderen Ländern zunehmend ins Hintertreffen geraten und das können wir uns eigentlich nicht leisten, weil Bildung ja unsere wichtigste, vielleicht sogar einzige, zukunftsfähige Ressource ist. Ich wünsche mir, dass wir an der Weibelfeldschule weiter entschlossen den Weg einer zukunftsfähigen professionellen pädagogischen Haltung gehen. Ich bin zwar erst knapp 1 1/2 Jahre an unserer Schule, mir ist aber schon positiv aufgefallen, dass die meisten Kolleginnen und Kollegen professionelle pädagogische Praktiker sind, die bereit sind, sich weiterzuentwickeln und sich veränderten Bedingungen anpassen wollen und können. Das ist etwas, was viele Gesamtschulen auszeichnet, aber meiner Meinung nach bei uns besonders stark in unserer DNA verankert ist. Das ist eine Stärke, die es weiter zu stärken gilt. Was wir dafür brauchen, ist ein analytischerer Blick auf die Prozesse und Ergebnisse unserer Arbeit. An verschiedenen Stellen wurde und wird immer wieder festgestellt, dass Deutschland im Bereich der evidenzbasierten Schul- und Unterrichtsentwicklung hochgradig defizitär ist. Wir pflegen schulisches und unterrichtliches Handeln aus Traditionsgründen und wider jegliche Evidenz (Sitzenbleiben, frühe Selektion, Hausaufgaben usw.); in all diesen Bereichen müssen wir beginnen unsere Haltung zu hinterfragen und Veränderungsprozesse einleiten. John Hattie hat in einem Interview in der FAZ (https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/lehrer-muessen-den-schuelern-mehr-rueckmeldungen-geben-110123306.html, leider Bezahlschranke) neulich gesagt: „Das Lehrerkollegium habe die Lernentwicklung aller Schüler zu analysieren und die geeigneten Schritte zur Förderung zu bestimmen. Schulleiter sollten sich durch unangekündigte Unterrichtsrundgänge regelmäßig einen Eindruck über das Lernen und Lehren verschaffen“. Darin steckt genau das. Mit „analysieren“ meint er die Schaffung einer validen und evidenzbasierten Basis für die Entwicklung von Kompetenzen der Lernenden. Außerdem ist er der Überzeugung, dass es dafür eine Schulleitung braucht, die diese Prozesse professionell begleitet und auch wertschätzend überprüft. Mir ist klar, dass wir im Moment noch in einer Schulkultur leben (nicht nur bei uns, sondern landesweit), in der unangekündigte Unterrichtsbesuche des Schulleiters angstbesetzt sind und als Affront aufgefasst werden, ich würde mir aber wünschen, dass sich das ändert, dass Hospitationen, nicht nur durch den Schulleiter, sondern kollegial, zum Normalfall würden und als Lernchance durch professionellen Austausch gesehen werden. Auch ich sehe mich als professionellen evidenzorientierten Praktiker, der permanent an seinem Handeln und an seiner Haltung arbeitet, ich bin offen für Feedback und konstruktive Kritik. Im Buch „Der tanzende Direktor“ von Verena Friederike Hasel wird beschrieben, dass in Neuseeland die Klassenzimmer immer offen für Eltern und das Kollegium sind, dort wird die wiederkehrende Schulinspektion freudig empfangen, weil man sich so über Innovationen für den Unterricht austauschen kann und wertschätzendes Feedback zum eigenen unterrichtlichen Handeln erhält. Eine solche Schul- und Lernkultur würde ich mir auch für unser Land wünschen. Wenn ich die aktuellen Studienergebnisse aus ICILS oder dem Schulbarometer (vgl. Links unten unter „Interessantes“) betrachte, in denen deutlich wird, dass unsere Schülerinnen und Schüler viel zu wenig Medienkompetenz besitzen und Schule und den damit verbundenen Druck als zunehmende Belastung empfinden, der sie krank macht, finde ich, dass wir das reflektieren und darauf reagieren müssen. Die Ergebnisse der Studien, und das gilt ja auch für PISA, IGLU, VERA, IQB und wie sie alle heißen, sind ja keine Momentaufnahmen, sondern zeigen einen Abwärtstrend bei den Leistungen, beim Wohlbefinden und beim Erwerb zukunftsrelevanter Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler. Ich finde, dass wir das nicht hinnehmen können und wir deshalb Schule und Unterricht verändern müssen, wir alle müssen Teile unserer Komfortzone verlassen, wenn wir, auch angesichts der globalen Entwicklungen (vgl. letzter Newsletter) unseren Kindern und Jugendlichen eine lebenswerte und enkelfähige Welt hinterlassen wollen. Packen wir es an! Machen ist wie wollen, nur krasser!
Um den Bogen zum Anfang des Newsletters zu schließen, verweise ich auf die Links zu „Unterricht“ weiter unten, in denen digitale Adventskalender mit 24 Bewegungstipps verlinkt sind.
Ihr
Erik Grundmann
Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:
Leseempfehlung Weil wir in Zeiten von KI verstärkt über eine neue Prüfungskultur nachdenken müssen, empfehle ich das neue Bändchen aus der „Upgrade-Reihe“: Sobel, Martina und Alpogus, Murat: Upgrade: Leistungsmessung und Beurteilung. Wege in eine veränderte Prüfungskultur, Hannover 2024.
Veranstaltungsempfehlung „Vision@Schule“ am 28. und 29. März an der Albert-Schweitzer-Schule in Wetzlar. Es gibt jetzt (nicht ganz günstige) Tickets für „FUTUROMUNDO EDU. Das Internationale Zukunftsfestival des Lernens. 3.-4. Juli 2025, Stuttgart“ https://www.futuromundo.com/edu.
ich habe das Gefühl, dass ich mal wieder etwas weiter ausholen muss und knüpfe damit an den 2. Newsletter aus dem letzten Schuljahr an (https://www.schulmun.de/2023/10/24/newsletter-02-29-09-2023/). In den letzten Wochen ist wieder einmal sehr deutlich geworden, dass wir uns global in einem rasanten und unvorhersehbaren Veränderungsprozess befinden (Stichwort: VUCA/BANI-Welt). Die Situation ist einerseits bedrohlich, unsere Demokratie und unser Wirtschaftsmodell, ja unsere ganze Lebensweise ist bedroht. Der SPIEGEL hat vom „Ende des Westens“ geschrieben. Das ist durchaus furchteinflößend und führt verständlicherweise zu Verunsicherung. So wie es aussieht, stehen uns größere Disruptionen bevor, nehmen wir als Beispiel nur die Autoindustrie, bei der das besonders deutlich wird. Deren Geschäftsmodell wird aus dem Ausland, besonders China, bedroht, drohender Protektionismus (USA) schließt Absatzmärkte und außerdem wurde zu spät und zu halbherzig auf notwendige technologische Anpassungen verzichtet (E-Autos und Klimawandel). Ähnliches droht unserem Bildungssystem, auch hier verharren wir an einigen Stellen zu lange in einem veralteten und überkommenen Modell, auch hier überholt uns das Ausland, obwohl wir einst einer der „Weltmarktführer“ waren, auch hier sind Reformschritte und Anpassungen an die veränderte Welt unabdingbar. Im Guardian habe ich neulich einen sehr interessanten Kommentar gelesen (https://www.theguardian.com/business/article/2024/sep/01/germany-economy-problem-analogue-industries), in dem Larry Elliott beschreibt, wie Deutschland versuche sein analoges Modell in einer digitalen Welt beizubehalten. Diese krassen und rasanten Veränderungen, die man mit Recht als Disruptionen bezeichnen kann, betreffen uns alle, unser aller Leben wird sich verändern und da haben wir noch gar nicht über KI, Kriege, Populismus, Spaltung der Gesellschaft usw. gesprochen. Gleichzeitig stecken in solchen Disruptionen auch Chancen. Die Menschheit hat sich in solchen Phasen rasanten Wandels in der Geschichte eigentlich immer als anpassungsfähig und innovativ gezeigt. Es gibt ja, wenn man sie sehen will, auch positive Entwicklungen, die auf eine bessere Zukunft hindeuten, es gibt medizinischen Fortschritt, KI kann unsere Arbeitswelt positiv verändern, zumal in Kombination mit immer fortschrittlicherer Robotik, der unregulierte und gesellschaftsgefährdende Aufstieg der sozialen Medien scheint seinen Zenit überschritten zu haben und auch im Bildungssystem machen sich immer mehr Menschen und Schulen auf den Weg zukunftsfähigere und menschlicher Schulen zu entwickeln. Der Veränderungsdruck nimmt also zu und führt dazu, dass Veränderungen beschleunigt werden, so ist das bei allen Veränderungsprozessen. Es geht durch ein „Tal der Tränen“ und dann wird es nachhaltig besser. Ich fürchte, da müssen wir alle früher oder später durch. Ich gehöre zu den Menschen, die es dann lieber früher hinter sich haben und im Prozess gestaltend eingreifen. Was da in der Welt im Großen vor sich geht, spiegelt sich auch in unserem Schulkosmos im Kleinen. Wir haben es in der Hand, die Zukunft mitzugestalten, denn: Bildung ist der Schlüssel um mit den Problemen der VUCA/BANI-Welt klarzukommen. Wir müssen unsere Kinder zu resilienten und agilen Menschen ausbilden, die sich der Problemlage bewusst sind und kreative Lösungen entwickeln die Probleme zu lösen. Wer unseren Schulentwicklungsprozess verfolgt, merkt, dass wir schon mittendrin sind. Wir sind mitten in einem ergebnisoffenen Transformationsprozess. Ich bin zuversichtlich, dass wir zum neuen Jahr Selbstständige Schule werden, was unsere Handlungsspielräume finanziell und pädagogisch erweitert. Wir haben mit der Schulentwicklungsgruppe und externer Begleitung eine Initiativgruppe gebildet, die Werkzeuge für die weitere Schulentwicklung an die Hand bekommen hat und aus der in einem nächsten Schritt eine DNA-Gruppe hervorgeht. Diese DNA-Gruppe umfasst 20 Personen. Sie soll möglichst alle Gruppierungen und Strömungen der Schulgemeinschaft abbilden, um dort auf Augenhöhe Schulentwicklungsprozesse, gerne auch kontrovers, zu diskutieren, um auszuloten, wie diese in der Schulgemeinschaft ankommen. In diesem Zusammenhang befindet sich die „alte“ Schulentwicklungsgruppe in einem Findungsprozess und muss vielleicht ihre Rolle etwas neu justieren. Die Initialgruppe hat damit ihre Arbeit getan und wird aufgelöst. Vielen Dank für das fantastische Engagement! Ein weiterer Aspekt ist das Medienkonzept, das der letzten Gesamtkonferenz abgestimmt worden ist und in dem wir einen weiteren Schritt in Richtung einer Kultur der Digitalität gehen. Aus diesem Entwicklungsprozess ist die Arbeitsgruppe zur Handynutzung entstanden, welche begonnen hat unseren Umgang mit digitalen Endgeräten einem Revisionsprozess zu unterziehen, bei dem natürlich auch Schülerinnen und Schüler sowie Eltern eingebunden sind. Auch Teil des Schulentwicklungsprozesses ist das Konzept gegen sexualisierte Gewalt. Dessen Entwicklung ist eine Vorgabe des Ministeriums, wir haben es aber auch genutzt, um damit einen Prozess zu starten, der sich ernsthaft mit der Haltung der und den Beziehungen zwischen den Teilen der Schulgemeinschaft auseinandersetzt. Auch dafür haben wir externe Expertise in Anspruch genommen und erkannt, dass dieses Konzept wichtig ist und wir ein funktionierendes Beschwerdemanagement und eine Verständigung über professionelle Grundhaltungen brauchen. Auch dieses Konzept wird gemeinsam mit Lernenden und Eltern entwickelt. Man sieht also, dass wir dabei sind die demokratischen Strukturen der Schule zu stärken, indem wir bei Entwicklungsprozessen Eltern und Schülerinnen und Schüler verstärkt einbeziehen, möglichst versuchen, allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft Teilhabe und Teilgabe zu ermöglichen. Die neu gewählte SV ist gut aufgestellt und bereit, ihre Rolle verstärkt wahrzunehmen. Nicht zuletzt entstehen gerade, federführend von Schülerinnen und Schülern, der Think-Tank und der Do-Tank, die Ideenschmieden und Zukunftshub, Reallabor und Experimentierwerkstatt für die Partizipation der Schülerinnen und Schüler werden sollen. Hier entsteht die Schülerzeitung, hier docken Medien- und Social Media-AGs an, hier entstehen neue und offene Lernräume für Selbstwirksamkeitserfahrungen, die sich an den 17 Sustainable Development Goals (SDG) der UNESCO orientieren, also an den nachhaltigen Entwicklungszielen. Gute Bildung ist das SDG Nr. 4, aber nur der Ausgangspunkt für die Verwirklichung einer besseren und nachhaltigeren Welt. Diese Ziele sind durch die KMK auch mehrfach als Bildungsziele für deutsche Schulen festgelegt worden und relevanter Teil unseres Bildungsauftrages. Seit 2017 ist Bildung für nachhaltige Entwicklung besondere Bildungs- und Erziehungsaufgabe laut Hessischem Schulgesetz. Sie sehen also und erleben es ja auch jeden Tag, auch in unserer Schule findet allenthalben Transformation statt und wir kommen unseren prominentesten Pflichten nach, wie sie das Hessische Schulgesetz vorsieht. Wir vermitteln Wissen und Kompetenzen, erziehen aber auch Kinder und Jugendliche zu mündigen Demokraten, um ihnen die Mittel an die Hand zu geben zu resilienten und agilen Menschen zu werden, die sich der Problemlage bewusst sind und kreative Lösungen entwickeln die Probleme zu lösen. Dafür lohnt es sich in schweren Zeiten zu kämpfen, niemand hat wohl etwas gegen eine bessere Zukunft und wir arbeiten daran, jeden Tag.
Ihr
Erik Grundmann
Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:
Leseempfehlung Heute mal ein Roman: Marc-Uwe Kling: Views, München 2024. Der bekannte Autor der Känguru-Chroniken, entwickelt sich seit Qualityland zu einem der bedeutenden Dystopiker Deutschlands. Bei Views geht es um die Gefahren von KI für die gesellschaftliche Ordnung. Kurzweilig.
Ich habe das Gefühl, dass ich mal wieder etwas weiter ausholen muss und mir etwas von der Seele schreiben muss. Schreiben sortiert, strukturiert und präzisiert Gedanken. Vielleicht sind diese Gedanken auch für die Eine oder den Anderen interessant, deswegen schreibe ich nicht nur, sondern blogge auch noch. Wichtig ist mir dabei, trotz aller Kritik und aller düsteren Prognosen, einen positiven Blick zu bewahren. Nur so kann ich meinen Job sinnstiftend machen und den Kindern und Jugendlichen Hoffnung und Lust auf ihre Zukunft machen. In den letzten Wochen ist wieder einmal sehr deutlich geworden, dass wir uns global in einem rasanten und unvorhersehbaren Veränderungsprozess befinden (Stichwort: VUCA/BANI-Welt). Die Situation ist einerseits bedrohlich, unsere Demokratie und unser Wirtschaftsmodell, ja unsere ganze Lebensweise ist bedroht. Der SPIEGEL hat vom „Ende des Westens“ geschrieben. Das ist durchaus furchteinflößend und führt verständlicherweise zu Verunsicherung. So wie es aussieht, stehen uns größere Disruptionen bevor, nehmen wir als Beispiel nur die Autoindustrie, bei der das besonders deutlich wird. Deren Geschäftsmodell wird aus dem Ausland, besonders China, bedroht, drohender Protektionismus (USA) schließt Absatzmärkte und außerdem wurde zu spät und zu halbherzig auf notwendige technologische Anpassungen verzichtet (E-Autos und Klimawandel). Ähnliches droht unserem Bildungssystem, auch hier verharren wir zu lange in einem veralteten und überkommenen Modell, auch hier überholt uns das Ausland, obwohl wir einst einer der „Weltmarktführer“ waren, auch hier sind Reformschritte und Anpassungen an die veränderte Welt unabdingbar. Im Guardian habe ich neulich einen sehr interessanten Kommentar gelesen (https://www.theguardian.com/business/article/2024/sep/01/germany-economy-problem-analogue-industries), in dem Larry Elliott beschreibt, wie Deutschland versuche sein analoges Modell in einer digitalen Welt beizubehalten. Diese krassen und rasanten Veränderungen, die man mit Recht als Disruptionen bezeichnen kann, betreffen uns alle, unser aller Leben wird sich verändern und da haben wir noch gar nicht über KI, Kriege, Populismus, Spaltung der Gesellschaft usw. gesprochen. Gleichzeitig stecken in solchen Disruptionen auch Chancen. Die Menschheit hat sich solchen Phasen rasanten Wandels in der Geschichte eigentlich immer als anpassungsfähig und innovativ gezeigt. Es gibt ja, wenn man sie sehen will, auch positive Entwicklungen, die auf eine bessere Zukunft hindeuten, es gibt medizinischen Fortschritt, KI kann unsere Arbeitswelt positiv verändern, zumal in Kombination mit immer fortschrittlicherer Robotik, der unregulierte und gesellschaftsgefährdende Aufstieg der sozialen Medien scheint seinen Zenit überschritten zu haben und auch im Bildungssystem machen sich immer mehr Menschen und Schulen auf den Weg zukunftsfähigere und menschlicher Schulen zu entwickeln. Der Veränderungsdruck nimmt also zu und führt dazu, dass Veränderungen beschleunigt werden, so ist das bei allen Veränderungsprozessen. Es geht durch ein „Tal der Tränen“ und dann wird es nachhaltig besser. Ich fürchte, da müssen wir alle früher oder später durch. Ich gehöre zu den Menschen, die es dann lieber früher hinter sich haben und im Prozess gestaltend eingreifen. Was da in der Welt im Großen vor sich geht, spiegelt sich auch in unserem Schulkosmos im Kleinen. Wir haben es in der Hand, die Zukunft mitzugestalten, denn: Bildung ist der Schlüssel um mit den Problemen der VUCA/BANI-Welt klarzukommen. Wir müssen unsere Kinder zu resilienten und agilen Menschen ausbilden, die sich der Problemlage bewusst sind und kreative Lösungen entwickeln die Probleme zu lösen. Das erscheint jetzt auf den ersten Blick sehr als oberflächlich und allgemein, leitet aber unsere Schule und mich bei der Schulentwicklung vor Ort, wo es dann durchaus konkret wird. Wer sich dafür näher interessiert, dem sei der Blog WfS 2030 ans Herz gelegt: https://www.schulmun.de/2024/04/23/blog-wfs-2030/.
Heute hatten wir unsere (vorerst?) letzte Sitzung mit Enenpro, unseren externen Schulentwicklungsbegleitern, mit denen wir einen wertschätzenden, konstruktiven und lohnenswerten Prozess erlebt haben. Als Resultat haben wir jetzt fast eine DNA-Gruppe. „Fast“, weil noch einige Personen gefragt werden müssen, ob sie überhaupt mitmachen wollen. Sinn der DNA-Gruppe ist es dort Vertreter aller relevanten Gruppen aus der Schulgemeinschaft zu versammeln, also innovative und bewahrende Lehrkräfte, Eltern, Lernende, Personalrat, Schulleitung usw. Durch diese heterogene Zusammensetzung soll ein Querschnitt, ein Spiegelbild der Schulgemeinschaft, immerhin ca. 130 Lehrkräfte und 1.700 Schülerinnen und Schüler und deren Eltern, abgebildet werden. Die Aufgabe dieses Gremiums ist es Entwicklungsprozesse, die von allen Menschen aus der Schulgemeinschaft angestoßen werden können, vorzuentlasten, indem sie dort diskutiert werden. So soll schon bevor über Ideen entschieden wird, erkannt werden, ob Vorhaben einfach umzusetzen sind oder, ob mit Widerstand zu rechnen ist. Eine DNA-Gruppe trifft keine Entscheidungen, leistet aber wertvolle Vorarbeit und Vorentlastung. Mit diesem ersten Zyklus im Schulentwicklungsprozess haben wir also ein entlastendes und beratendes Gremium geschaffen und zahlreiche Methoden und Werkzeuge für die Arbeit an die Hand bekommen, die jetzt auch in der DNA-Gruppe zum Einsatz kommen. Das ist sehr hilfreich. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass wir immer noch am Anfang stehen, tiefgreifende Veränderungen sind damit noch nicht geschaffen und der in den vorherigen Blogbeiträgen avisierte Haltungsveränderungsprozess ist auch erst angestoßen. Aber das ist auch völlig in Ordnung so, wir haben viel erreicht, aber noch mehr liegt vor uns. Es gibt auch immer noch tieferliegende Konflikte im Kollegium, deren Aufarbeitung erst begonnen hat, aber auch das ist normal. Sascha von Enenpro hat heute zurecht betont, dass wir schon ganz viel erreicht haben, indem wir in der Initialgruppe gelernt haben hierarchiefrei zu diskutieren und zu arbeiten und da hat er wohl recht. Das müssen wir jetzt auf die DNA-Gruppe übertragen, ich werde berichten, wenn diese ihre Arbeit aufgenommen hat.
Haltungen, vor allem Haltungen in Systemen wie Schulen, zu verändern ist ein komplexer, langwieriger und anstrengender Prozess. Silke Müller, Schulleiterin der Waldschule in Hatten, hat einmal in einem LinkedIn-Beitrag geschrieben, dass es an ihrer Schule einen einjährigen, professionell von Metaplan begleiteten, Entwicklungsprozess gegeben hat, bei dem das Kollegium „runter auf den Erd- bzw Schulkern gehen“ musste, „deren Antwort auch schmerzhafte Selbsterkenntnis sein mussten- all das war im Prozess aufreibend, emotional, schwierig.“, schreibt sie und das steht uns wohl in dieser Intensität noch bevor. Wir sind aber wild entschlossen, diesen Weg zu gehen. Zum Thema Haltung hatte ich auch im letzten Newsletter geschrieben.
Wie in den letzten Blogbeiträgen beschrieben, gehen wir den Schulentwicklungs- und Haltungsveränderungsprozess auf mehreren Ebenen an. Daher will ich hier auch ein kurzes Update zur Selbstständigen Schule (SES) und dem Präventionskonzept geben. Alle Gremien (SV, SEB und Schulkonferenz) haben dem Antrag auf SES einstimmig zugestimmt, der Antrag wurde über das Staatliche Schulamt an das Hessische Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen weitergeleitet. Von dort gab es ein paar Rückfragen und bitten um Präzisierungen, die hoffentlich heute abschließend beantwortet werden konnten. Jetzt heißt es warten auf die Entscheidung. Stay tuned. Unser dort anzugebender Entwicklungsschwerpunkt dreht sich ja um eine Reform des Hauptschulzweiges, darüber werde ich in einem der nächsten Beiträge berichten.
Das Präventionskonzept, das ich für einen wichtigen Schritt zur Haltungsänderung halte, liegt in einem ersten Entwurf vor und muss noch etwas ausgeschärft werden. Ziel ist es im Moment dieses auf der Gesamtkonferenz im Dezember vorzustellen und möglicherweise schon abzustimmen.
Was ist sonst noch passiert? Vieles natürlich, jeden Tag passiert etwas. Herauszuheben ist noch das Projekt „Think- und Do-Tank“, welches unsere fantastische Seiteneinsteigerin Kirsten Riedl angestoßen hat. Hier geht es um mehr Verantwortung für und Partizipation von Lernenden, einen kreativen Think-Tank und einen Makerspace; alles orientiert an den SDGs. Aber auch dazu mehr in einem der nächsten Beiträge.
Auch wenn die Belastungen im Moment wieder sehr groß sind, wenn ich kontemplativ an meinem Schreibtisch an einem solchen Blogbeitrag schreibe, merke ich doch, dass wir auf einem guten Weg sind und mein Job großartig ist. Trotz aller Widrigkeiten, bin ich von zahlreichen Menschen umgeben, die für ihren Job als Lehrkraft brennen und ein kreatives Potenzial zur Weiterentwicklung entfalten, was mir immer wieder den allergrößten Respekt abverlangt.
nicht zuletzt durch das Buch „Generation Angst“ (etwas schwache, bzw. reißerische Übersetzung; im Original „The Anxious Generaion“) von Jonathan Haidt hat die Diskussion um Smartphones und sozialen Medien in Schulen Fahrt aufgenommen (seine Position hat er vor Erscheinen des Buchs bereits in einem Blogbeitrag vorgelegt: https://www.afterbabel.com/p/phone-free-schools). In den Niederlanden, Frankreich, Italien oder Finnland und in einigen anderen Ländern, sind Smartphones in den Schulen mittlerweile weitgehend verboten. In Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung, vielmehr entscheidet das jede Schulgemeinschaft für sich. An unserer Schule ist aus der Arbeitsgruppe zum Medienkonzept eine Arbeitsgruppe zur Smartphone- und Tabletnutzung hervorgegangen, die im Austausch innerhalb der Schulgemeinschaft die bei uns geltenden Regeln überarbeiten will. Dies ist notwendig, weil an vielen Stellen immer wieder Unmut über die bestehenden Regularien geäußert wird und weil diese Diskussion ein Teil der notwendigen Kultur der Digitalität an unserer Schule ist. Denkbar sind dabei viele Lösungen, von einem Totalverbot bis zur totalen Freigabe, wir können die Nutzung vom Alter abhängig machen oder ein Graduierungssystem erarbeiten, bei dem man sich die Nutzung durch Kurse und/oder entsprechendes Verhalten erarbeiten kann. Im Wesentlichen gibt es mittlerweile zwei Denkschulen, die eine fordert ein Verbot von Smartphones an Schulen und argumentiert mit der mittlerweile auch in Studien nachgewiesenen verminderten Konzentrationsfähigkeit, smartphonebasiertem Mobbing und dessen Folgen und dem erhöhten generellen Konfliktpotenzial. Die andere Denkschule verweist auf die grundsätzliche Problematik von Verboten, darauf, dass das Smartphone und social media integraler Bestandteil von Jugendlichen ist und fordert eine aufklärende Begleitung statt eines Verbotes. Laut aktuellen Studien lenkt ein Handy ab und verringert die Konzentration, auch wenn es nur auf dem Tisch liegt oder in der Tasche steckt (https://www.uni-paderborn.de/nachricht/123972). Eine Studie der Universität Augsburg hält ein pädagogisch begleitetes Smartphoneverbot an Schulen für sinnvoll: https://www.uni-augsburg.de/de/campusleben/neuigkeiten/2024/09/04/smartphone-verbot-an-schulen-sinnvoll-wenn-padagogisch-begleitet/. Silke Müller, Spiegel-Bestseller-Autorin, Schulleiterin und erste Digitalbotschafterin Niedersachsens, hat an ihrer Schule ein Smartphoneverbot durchgesetzt (allerdings gibt es dort ab der 7. Klasse Tablets für alle). Ich denke, es ist unbestritten, dass Schule im Rahmen von Medienbildung über Smartphones, soziale Medien und Algorithmen aufklären muss. Schule ist der Ort an dem über Fluch und Segen der Kultur der Digitalität diskutiert und gearbeitet werden muss. Wir müssen uneingeschränkt anerkennen, dass Smartphones, soziale Medien und die damit verbundenen Anwendungen Teil der Alltagskultur, nicht nur der Kinder und Jugendlichen, geworden sind. Uns muss auch klar sein, dass unsere Kinder damit fast zwangsläufig mit Gewalt, Mobbing, Pornographie, Extremismus usw. konfrontiert werden und wir sie nur begrenzt schützen können. Dabei spielen die Nutzungsmodalitäten in der Schule keine Rolle, da der größere Teil des Medienkonsums zuhause und in der Peergroup stattfindet. Umso wichtiger ist es, dass in der Schule darüber aufgeklärt wird, was aber nur funktioniert, wenn auch die Eltern im Boot sind und Bescheid wissen. All das meint die erwähnte Studie der Uni Augsburg mit pädagogischer Begleitung. Lassen Sie uns also gemeinsam, mit der gesamten Schulgemeinschaft, einen Diskussionsprozess starten, wie wir den Herausforderungen durch Smartphones und soziale Medien als Schule begegnen wollen. Wer Interesse hat, an diesem Prozess teilzunehmen, darf sich gerne an mich wenden.
Leseempfehlung Konsequenterweise zwei Empfehlungen, die das Spektrum des Schwerpunktthemas dieses Newsletters abdecken. Für ein Smartphoneverbot an Schulen: Haidt, Jonathan: Generation Angst; Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen, Hamburg 2024. Eine andere Position (nicht ganz auf Schule bezogen): Lutz, Leonie; Osthoff, Anika: Begleiten statt verbieten; Als Familie kompetent und sicher in die digitale Welt, München 2022.
Sehempfehlung Schöner Ausschnitt aus einer Dokumentation über den „Lehrberuf im Jahre 1959“, interessanterweise ist das hier in der Gegend aufgenommen: https://www.youtube.com/watch?v=1pGC-thN1Oc.
DALL-E: Ein Lehrer zeigt einem Schüler die Zukunft, das Wissen und die Welt.
Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, (möglichst) alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert. Dies ist die achte Runde.
Wir haben Klimawandel, Lehrkräftemangel, Populismus, Extremismus, Antisemitismus, Islamismus, Spaltung der Gesellschaft, demografischem Wandel, Rentenlücke, Pay-Gap, Extremwetter, VW-Krise, Krieg in der Ukraine, Krise in Nahost, Politikverdrossenheit, Alkoholismus, Femizide und zahllose weitere Probleme. Das ist eine schreckliche Bilanz und die Zukunft könnte bitter werden. Meiner Meinung nach gibt es nur ein wirkliches Gegenmittel, um all diesen Herausforderungen zu begegnen: Bildung! Wie hat schon John F. Kennedy gesagt: „Es gibt nur eins was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.„
Zugegeben: Aktuell ist der Ruf der Lehrkraft etwas ramponiert. Das Klischee sagt, Lehrkräfte sind faul, unflexibel, mürrisch, kinder- und innovationsfeindlich, sie haben nachmittags frei und das ganze Jahr Ferien, sie wissen alles besser und fühlen sich ständig angegriffen. Wie bei jedem Klischee ist auch sicher an diesem etwas dran, aber die deutliche Mehrheit der Lehrkräfte gibt alles und noch mehr, um eine immer herausfordernder werdende Schülerschaft für eine immer unsicherere Zukunft zu bilden. Zugegeben: Im Moment fehlen an allen Ecken und Enden ausgebildete Lehrkräfte, gleichzeitig werden immer mehr bürokratische und rechtliche Hürden für den schulischen Alltag aufgebaut, die Korrekturen werden mehr und anstrengender und die physische und psychische Belastung steigt. Zugegeben: Es gibt an Schulen einen Investitionsstau von 55 Mrd. Euro, viele Gebäude sind marode, die Digitalisierung stockt, KI kommt nur langsam an, es gibt kaum ordentliche Arbeitsplätze an Schule, geschweige denn vernünftige Rückzugsorte. Zugegeben: Das sind alles keine guten Gründe Lehrer:in zu werden! Oder doch?
Gerade weil die Situation im Schulsystem aktuell herausfordernd und global erschreckend ist, ist es erst recht sinnvoll Lehrerin oder Lehrer zu werden!
Innerhalb des Systems Schule muss sich in der nächsten Zeit vieles verändern (warum habe ich hier schon einmal beschrieben) und dazu braucht es frische und innovative Kräfte, die Lust am Verändern und Gestalten haben. Für mich ist das eine attraktive Perspektive. Das „klassische“ Verständnis von Bildung, Lernen und Schule gerät durch die wachsende Heterogenität und Singularisierung in der Gesellschaft, durch das exponentielle Wachstum des Wissens und nicht zuletzt durch Künstliche Intelligenz und Digitalität zunehmend unter Druck. Darauf muss das Schulsystem reagieren und individualisierte selbstgesteuerte Lernsettings in attraktiven Lernumgebungen schaffen. Diese müssen offen für projektorientiertes, selbstwirksames und fachdomänenverbindendes Lernen sein. Lehrkräfte müssen zu Lernbegleitenden werden, die das individuelle Potential der Lernenden entfalten und deren Kompetenzzuwachs im Sinne eines Growth Mindsets begleiten. Das sind grundstürzende Veränderungen, nach denen Schule nicht mehr mit den aktuellen Bildungsanstalten vergleichbar ist. Ich glaube sogar, dass dieser Prozess noch weiter gehen muss und Schule Teil einer kommunalen Bildungslandschaft für lebenslanges lernen werden muss (mehr dazu hier und hier)
Und auch außerhalb des Systems Schule muss sich vieles verändern, wenn wir eine lebenswerte und enkelfähige Zukunft für unseren Planeten wollen. Auch dafür ist Bildung der Schlüssel. Wir müssen wegkommen vom Primat der Wissensvermittlung, hin zu einem Primat der Menschenbildung. Dazu gehört die Vermittlung von Demokratie, die wir zu verlernen drohen (mehr dazu hier), dazu gehört soziales Lernen, die Vermittlung von Empathiefähigkeit und der Respekt vor der Würde aller Menschen, was übrigens alle Schulgesetze unisono fordern. Dazu gehört das Erlernen von Resilienz, eine umfassende Medienbildung im Sinne von digital literacy (mehr dazu hier). Schule muss endlich wieder mehr Verantwortung für die Schulung (!) und Bildung (!) einer zukunftsfähigen Gesellschaft übernehmen (mehr dazu hier). Neben den oben beschriebenen Gestaltungsmöglichkeiten des Systems von innen, gibt es also auch eine besondere Relevanz des Jobs als Lehrkraft für die Gesellschaft. Beides spannende und interessante Aspekte, die den Beruf attraktiv machen und erfordern, dass er von den Besten ausgeübt wird. Es gibt meiner Meinung nach wenige relevantere Berufe für unsere Zukunft als den der Lehrkraft. Wer Selbstwirksamkeit und unmittelbares Feedback in einem hochrelevanten Beruf erfahren will, wer aktiv Zukunft gestalten und für unsere Kinder einen Unterschied machen will, sollte Lehrerin oder Lehrer werden!
Nachwort: Vielleicht ist dem Einen oder der Anderen aufgefallen, dass dieser Text mit einigen selbstreferentiellen Links versehen ist. Dies hat sich während des Schreibens ergeben und hat mich angeregt zu hinterfragen, warum das so ist. Ich glaube, ich blogge unter anderem deswegen, weil ich so mein berufliches Handeln immer wieder reflektiere und die Verlinkungen zeigen, dass hier Konsistenz und Kohärenz entstehen. Als gelernter Geisteswissenschaftler denke ich multikausal und in Interdependenzen und in meinen Blogbeiträgen entsteht so mein Bild vom Bildungssystem, seiner Reform und seiner Zukunft. Es wäre vermessen, dieses als vollständig oder wahr zu betrachten, aber es scheint doch bisher in sich stimmig und es es steckt meinen Weg zu einem zukunftsfähigen Bildungsbegriff ab, nach dem ich strebe und für den ich kämpfe: für mich, meine Kinder und unsere Zukunft. Deshalb lohnt es sich für mich Lehrer zu sein und ich würde es wieder tun.
In vielen Schulen ist die Aufsicht nicht sehr beliebt. Sie wird oft als zusätzliches Übel zu den dienstlichen Aufgaben einer Lehrkraft empfunden.
Bei unserer gestrigen Dienstbesprechung sagte unser Konrektor Dominik König-Kurowski wichtige Worte, die einen völlig anderen Blick auf die Aufsicht werfen und die mich wirklich bewegt haben:
„Betrachten Sie Aufsichten als ein Geschenk. Aufsichten schaffen Begegnungen, sie ermöglichen den Austausch und das Gespräch außerhalb der Lernsituationen. Aufsichten sind wie ein Klebstoff für unsere pädagogische Arbeit“.
Und er hat Recht! Eine Lernpartnerschaft, wie sie zwischen einer Lehrkraft und einem Schüler/einer Schülerin besteht, kann nur über eine gute Beziehungsebene erfolgreich gelingen!
Beziehung und Vertrauen entstehen durch Begegnungen, Gespräche und möglichst viel gemeinsam verbrachte Zeit. Diese Zeiten außerhalb der klassischen Lernsituationen gilt es zu nutzen und zu entwickeln.
Aufsichtspersonen kennt man sonst nur aus dem Gefängnis oder dem Zoo. Vielleicht ist es an der Zeit, einen anderen Begriff für diese Situationen zu finden?!“
Dominik König-Kurowski und Mischa Pallesche haben recht! Ich mache ähnliche Erfahrungen. Ich habe mir ja angewöhnt, wenn es meine Zeit zulässt in den Pausen mal über den Hof und durch das Gebäude zu schlendern, um zu sehen, was die Schülerinnen und Schüler so treiben und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das hinterlässt bei mir immer das Gefühl näher an ihnen dran zu sein und ich habe das Gefühl, dass sie meine Präsenz durchaus goutieren. Natürlich kann ich so nicht mit 1.700 Kindern und Jugendlichen ins Gespräch kommen, aber ich schaffe ein Angebot und lerne großartige Individuen kennen, die sonst nur als Masse wahrgenommen werden. Mir ist auch klar, dass Pausenaufsichten nicht zu den beliebtesten Pflichten der Lehrkräfte gehören, weil man eigentlich immer nur zu spät kommen kann und sie einem die Möglichkeit rauben zwischen Doppelstunden in Ruhe etwas zu trinken, essen oder einfach mal durchzuatmen. Dennoch finde ich den Ansatz diese Tätigkeit positiv zu besetzen und als Chance wahrzunehmen eine hervorragende Idee. Ein solches positives Mindset spiegelt sofort eine andere, eine positivere, Haltung, die uns den anstrengenden Schulalltag verschönern kann. In der Diskussion, die der Beitrag auf LinkedIn ausgelöst hat, meldet sich gleich ein Anwalt zu Wort und verweist auf die Garantenstellung (https://www.selbst-und-bewusst.com/garantenstellung-schule), die mit der Aufsichtspflicht verbunden ist und selbstredend darf über eine Schulhofplauderei nicht vergessen werden, dass eine Aufsicht aktiv, kontinuierlich und präventiv durchgeführt werden muss, aber das halten Micha Pallesche und ich, trotz Plauderei, für möglich. Sonst wird in der Diskussion viel positives Feedback gegeben und es werden Vorschläge für eine Umbenennung der Pausenaufsicht gemacht, zum Beispiel Pausenbegleitung. Das kann man natürlich als billiges Reframing verstehen, vielleicht aber auch als Chance für eine positive Haltungsveränderung.
Leseempfehlung Teresa Zierer, Judith Hölle, Björn Adam: UnLearn School – Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft, Lüneburg 2023. Das Buch enthält quasi die Essenz des Programms „UnLearn School“ der gGmbH beWirken zur Transformation von Schule. Dazu gehören fünf wunderbare Episodenfilme (s.u.) mit Beispielen aus der Praxis.
Hörempfehlung Der Podcast „Lunchbox – auf eine Runde mit einem Hund und Nina Mülhens“ beschäftigt sich häufig, aber nicht nur, mit Bildungsthemen und ist Teil von https://digitalschoolstory.de/. Die mittlerweile über 50teilige Podcastreihe gibt es hier: https://lunchbox.podigee.io/.
Die auch ohne Buch sehenswerten Episodenfilme von Unlearn School gibt es hier (diese wurden bereits zu Beginn des letzten Schuljahres schon einmal im Newsletter empfohlen; macht aber nix): https://bewirken.org/unlearn-school/.