Newsletter 24/25-05, 01.11.2024

Liebe Schulgemeinschaft,

viele Diskussionen um Veränderungsprozesse in der Schule landen früher oder später beim Thema Haltung.
Die persönliche Haltung spielt natürlich nicht nur in der Schule bei Eltern, Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern eine wichtige Rolle, sondern eigentlich in jeder Alltagssituation. Wie wir uns begegnen, hat immer auch mit unseren Haltungen und Einstellungen zu tun. Mir geht es bei diesen Zeilen aber um eine spezifische Form der Haltung, die besonders die Lehrkräfte betrifft, nämlich die professionelle pädagogische Haltung.
Idealerweise haben Lehrkräfte in Studium und Referendariat gelernt, dass sie eine professionelle Grundhaltung für eine erfolgreiche Berufspraxis brauchen und, dass diese Haltung einer permanenten Selbstreflexion bedarf, sie muss frei von Adultismus und Machtmissbrauch sein und kann erlernt und trainiert werden.
Haltungen bestehen aus Einstellungen, Überzeugungen und Werten. Diese können sowohl beständig als auch veränderbar sein und haben verschiedene Dimensionen. Pädagogische Haltungen sind dann professionell, wenn sie reflektiert werden, wenn sie einem inneren professionalisierten pädagogischen Kompass folgen, wenn man Verantwortung für sie übernimmt
und sie lebt. Für unseren schulischen Alltag heißt das, dass wir immer unser Kernziel im Fokus haben müssen. In unserer Landesverfassung (Art. 56 (4)) heißt es zur Erziehung in der Schule etwas altbacken, aber im Kern brandaktuell:

Ziel der Erziehung ist, den jungen Menschen zur sittlichen Persönlichkeit zu bilden, seine berufliche Tüchtigkeit und die politische Verantwortung vorzubereiten zum selbstständigen und verantwortlichen Dienst am Volk und der Menschheit durch Ehrfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit.

Um dieses Kernziel zu erreichen, muss es von den Lehrkräften (vor-)gelebt werden. Es ist also wichtig, dass wir bestimmte Haltungen und Einstellungen vermitteln, die sich an einem würdevollen Umgang miteinander, an Verantwortung füreinander und Respekt voreinander orientieren. Wir erziehen Kinder und Jugendliche zu mündigen, demokratischen und menschlichen Bürgerinnen und Bürgern.
Wenn wir ehrlich sind, gelingt uns das leider immer noch nur sehr eingeschränkt. Schule ist systemisch von Hierarchien und Machtasymmetrien geprägt. Das liegt an der Vorstellung von Schule, die in der gesamten Gesellschaft vorherrscht, wie wir sie selbst erlebt haben und daran, wie wir Lehrkräfte in der Regel ausgebildet wurden. Sicher haben wir heute nicht mehr die „Paukschulen“ mit Kasernenton aus früheren Zeiten, aber die Entwicklung des Systems Schule hinkt meiner Meinung nach, den Entwicklungen in der Gesellschaft und den Anforderungen an die Zukunft nach. Wenn wir in einer sich schnell verändernden Welt leben (vgl. u.a. Newsletter 02-2023), in der Wissen durch das Internet immer zur Verfügung steht, die mit KI und all ihren
Chancen und Risiken geflutet wird, in der wir unsere Demokratie, unsere Werte und unsere menschlichen Errungenschaften wieder stärker verteidigen müssen, wird Haltung und deren kompetente Vermittlung noch wichtiger.
Ich halte es daher für essenziell, dass wir als Schule unsere pädagogische Haltung als Ziel von permanenter Schulentwicklung mehr in den Fokus nehmen. Verstehen Sie mich nicht falsch, dass heißt nicht, dass wir an der Schule keine pädagogische Haltung hätten, im Gegenteil: Gerade als
Gesamtschule leben wir eine besondere pädagogische Haltung. Dennoch gehört zu strukturellen Schulentwicklungsprozessen, die wir mit der gesamten Schulgemeinschaft anstreben, auch eine reflektierte Veränderung und Weiterentwicklung der pädagogischen Grundhaltung. Dafür bedarf
es unser aller Bereitschaft und auf diese Prozesse einzulassen, unser Handeln zu reflektieren und für Veränderungen offen zu sein. Dazu rufe ich alle Teile unserer Schulgemeinschaft auf!
Ein erster Schritt in diese Richtung wird das „Schutzkonzept gegen Gewalt und sexualisierte Gewalt“ sein, welches wir erarbeiten müssen und welches wir hoffentlich noch in diesem Jahr abstimmen und veröffentlichen werden. Das an alle Teile der Schulgemeinschaft gerichtete Konzept betont die Vorbildfunktion der Lehrkräfte, beinhaltet Selbstverpflichtungserklärungen und etabliert ein Beschwerdeverfahren. Damit schafft es Transparenz im Umgang mit jeglicher Form von Gewalt und stärkt demokratische und transparente Strukturen in der Schulgemeinschaft.
Am Ende müssen wir eine Haltung an unserer Schule schaffen, die allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft einen möglichst respekt- und würdevollen Umgang miteinander in transparenten und demokratischen Strukturen ermöglicht. In einem solchen Umfeld können wir dann gemeinsam eine Schule entwickeln, die den Bedürfnissen unserer Kinder und Jugendlichen im 21. Jahrhundert gerecht wird. Wir sind auf einem guten Weg und haben schon viel in Bewegung gebracht, jetzt heißt es dranbleiben und etwas Kraft und Mühen investieren, damit wir für die Zukunft gewappnet sind.
Haltung ist also ein sehr zentraler Begriff in allen Bereichen, in denen Menschen miteinander umgehen, das fängt in der Familie an und endet beim Umgang von Staaten miteinander. Wir müssen uns auf den Bereich konzentrieren, auf den wir Einfluss haben und das ist unsere Schulgemeinschaft. Aus der Forschung ist bekannt, dass es sehr schwer ist Haltungen zu verändern, bei Einzelnen, aber erst recht bei Systemen. Es ist auch klar, dass solche Transformationsprozesse Zeit und Raum brauchen. In jedem Fall sind sie lohnenswert und ich glaube, wir können das schaffen.

Wer sich näher mit dem Thema Haltung im pädagogischen Kontext beschäftigen will, dem sei das Buch von Katrin Halfmann in der Leseempfehlung ans Herz gelegt.

Gestern hat Joscha Falck in seinem empfehlenswerten Blog, genau dieses Buch auch empfohlen und ein Interview mit der Autorin veröffentlicht: https://joschafalck.de/interview-haltung/.

Ihr

Erik Grundmann

Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:

Interessantes
Bei https://www.futuretimeline.net/ kann man einen Blick in die (mögliche) Zukunft wagen, sehr spannend, teilweise sichere Ereignisse, teilweise sehr spekulativ.
Bleiben wir in der Zukunft. Das Handelsblatt hat eine fast 100-seitige Sonderausgabe zu den Zukunftsfragen in Deutschland in den nächsten Jahren herausgebracht (inklusive eines Beitrags zu Bildung): https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/zum-download-der-zukunftsplan/30027984.html.
Beim Deutschen Schulportal gibt es eine Zusammenfassung und einen Link zur aktuellen Shell-Jugendstudie: https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/ergebnisse-der-shell-jugendstudie-2024-auf-einen-blick/.
Eine Zusammenfassung des Forschungsstands zu Motivation gibt es bei t3n:
https://t3n.de/news/extrinsisch-extrinsisch-motivation-3-grundbeduerfnisse-1404193/.
News4Teachers zum Unsinn des Sitzenbleibens: https://www.news4teachers.de/2024/10/15-jahre-hattie-studie-warum-sitzenbleiben-mehr-schadet-als-nuetzt-aber-bis-heute-in-deutschland-vielen-als-unverzichtbar-gilt/.
Edutopia empfielt ein „Subtraction Mindset“: https://www.edutopia.org/article/why-schools-should-stop-adding-and-adopt-a-subtraction-mindset.
Die in den letzten Wochen diskutierte Handlungsempfehlung der KMK zu KI in der Schule gibt es hier: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2024/2024_10_10-Handlungsempfehlung-KI.pdf.
Lesenswerter Beitrag für didaktisch Interessierte von Hauke Pöhlert „Vom TPACK- zum DPACK-Modell – Unterrichtsentwicklung unter den Bedingungen der Digitalität“:
https://unterrichten.digital/2024/10/07/dpack-modell-tpack-unterricht/.
Service-Learning ist ein toller Ansatz. Einen ersten Einblick gibt es beim Deutschen Schulportal: https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/service-learning-vom-einsatz-fuer-andere-lernen/.
Interview mit Aladin El Mafaalani von excitingedu zu Schulen im Krisenmodus. Spoiler: „Es sieht überhaupt nicht gut aus“. https://excitingedu.de/wp-content/uploads/2024/09/Schulen-im-Krisenmodus-mehr-als-eine-Momentaufnahme_Aladin-El-Mafaalani.pdf.
Artikel im Deutschen Schulportal zu Demokratiebildung mit kritischer Auseinandersetzung mit den Empfehlungen der SWK: https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/abschauen-erlaubt-ein-blick-in-die-praxis-der-demokratiebildung.

Smartphone und Social Media
Eine Metastudie von Böttger und Zierer zeigt, dass der Effekt eines Smartphoneverbots an Schulen einen eher geringen Effekt in Bezug auf eine Leistungsverbesserung hat, aber zum sozialen Klima positiv beiträgt: https://www.mdpi.com/2227-7102/14/8/906.
Heise.de zu den Vorwürfen gegenüber TikTok im Rahmen von Klagefahren durch amerikanische Bundesstaaten: https://www.heise.de/news/US-Klage-TikTok-Management-hat-bewusst-Gefahren-der-App-ignoriert-9979301.html.
Ziel der Plattform Innocence in Danger ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt Missbrauch – insbesondere im digitalen Raum. Hier gibt es zahlreiche Informationen und Materialien: https://innocenceindanger.de/.
Ein schönes Padlet mit Links und Materialien zu Cybermobbing und Internetnutzung für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler hat Jens Teuber erstellt: https://padlet.com/jnstbr/cyber-co-zrmt1pd2chhz2srh.

KI
Bei der BpB gibt es ein aktuelles Themenblatt zu KI:
https://www.bpb.de/shop/materialien/themenblaetter/552426/quelle-kuenstliche-intelligenz/.
Manuel Flick hat seinen empfehlenswerte ChatGPT-Guide für Lehrkräfte aktualisiert: https://www.manuelflick.de/chatgpt-guide.
Der Bildungsserver Rheinland-Pfalz hat sich mit den rechtlichen Grundlagen von KI in der Schule auseinandergesetzt:
https://bildung.rlp.de/schulemedienrecht/themen/unterricht/kuenstliche-intelligenz-und-die-rechtlichen-herausforderungen-in-der-schule.
In der kritischen Diskussion um KI wird häufig auf den renommierten Autor Yuval Noah Harari und sein Buch „Nexus“ Bezug genommen, hier gibt es eine Rezension dazu: https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2024/10/yuval-noah-harari-nexus-book/679572/.
Hendrik Haverkamp im Deutschen Schulportal zur Veränderung von Prüfungsaufgaben durch KI: https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/ki-und-schule-wie-sich-pruefungsaufgaben-jetzt-veraendern-muessen/.
Mit https://notebooklm.google.com/ kann man aus Dokumenten Podcasts erstellen. Wurde in der „KI-Szene“ ziemlich gehypt.
Studie der Uni Hohenheim zeigt: KI führt zu neuen Anforderungen an die Menschen. Handlungsempfehlungen für Bildungseinrichtungen: https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung?tx_ttnews%5Btt_news%5D=63492&c.

Leseempfehlung
Katrin Halfmann: Haltung. Ein Praxisbuch für mehr Professionalität im pädagogischen Alltag, Hamburg 2023.

Tipps für den Unterricht
Auf https://www.zdf.de/wissen/zdf-goes-schule gibt es zahlreiche Angebote mit Videos und OER-Materialien zu allen Fächern. Hier bündelt das ZDF sein Angebot für Schulen und baut dieses kontinuierlich aus.
„toonpool“ ist die weltgrößte Community für Cartoons und Karikaturen mit 382.899 ,Zeichnungen von 3.436 Künstlern aus 120 Ländern (stand 26.10.24):
https://de.toonpool.com/.
Tolle OER-Samlung von Cliparts von Aanisah DLV zum Deutsch lernen:
https://www.taskcards.de/#/board/98abcccf-b1b8-4e19-aebc
9cf2d4daf94b/view?token=dc993936-5633-431d-8f9a-4f8d7b5fe9a2
.

Hörempfehlung
Micha Pallesche von der ERS Karlsruhe bei „Carls Zukunft“: https://www.carls-zukunft.de/podcast-217/.

Sehempfehlung
TEDx-Talk mit Philippe Wampfler zu Schule ohne Noten:
https://www.ted.com/talks/philippe_wampfler_befreit_von_noten_lernen?subtitle=en.
Für Mathe-Fans und solche, die es werden wollen:
https://www.youtube.com/watch?v=qylPzsTJ1k8. True Math mit Christian Spannagel.

Veranstaltungsempfehlung
„Vision@Schule“ am 28. und 29. März an der Albert-Schweitzer-Schule in Wetzlar.

Spaß im Netz
https://pointerpointer.com/.
An https://orbis.stanford.edu/ haben wohl eher Lehrkräfte für Latein oder Geschichte Spaß. Auf dieser Website kann man Reisen im Imperium Romanum kalkulieren, indem man verschiedene Routen, Transportmittel etc. auswählt.

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