WfS 02: Einleitung – Das erste Jahr

Wie im letzten Beitrag schon beschrieben, wusste ich im Juli 2023, als ich in der Weibelfeldschule anfing, nicht genau, was mich erwartet. Daher wollte ich mit meinen Reformambitionen zunächst etwas langsam machen und erst einmal lernen, wie die Schule tickt.
Allerdings war natürlich bekannt, dass ich Ambitionen habe, etwas zu verändern. Klar, ich bin in sozialen Medien unterwegs und die Schule liegt in meinem Wohn- und Geburtsort, man kennt sich also. Und da die Weibelfeldschule eine große Schule und eine Gesamtschule mit einer innovativen pädagogischen Tradition ist, entstand bei einem Teil des Kollegiums ein Drang etwas zu verändern.

Am 26. September 2023 fand dann mein erstes Treffen mit der schon länger bestehenden Schulentwicklungsgruppe (SEG), hervorragend geleitet von der Kollegin Tanja Czwalinna, statt. Spätestens seit diesem Treffen war mir klar, dass das mit meinen Reformideen und der Weibelfeldschule etwas werden kann und davon bin ich mittlerweile nach wie vor überzeugt. Im lockeren Austausch kristallisierte sich heraus, dass eigentlich alle Mitglieder der SEG bereit sind, tiefgreifende Veränderungen anzugehen, zu den diskutierten Punkten gehörte die Sinnhaftigkeit von Noten, der Wunsch nach mehr Projektarbeit und fächerübergreifendem Arbeiten und vieles mehr.

Dann stellt sich natürlich die Frage, wie man so etwas macht. Ich hatte mich ja schon etwas mit Change-Management im schulischen Kontext beschäftigt und es war klar, dass wir sehr transparent agieren und kommunizieren mussten, um dem Rest des Kollegiums wenigstens ein Angebot zu machen, jede und jeden mitzunehmen. Außerdem bedarf es für solche Entwicklungsschritte einer externen Begleitung, die der Verfolgung eigener Interessen unverdächtig ist. Unsere Diskussionen haben nämlich auch gezeigt, was ja überhaupt nicht ungewöhnlich ist, dass innerhalb des Kollegiums und mit der Schulleitung durchaus Ressentiments zwischen einzelnen Interessengruppen bestehen, die aufgearbeitet werden müssen. Zum Glück hatte der Kollege Gregor Arnold Kontakt zu den Schulentwicklungsberatern Miklas Flamm und Sacha Teufel von Enenpro. Bereits im ersten Vorgespräch mit den beiden, meinem Stellvertreter Thorsten Möller und mir wurde klar, dass wir sehr ähnlich ticken. Im Vorgespräch ging es um selbstorganisertes Lernen, die Alemannenschule und weitere typische Buzzwords moderner Schulentwicklungsprozesse.
Als haben wir Miklas und Sascha engagiert, die uns in fünf Sitzungen mit an Schulentwicklung interessierten Kolleginnen und Kollegen Instrumente und Strukturen näher gebracht haben, wie wir in Zukunft Schulentwicklung kommunizieren und betreiben können. Im Kern geht es darum im Kollegium hierarchiefreie Kommunikationsstrukturen zu schaffen und eine “DNA-Gruppe” zu etablieren, die möglichst einen Querschnitt der verschiedenen Interessengruppen im Kollegium abbildet. Diese DNA-Gruppe entscheidet zwar nichts, diskutiert aber Entwicklungsvorhaben vor, um abschätzen zu können, wie deren Potenzial ist, vom Kollegium getragen zu werden.

Ein zweiter wichtiger Punkt, der in der Schulentwicklungsgruppe relativ schnell Gestalt annahm, war der Wunsch nach Umwandlung in eine Selbstständige Schule (SES) (mehr dazu unter: https://www.schulmun.de/2024/06/14/newsletter-17-14-06-2024/). Eine SES ist eine hessische Besonderheit, durch die Schulen mehr pädagogischen Gestaltungsspielraum und eine erweiterte Budgethoheit erlangen können. Außerdem sind damit bestimmte Standards in Projekt- und Qualitätsmanagement verbunden. Dieser Prozess war auch eine Art Test, wie gut es (noch ohne die Strukturen von Enenpro) gelingt, das Kollegium mitzunehmen. Also war es das Ziel den Prozess möglichst transparent zu gestalten, indem immer wieder informiert wurde und indem Gesprächs- und Diskussionsanlässe geschaffen wurden, zum Beispiel in unserem Barcamp, in Open Spaces im Rahmen der Gesamtkonferenz oder mit einer Wandzeitung im Lehrerzimmer. Anscheinend hat das gut funktioniert, die Gesamtkonferenz hat am Tag der Veröffentlichung dieses Blogbeitrages (22.08.2024) mit nur drei Gegenstimmen beschlossen, den Antrag einzureichen. Jetzt müssen nur noch die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und die Schulkonferenz zustimmen, dann wird der Antrag dem Ministerium zur Genehmigung vorgelegt. Der für den Antrag obligatorische Entwicklungsschwerpunkt sieht übrigens vor mit einer Reform des Hautschulzweiges in Jahrgang 7 zu beginnen (unter anderem mit einem flexibleren Anfang, festem Projekttag in der Woche; mehr dazu in kommenden Blogbeiträgen).
Mit der Umwandlung in eine SES hätten wir ein wichtiges Instrumentarium für weitere Reformschritte geschaffen.

Zentral bei Schulentwicklungsprozessen, und vermutlich der anspruchsvollste Aspekt, ist die Entwicklung einer gemeinsamen, konstruktiven und wertschätzenden pädagogischen Haltung. Auch hier haben wir uns auf den Weg gemacht. Wie alle Schulen müssen wir zahlreiche Konzepte schreiben, im letzten Schuljahr standen ein Gewaltpräventionskonzept und die Fortschreibung des Medienkonzeptes an. Natürlich halte ich diese Konzepte inhaltlich für erforderlich, allerdings ist mit einer Verschriftlichung im Grunde noch nichts gewonnen und nebeneinander stehende Konzepte sind meiner Meinung nach nicht funktional und führen zu einer unterkomplexen Herangehensweise (mehr dazu unter: https://www.schulmun.de/2024/05/24/2024-17-organisieren-wir-unsere-schulen-unterkomplex/). Moderiert von der Kollegin Rocio Herrera und dem Kollegen Rüdiger Weidmann hat sich eine Gruppe gefunden, die das Präventionskonzept zum Anlass zu nehmen auch an der Frage der grundsätzlichen pädagogischen Haltung zu arbeiten. Auch hier fand ein extern begleiteter Analyseprozess statt, in dem Eltern, Schüler und Schülerinnen und Teile des Kollegiums zu Gewalterfahrungen befragt wurden. Ziel des Prozesses ist es neben der Etablierung eines “Beschwerdemanagements” einen Diskussionsprozess zum Thema Haltung einzuleiten und die verschiedenen Konzepte zu Suchtprävention, Gewaltprävention oder Medienbildung usw. in einem komplexen pädagogischen Konzept zu vereinen. Auch hier stehen wir am Anfang eines hoffentlich lohnenswerten Prozesses.

Wenn ich also das vergangene Schuljahr Revue passieren lasse (siehe auch: https://www.schulmun.de/2024/06/28/newsletter-18-28-06-2024/) ist eigentlich der Ansatz es ruhig angehen zu lassen und erst einmal zu beobachten grandios gescheitert.
Hier noch einmal eine unvollständige Auswahl der Veränderungsprozesse aus dem letzten Schuljahr in einer Übersicht:
– Externe Schulentwicklungsberatung zur Implementierung eines kontinuierlichen Schulentwicklungsprozesses unter Einbeziehung der gesamten Schulgemeinschaft
– Start der Erstellung eines umfassenden Präventionskonzeptes, auch mit externer Expertise und Arbeit am Medienkonzept
– Vorbereitung der Umwandlung in eine Selbstständige allgemeinbildende Schule zum nächsten Jahr
– Teilnahme am Projekt „Einfach bewegen(d)“ zur Bewegungs- und Gesundheitsförderung der gesamten Schulgemeinschaft
– Barcamp als neues Format für einen Pädagogischen Tag
– Weiterentwicklung der Konferenzkultur durch Open Spaces zur pädagogischen Entwicklung
– Einführung eines neuen Logos
– Wiederaufleben der Stammtische von Eltern und Lehrkräften
– Beginn der Befassung mit KI-Tools durch Schullizenzen für Fobizz und Fiete
– Letztlich hoffe ich auch, dass der regelmäßige Newsletter immer wieder einmal kleine Impulse setzen und Denkanstöße geben kann
– Und natürlich noch vieles mehr, wie der Gewinn von Preisen, Rezertifizierungen, das Radio an der Schule, das Schulfest und all die kleinen und größeren Initiativen, die unsere Schule voranbringen

Dennoch bereue ich nichts. Ich liebe meinen Job und bin froh die Weibelfeldschule leiten zu dürfen. Wir haben noch Großes vor und wir haben die Kolleginnen und Kollegen dafür. Wir haben im vergangenen Schuljahr wahnsinnig viel bewegt und initiiert, ich bin gespannt, was das kommende Schuljahr bringt und werde weiter hier berichten. Es steht noch eine Sitzung mit Enenpro aus, die Gremien müssen in der kommenden Woche noch dem Antrag auf SES zustimmen und die Arbeitsgruppe zum Präventionskonzept wird weiterarbeiten. Im Rahmen des Medienbildungskonzeptes stehen spannende Diskussionsprozesse zur Handy- und Tabletnutzung mit allen Teilen der Schulgemeinschaft an.
Es bleibt also spannend auf unserem Weg zu einem agilen und lernenden System Schule im 21. Jahrhundert!

WfS-01: Prolog – Wie alles begann

An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht kurz zu erläutern, warum ich Schule verändern will und wie es zu dieser Einsicht kam:

2007 habe ich nach einem Gymnasiallehramtsstudium mein Referendariat an einer Gesamtschule mit einem typischen Mindset begonnen. Ich kannte Schule aus meiner eigenen Schulzeit und erwartete, dass Schule auch genau so sein müsste. Das heißt im Wesentlichen Frontalunterricht, gelegentlich vielleicht mal eine Gruppenarbeit, Klassenarbeiten und Tests und das “Eintrichtern” von Wissen; ich stehe vorne und die Schülerinnen und Schüler machen was ich sage. Bis auf Letzteres haben meine anfänglichen Erfahrungen und das Referendariat dieses “fixed” Mindset nicht verändert.
Nach ein paar Jahren im Job und ein paar Jahren Teilabordnung zur Lehrkräfteausbildung habe ich immer deutlicher ein diffuses Gefühl bekommen, dass das Schulsystem dysfunktionaler wird. Ich spürte, dass das System der Wissensvermittlung, das “Teaching to the Test” und das Korsett aus Stunden und Fächern nicht mehr passten, konnte das aber noch nicht konkretisieren und fassen.
Der Wendepunkt begann mit der Corona-Pandemie. Ich war zwar schon immer technik- und medienaffin, aber durch Corona begann ich mich stärker online zu vernetzen (Twitter) und es gab plötzlich viele Webinare und andere digitale Veranstaltungen. So wurde ich zu einem der Treiber der Digitalisierung an meiner “alten” Schule und unsere Bemühungen wurden nicht zuletzt mit dem Preis “genial digital 2020″ gekrönt. Der eigentlich Wendepunkt war dann aber der digitale Deutsche Schulleitungskongress im Mai 2021. Ich wollte mir einen Vortrag von Margret Rasfeld anschauen, der mit einem Hinweis auf den desolaten Zustand unseres Planeten begann. Ich dachte mir: “Das kenne ich schon…” und habe zum nächsten Vortrag gezappt, den ich dann aber noch langweiliger Fand, also zurück zu Margret Rasfeld, die nach den einleitendenden Worten von der von ihr aufgebauten Evangelischen Gemeinschaftsschule Berlin-Mitte und vom Freiday sprach und danach war für mich alles klar. Meine vorher noch diffusen Reformgedanken waren einigermaßen sortiert und ich bekam eine Vorstellung von Schule im 21. Jahrhundert, d.h. die Lernenden müssen mehr Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen und die Lerngegenstände müssen relevanter werden, Lernen muss individualisiert und in Projekten stattfinden. Fächer, Klassenarbeiten, Noten treten in den Hintergrund, der Mensch und der Lernprozess in den Vordergrund.
Danach begann ich mich aktiver mit Schulreform zu beschäftigen, ich hörte und las vom Dalton-Plan, von der Alemannenschule, von Schule in Skandinavien, auf dem Baltikum, in Singapur und Neuseeland. Ich vertiefte meine Social-Media-Aktivitäten, kam ins Lesen (Empfehlungen hier) und besuchte zahlreiche Online-Veranstaltungen. Und so wurde mir immer klarer das, aber auch wie sich Schule verändern muss.

Ich begann dann diese Ideen auch in meinem Kollegium in Dietzenbach zu kommunizieren und lernte dort schnell, dass nicht alle Lehrkräfte meiner Meinung waren, fand aber auch Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Anfang 2023 habe ich mich dann allerdings auf die Schulleiterstelle in der Weibelfeldschule beworben und wurde damit im Juli beauftragt, sodass ich meine Reformideen nun nach Dreieich verlegt habe.

Am 19. Juli 2023 wurde ich dann, kurz vor den Sommerferien, dem Kollegium der Weibelfeldschule als neuer Schulleiter vorgestellt (korrekterweise muss es heißen, dass ich mit den Dienstobliegenheiten beauftragt wurde). In meiner kurzen Ansprache hatte ich damals betont, dass ich als Lernender komme und mir zunächst die bestehenden Prozesse und Strukturen anschauen will. Das war ein Learning aus meiner letzten Schule: Man darf bei Veränderungsprozessen nicht zu forsch sein.
Ich merkte allerdings schnell, dass es in der Schule einen Wunsch nach Veränderung gab und ich habe gerne immer wieder angedeutet, dass ich dafür offen bin. Wie es dann im ersten Jahr an der Weibelfeldschule weiterging, ist Thema des nächsten Blogbeitrags.

Blog WfS 2030

Hier begleite ich den Schulentwicklungsprozess der Weibelfeldschule in einem Blog. Es wird über wichtige Meilensteine, über Ideen und deren Umsetzung oder Scheitern berichtet, hier werden Tipps entwickelt und ein Prozess begleitet.
Es geht auch um pädagogische Haltung und Leitbilder und natürlich wird die kommunale und gesellschaftliche Relevanz im Blick behalten.

Hier noch ein paar Hintergrundinformationen:
Die Weibelfeldschule wurde in den 1970er Jahren im Rahmen des “hessischen Gesamtschulbooms” gebaut und ist eine Kooperative Gesamtschule mit Förderstufe und gymnasialer Oberstufe. Sie wird von ca. 1700 Schülerinnen und Schülern besucht und es arbeiten ca. 160 Lehrkräfte, Verwaltungsangestellte, Hausmeister und andere Menschen dort.

Wünschenswert sind in diesem Blog auch Gastbeiträge (bei Interesse bitte melden).