2025-03: Warum wir einen neuen Literacy-Begriff brauchen. Eine Streitschrift?

Ich erinnere mich noch ziemlich genau an den PISA-Schock, den die erste PISA-Studie 2000 ausgelöst hat (Hintergründe zur PISA-Studie). Ich war noch Student und diese Studie war die erste Studie, die ich ganz gelesen habe, ich habe sogar, ich glaube es war im Hauptseminar Erziehungswissenschaften, ein Referat darüber gehalten.
Zu den Haupterkenntnissen, neben den schwächer werdenden deutschen Schulleistungen und der erschreckenden Abhängigkeit des Erfolgs im Schulsystem von der sozialen Herkunft, gehörte für mich definitiv der in der Studie verwendete Begriff von Literacy. Dieser konnte nicht einfach mit Lesefähigkeit gleichgesetzt werden, sondern bedeutete mehr. Literacy ist demnach:
Lesekompetenz wird bei PISA als Fähigkeit verstanden, Texte zu verstehen, zu nutzen, zu bewerten und über sie zu reflektieren sowie bereit zu sein, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, um eigene Ziele zu erreichen. Lesekompetenz ist danach die Grundlage dafür, eigenes Wissen und Potenzial zu entwickeln und an der Gesellschaft teilzuhaben. Um dieser umfassenden Definition der Lesekompetenz gerecht zu werden, deckt der PISA-Test verschiedene Arten von Texten und Aufgaben in verschiedenen Schwierigkeitsstufen ab.“ (Quelle)
Es geht also nicht nur darum einen Text zu lesen, sondern weit darüber hinaus. Der Text muss auch verstanden, genutzt und reflektiert werden, ja sogar um die Fähigkeit zur Partizipation mit eigenem Wissen und Potenzial. Aber die Literacy-Fähigkeit ist an den Text gebunden, wenn auch verschiedene Arten von Texten. Dazu zählen auch so genannte nicht kontinuierliche Texte, wie Grafiken oder Tabellen.
In den letzten Jahren wurde dieses Verständnis noch weiter erweitert:
„Seit 2018 gibt es bei PISA zudem Leseaufgaben, die das Einschätzen der Qualität und Glaubwürdigkeit von Textaussagen erfordern. Zusätzlich wird bei PISA die Fähigkeit erfasst, Informationen durch das Navigieren auf Webseiten zu finden – eine wichtige Komponente des digitalen Lesens.“ (Quelle)

Es fand also eine Erweiterung in Richtung einer Digital-Literacy statt, damit ist das Erfassen von linear und nicht-linear gemischten Texten gemeint, zum Beispiel Webseiten mit Bildern und Grafiken.

In der letzten Zeit ist zusätzlich zu dieser Begriffserweiterung immer wieder einmal die Rede von Data-Literacy oder AI-Literacy. Damit kommt, neben der bis dato stattgefundenen Erweiterung des Begriffs auf der sichtbaren Ebene, noch eine weitere Dimension zum Literacy-Begriff hinzu. Es geht dabei um ein Verständnis von Prozessen, die zu variablen Ergebnissen auf der sichtbaren Ebene führen. Ich muss ein Verständnis für die Verknüpfung, Sammlung und Verarbeitung von Daten haben, die dann durch algorithmengesteuerte Sprachmodelle einer KI in einem von mir initiierten interaktiven Prozess mit dem Sprachmodell ein „personalisiertes“ Ergebnis anzeigen. Chat-GPT und Co liefern keine reproduzierbaren Ergebnisse mehr.
Dies erfordert ein wiederum erweitertes Verständnis von Literacy, eben eines das nicht nur ein für alle gleich visualisiertes Ergebnis betrachtet, sondern eines, das mit dynamischen Ergebnissen umgehen kann. Das deutet sich schon in dem oben zitierten Einschätzen der Qualität und Glaubwürdigkeit von Textaussagen an, geht aber noch weiter. Es beinhaltet Elemente von Quellenkritik aus der Geschichtsforschung und von Ideologiekritik aus der Theorie der politischen Urteilsbildung und bezieht sich auf Texte, Audios, Videos, Bildern und Grafiken aller Art, die im Zeitalter der KI (ja, ich weiß, dass der Begriff „KI“ im Kontext nicht ganz korrekt, aber gebräuchlich ist) massenhaft reproduzierbar und generierbar sind. Die Grenzen zwischen wahr und falsch, künstlich und natürlich, guter und böser Intention, Manipulation und Aufklärung beginnen zu verschwimmen und auf dieser Ebene muss sich eine neue Form von Literacy entwickeln, die neben der Dimension des Sichtbaren und Offensichtlichen auch das Unsichtbare und Verdeckte in den Blick nimmt, also einen noch stärkeren Fokus auf die Intention richtet und gleichzeitig die technische Dimension der Algorithmizität und deren Grenzen und Möglichkeiten betrachtet.
Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, ergeben sich für mich zwei wesentliche Erkenntnisse:

  1. Das Verständnis von linearen und nichtlinearen Texten wird um eine Ebene ergänzt, nennen wir sie post-lineare Texte, deren sichtbare Ebene nicht mehr statisch ist, sondern variabel, weil mit Big-Data KI-generiert. Das macht das Lesen von Informationen noch schwieriger und ist Teil der wachsenden Herausforderungen, mit denen wir in unserer Welt lernen müssen umzugehen.
    Historisch gesehen wird unser Leben körperlich immer weniger anstrengen, geistig aber dafür umso mehr, weil der Komplexitätsgrad unseres Weltverständnisses immer größer wird.
  2. Das hat unmittelbaren Einfluss auf unseren Bildungsbegriff und damit auf die Art und Weise, wie wir Schule machen. Der Umgang mit Daten und Informationen lässt sich immer schlechter in Fächern kategorisieren und kanonisieren. Reines Wissen steht in riesigen Mengen zur Verfügung, man geht davon aus, dass sich die Menge der wissenschaftlichen Erkenntnis alle fünf bis zwölf Jahre verdoppelt. Das ist für einen einzelnen Menschen schier unfassbar. Dieses Wissen steht aber in großen Teilen digital zur Verfügung und lässt sich mit und ohne Hilfe von KI recherchieren. Problematisch ist hierbei allerdings, dass, wie oben beschrieben, die Qualität der Informationen mit fächerübergreifenden Kompetenzen kritisch hinterfragt werden muss. Das ist es, was wir in Schulen lernen und lehren müssen. Wie lese ich die Flut von Wissen und Informationen richtig? Wie kann ich diese finden, bewerten, sortieren, kategorisieren, hierarchisieren, verifizieren, kommunizieren, teilen, ablegen usw. Dafür werden Kompetenzen aus allen „klassischen“ Schulfächern gleichzeitig gebraucht.
    Dann macht aber das Lernen in Fächern und Stunden im Gleichtakt, mit Klassenarbeiten und Hausarbeiten keinen Sinn mehr. Dann müssen wir Umgang mit und Gestaltung von Wissen vermitteln. Wir müssen Lernen zu kollaborieren und zu hinterfragen, wir müssen Lernprozesse individualisieren und begleiten, um Potenziale zu entfalten. Wenn sich die Welt so rasant verändert, müssen wir in der Schule nicht nur die Vermittlung von Kompetenzen, und ja natürlich auch noch Wissen, in den Blick nehmen, sondern auch Resilienz und Salutogenese. Wir müssen lernen in einer VUCA- und BANI-Welt zu leben und zu lernen und uns auf eine Zukunft vorzubereiten, die noch nie so unvorhersagbar war, in der Unsicherheit als Lernchance begriffen wird und Ambiguitätstoleranz eine zentrale Kompetenz im Bereich der Literacy ist (vgl. dazu Isabella Buck, vor allem den Schluss).

Schlussbemerkung
Dieser Text ist sperrig, das ist mir klar. Er ist auch etwas wirr und vielleicht nicht immer ganz nachvollziehbar. Er scheint mir auch noch nicht fertig, wahrscheinlich arbeite ich noch weiter daran. Daher ist Feedback natürlich sehr willkommen.
Der Text ist mir aber, und das gilt für einige meiner Blogbeiträge, persönlich wichtig, weil er mir hilft Gedanken zu strukturieren und auszuformulieren. Er hilft mein persönliches Weltbild zu modellieren und zu strukturieren und ist damit ein Mosaikstein meines Blogs, in dem ich nach und nach ein hoffentlich im konsistenteres Gesamtbild eines Gesellschafts- und Bildungsbegriffs entwickle, der mich meinem Ziel, der Entwicklung eines Bildungsmodells für das 21. Jahrhundert, näher bringt.

2025-01: Mein persönlicher Jahresrückblick = Beitrag zur Blogparade (Rück-)Besinnung

Bild: DALL_E

Tempus fugit. Wieder ist ein Jahr vergangen und es ist Zeit für eine (Rück-)Besinnung. Ich verbinde hier meinen persönlichen Jahresrückblick und den Aufruf zur Blogparade zum Thema „(Rück-)Besinnung“ von Susanne Posselt.
2023 hatte ich für mich als Jahr der Künstlichen Intelligenz bezeichnet. Dieses Thema hat sich auch in diesem Jahr fortgesetzt, ist aber immer noch nicht so recht in den Schulen angekommen. Das Jahr 2024 war für mich das Jahr, in dem ich in meinem (neuen) Job als Schulleiter so richtig angekommen bin.
Natürlich hatte ich eine vage Vorstellung, was es bedeutet als Schulleiter zu arbeiten, aber natürlich noch keine echte Erfahrung. Nach 1,5 Jahren bin ich aber immer noch davon überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war, diese Verantwortung zu übernehmen und ich liebe immer noch was ich tue. Ich kann tatsächlich Schule verändern, beziehungsweise Menschen in meiner Schulgemeinschaft empowern, Schule zu verändern. Dabei entstehen ganz tolle Projekte und Arbeitsgruppen mit vielen tollen Ideen und Umsetzungen (mehr dazu im WfS Blog). Natürlich ist nicht alles toll, aber in der Summe überwiegt doch das Positive, ich spüre eine Selbstwirksamkeit und bekomme oft positives Feedback. Das gibt die Kraft die hohe Arbeitsbelastung zu bewältigen.
Wenn ich das Jahr Revue passieren lasse, mich also zurück besinne indem ich meinen Kalender durchblättere und in mich gehe, fällt mir erst so richtig auf was so alles in ein Jahr passt.
Ich werde immer wieder gefragt, wie ich das alles mache was ich so mache und ich antworte dann immer, dass mein Beruf auch mein Hobby ist. Meine großen Themen sind Schulentwicklung, Vernetzung und Demokratie- und Medienbildung. So langsam bin ich der Überzeugung, dass ich das was ich tue auch ganz gut mache. Ich gehöre zu den Menschen, die immer wieder zweifeln und reflektieren, ob sie Dinge gut genug machen oder überhaupt befähigt sind einen Vortrag zu halten oder einen Blogbeitrag wie diesen zu schreiben. Interessiert das überhaupt jemanden, hat es einen Mehrwert? Vermutlich ist das ein leichtes Impostor-Syndrom. Dazu gehören vermutlich auch die Selbstzweifel an meinem „Führungsstil“. Ich bin nicht der Typ, der Entscheidungen schnell trifft und diese dann rücksichtslos durchboxt, ich wäge lange ab und Versuche möglichst viele Betroffene zu hören und zu vermitteln und nach Möglichkeit Lösungen zu finden, die für möglichst viele Beteiligte tragfähig sind. Das kann man mir (und tut man auch) als Führungsschwäche auslegen, aber ich werde diesem Vorgehen treu bleiben, weil mir Authentizität wichtig ist und weil es mir wichtig ist, diese dann auch vorzuleben.

Ich werde in diesem Beitrag keine Auflistung der Erfolge des vergangenen Jahres machen, das habe ich zum Beispiel hier oder im oben verlinkten Blog WfS 2030 schon getan. Wichtig ist mir zusammenfassend zu erwähnen, dass wir in 2024 Strukturen geschaffen haben (Selbstständige Schule, DNA-Gruppe, Think- und Do-Tank, AG Handynutzung uvm.), die einen Boden bereiten für großartige Entwicklungen, die sich hoffentlich in diesem Jahr verstärkt zeigen. Es geht um mehr Schülerinnen- und Schülerbeteiligung, eine Demokratisierung des Schulalltages und den Beginn eines Prozesses zur Haltungsveränderung, um unser schulisches Zusammenleben und Wirken auf eine neue, eine modernere und tragfähigere, Basis zu stellen. Das ist es, wofür ich brenne, das ist es wobei ich Selbstwirksamkeit spüre, weil ich meine kleine Welt und damit einen Ausschnitt aus der großen Welt positiv verändern kann und damit zu einer enkelfähigen Zukunft und zu einer lebenswertere Welt beitrage, die wir in diesen unruhigen Zeiten alle gut gebrauchen können.
Deshalb werde ich unermüdlich weiter machen, werde weiter für Vernetzung sorgen und für ein zeitgemäßes Bildungssystem werben und versuchen positiven Einfluss zu nehmen, wo mir das möglich ist.

Weitere Beiträge zur Blogparade
Herr Mess: https://herrmess.de/2024/12/22/edublogparade-2024-folge-9-rueck-besinnung/.
Susanne Posselt: https://susanneposselt.de/rueckbesinnung/.
Jan-Martin Klinge: https://halbtagsblog.de/2024/12/20/schuljahresabschluss-rueckbesinnung-blogparade/.
Dr. Michael Drabe: https://schule-in-der-digitalen-welt.de/1-vernetzt-euch/.
Bildungssprit: https://bildungssprit.de/blog/rueck-besinnung-was-wirklich-zaehlt-in-der-bildung-edublogparade-nr-9.

2024-28: Open-Book-Klausur mit KI Nutzung, ein Erfahrungsbericht

Ich unterrichte auch Geschichte an einem Abendgymnasium, zurzeit eine E-Phase. Die Besonderheit dieser Lerngruppen ist die einerseits ausgesprochene Heterogenität der Lernenden, da diese aus den verschiedenen beruflichen Kontexten kommen und in der Regel noch im Berufsleben stehen, teils schon älter sind, andererseits aber eigenständig den Wunsch sich am Abitur zu versuchen entwickelt haben und daher entsprechend motiviert sind. Erfahrungsgemäß tun sich viele der Lernenden in Geschichte etwas schwer, weil sie hier durch intensive Textarbeit, Textverständnis und Schreibarbeit gefordert sind, was viele so nicht kennen. Deshalb habe ich hier schon häufiger, gerade bei der ersten Klausur mit Open-Book-Formaten gearbeitet, das heißt, die Schülerinnen und Schüler durften ihre Aufzeichnungen und das Schulbuch benutzen, was eigentlich immer als positiv empfunden wurde, da es die Lernenden mental entlastet hat. Dieses Mal bin ich einen Schritt weiter gegangen und habe in der Klausur vom 08.11.2024 die Nutzung von mobilen Endgeräten erlaubt (die Lernenden haben alle ein solches und auch Zugang zu einem W-LAN), was explizit die Nutzung von KI einschloss.

Wir haben im Vorfeld bereits darüber gesprochen, dass die Nutzung des Internets und der KI zwar eine Erleichterung sein kann, dass aber der Faktor Zeit dadurch entscheidender wird. Es war also allen klar, dass ohne rudimentäre Kenntnis der Inhalte nicht genug Zeit vorhanden sein würde, um die Inhalte nachzulesen. Außerdem lag der Klausurtext, Die Verfassungsdebatte aus Herodots „Bücher der Geschichte“ (3, 80-83), nicht elektronisch vorliegt und auch nicht bekannt war, sodass dieser dennoch erst sinnerfassend gelesen und verstanden werden musste. Der Text war bewusst gekürzt und knapp gehalten und durch wenige Annotationen und biografische Angaben zu Herodot entlastet.

Die Aufgabenstellung war typisch für eine Klausur in der E-Phase:
1. Fassen Sie die im Text genannten drei Positionen zu einer zukünftigen Staatsform in eigenen Worten knapp zusammen (Konjunktiv!). (25BE)
2. Analysieren Sie die Quelle anhand eines ihnen vorliegenden Analyseschemas. (50BE)
3. Nehmen Sie Stellung zu der Aussage: „Denn Besseres kann man nicht finden als den einen Mann, der der Beste ist. (…)“ (Z. 40f.) Argumentieren Sie mit historischen und aktuellen Argumenten. (25BE)

Zusätzlich habe ich folgende Arbeitsanweisung gegeben:
Die Klausur ist eine „Open-Book-Klausur“, das heißt, Sie dürfen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel (Aufzeichnungen, Bücher, Internet, KI usw.) benutzen. Allerdings müssen Sie am Ende angeben, welche Hilfsmittel sie für welche Teile benutzt haben (z.B. durch Quellenangaben mit Fußnoten).

Was waren die Learnings für mich (natürlich alle im Bereich der anekdotischen Evidenz)?

  • Wie schon bei den Open-Book-Klausuren ohne KI, werden die Leistungen mit KI auch nicht schlagartig deutlich besser. Auffällig war allerdings, dass es im Vergleich zu den Klausuren ohne Hilfsmittel und ohne KI, weniger Minderleistungen gab.
  • Schülerinnen und Schüler mit sprachlichen Schwierigkeiten konnten eher nicht von der KI-Nutzung profitieren. Die Auswertung und Bewertung dieser Klausuren, sowie die Beobachtung während der Klausur zeigt, dass diese Lernenden viel zu lange damit beschäftigt sind, den Quellentext zu verstehen und so kaum Zeit haben sich mit den anderen Aufgaben zu beschäftigen oder dazu, mangels inhaltlichem Verständnis, dazu nicht in der Lage sind. Das ist übrigens eine Beobachtung, die ich nicht nur im Abendgymnasium mache. Das heißt aber, dass das ein Bereich ist, in dem eine KI nicht hilfreich ist, bzw. sogar vorhandene Defizite noch verstärkt. Ich würde daraus zwei Schlüsse ziehen:
    1. Sinnerfassendes Lesen und der Umgang mit (auch schwierigeren) Texten, müssen, auch in der Oberstufe, stärker gefördert werden. Im Grunde benötigt es dazu zusätzliche Stunden und Übungen. Dass die Vermittlung von Literacy ein großes Problem im deutschen Schulsystem ist, wissen wir ja seit dem ersten großen Pisa-Schock zu Beginn des Jahrtausends.
    2. Wenn leseschwache Lernende von der KI-Nutzung profitieren sollen, müssen die Quellentexte digital zur Verfügung stehen, damit sie von KI übersetzt, zusammengefasst und erklärt werden können. Das löst aber nicht das Problem aus 1., könnte aber das Problem einer sprachlichen Barriere mindern.
  • Die Lernenden sollten ja angeben, wo und wie sie Hilfsmittel genutzt haben, das hat eher mäßig funktioniert und muss noch geübt werden. Das Problem kenn ich allerdings schon aus dem Umgang mit klassischer Zitation, das bedarf Übung. Außerdem ist aufgefallen, dass gar nicht alle Schülerinnen und Schüler mit KI gearbeitet haben, manche sogar nicht einmal das Internet genutzt haben. Das ließ sich jetzt allerdings nicht mit bestimmten Leistungen verbinden.
  • Auffällig war außerdem, das war eigentlich zu erwarten, dass innerhalb der Klausuren einzelne Textabschnitte große stilistische und orthografische Unterschiede aufwiesen. Es war also gut zu erkennen, wo KI genutzt wurde und wo nicht. Und da wird es noch einmal interessant: Bei der Analyse der KI-generierten Textstellen hatte ich das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler KI eher als Suchmaschine nutzen und dann einfach Ergebnisse übertragen. Hier bietet sich ein Ansatz zur Weiterarbeit, weil wir hier gut an konkreten Beispielen an Promptingkompetenzen arbeiten und über Chancen und Grenzen von LLM diskutieren können, was ich dann nach den Ferien aufgreifen will. Natürlich habe ich mit den Schülerinnen und Schülern schon darüber gesprochen und ich habe auch einschlägige Tipps dazu in unserer den Unterricht begleitenden Taskcard, aber das scheint mir noch nicht ganz angekommen, bzw. wurde von mir unzulänglich unterrichtet.

Wie haben die Lernenden die Klausur empfunden?

Ich habe die Schülerinnen und Schüler um ein Feedback in einer Zielscheibe über oncoo gebeten (leider hat sich nur knapp die Hälfte beteiligt).

  • Es zeigt sich, dass die Lernenden das Open-Book-Format eher gut fanden, es gibt einen „Ausreißer“ und es vor allem Sicherheit gegeben hat, was den grundsätzlichen Erfahrungen mit diesem Format entspricht.
  • Zwar fanden fünf bis sechs Lernende die Nutzung von KI bei der Bearbeitung der Teilaufgaben eher hilfreich, es gab aber doch auch einige, die das nicht ganz so empfanden. Hier zeigen sich vermutlich die oben beschriebenen Phänomene der sprachlich/zeitlichen Einschränkung und der fehlenden Prompingtkompetenz. Das muss noch weiter ergründet werden.
  • Unabhängig vom Open-Book-Format zeigt sich, dass die Herausforderung im Umgang mit Quellentexten, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird, womit wir wieder bei Literacy-Kompetenzen sind.

Fazit

Es zeigt sich, dass der Umgang mit KI in Klassenarbeiten und Klausuren weitgehend Neuland ist und zwar für die Lernenden UND die Lehrenden. Wir alle müssen in diesem Bereich noch Erfahrungen sammeln und diese reflektieren. Wir müssen Mut haben auszuprobieren und Fehler zu machen. Ich werde jedenfalls weiter an diesem Format arbeiten, aber sicher nicht in jeder Klausur, dafür ist das Format noch zu experimentell.
Für mich hat sich gezeigt, dass eine große Gefahr darin besteht, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten der Lernenden im Umgang mit KI die Gefahr einer Vergrößerung der Heterogenität beinhalten. Das darf uns aber nicht dazu verleiten KI zu verdammen und zu verbannen, das wäre sträflich fahrlässig, weil KI unsere Lebenswelt durchdringt und Schule sich dem nicht entziehen kann. Vielmehr muss es unser Ziel als Lehrende sein, den Umgang mit KI zu Lehren und der Heterogenität entgegen zu wirken.
Und damit hängt eine zweite Gefahr eng zusammen. Der Umgang mit KI hebt die Bedeutung von Literacy-Kompetenzen weiter hervor und da liegt ja bereits eine große Schwachstelle unseres Schulsystems, die wir nun noch stärker in den Fokus rücken müssen. Wer kompetent mit einem LLM arbeiten will, muss exzellent mit Sprache umgehen können.

Es wird für uns alle also nicht einfacher, sondern schwieriger. Packen wir es an.

Wie schwierig der Umgang mit Sprache ist zeigt hier auch wieder einmal die KI in Form von DALL-E 😉

Bob Blume hat auch bei einer Klassenarbeit die Nutzung von KI zugelassen und schildert hier seine Erfahrungen: https://deutsches-schulportal.de/kolumnen/bob-blume-kuenstliche-intelligenz-in-klassenarbeiten-ein-schritt-in-die-zukunft/.

WfS-05: Reallabor Weibelfeldschule: Zukunftsschmiede „TrendHub“ (Think-/Do-Tank)

Dieses Titelmonster voller Buzzwords ist ein wichtiger Teil unseres Schulentwicklungsprozesses geworden und hat daher einen eigenen Blogeintrag verdient, zumal in den Newslettern oder in diesem Blog immer wieder Bezug darauf genommen wird. Daher veröffentliche ich hier, quasi als Gastbeitrag, die von Frau Riedl, die hier federführend tätig ist, die Erklärung, die auch an unsere Schulgemeinschaft rausging:

Informationen zum Reallabor Weibelfeldschule Zukunftsschmiede „TrendHub“ (Think-/Do-Tank)

Aus dem Newsletter Nr. 6 2024/25: „Nicht zuletzt entstehen gerade, federführend von Schülerinnen und Schülern geleitet und begleitet von Frau Riedl, der Think-Tank und der Do-Tank, die Ideenschmieden und Zukunftshub, Reallabor und Experimentierwerkstatt für die Partizipation der Schülerinnen und Schüler werden sollen. Hier entsteht die Schülerzeitung, hier docken Medien- und Social Media-AGs an, hier entstehen neue und offene Lernräume für Selbstwirksamkeitserfahrungen, die sich an den 17 Sustainable Development Goals (SDG) der UNESCO orientieren…

Anknüpfend daran möchte ich das folgende Konzept vorstellen und zum Mitmachen einladen:

Reallabor Weibelfeldschule Zukunftsschmiede „TrendHub“:
Zukunftsorientierter Bildungsansatz mit interdisziplinärem ThinkTank/DoTank um die Welt von morgen zu denken (Grafik am Ende)

Die Zukunftsschmiede „TrendHub“ ist ein zukunftsorientierter Bildungsansatz, der Schülerinnen und Schüler dazu ermutigt, auch über den traditionellen Lehrplan hinaus zu denken und die Welt von morgen aktiv mitzugestalten. Als interdisziplinärer ThinkTank bietet er eine Plattform, auf der innovative Ideen gedeihen und in verschiedenen Medien – einer echten Schülerzeitschrift, einem Instagram-Kanal, einem Podcast- und einem YouTube-Studio – zum Ausdruck kommen. Das Projekt zielt darauf ab, Projekte partizipativ und interdisziplinär zu gestalten sowie BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) sinnvoll mit kultureller Bildung zu verknüpfen. BNE ist als zentrales Bildungsziel im Hessischen Schulgesetz verankert und gehört zu den Bildungszielen der Vereinten Nationen. BNE orientiert sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDG). (https://unric.org/de/17ziele/)

Zielgruppen sind Schülerinnen und Schüler, Lehrerschaft & Schulleitung. Eingeladen zur Mitwirkung sind auch Schulträger, Bürgermeister, Landrat sowie lokal ansässige Vereine, Firmen und Kooperationspartner. Dabei geht es um kreative Ideenfindung im ThinkTank und praktische Umsetzung im DoTank. Kooperationen bestehen mit Kultur- und Wirtschaftspaten sowie Partnern aus dem Globalen Süden. Die Ergebnisse der nachhaltigen Lernbedingungen werden u.a. künstlerisch reflektiert und am 1.Juli 2025 in einer Ausstellung sichtbar gemacht. Dabei thematisiert die Zukunftsschmiede „TrendHub“, je nach fachlichem Fokus, verschiedene Transformationsfelder, etwa die Wandgestaltung des Think- & DoTanks, oder die Schülerzeitschrift mit Inhalten wie Gesundheit, Verkehr, Wohnen, Bauen, Konsum und Ernährung.

Kurzbeschreibung des Vorhabens
In der ersten Phase entwickeln Schülerinnen und Schüler der 7.-13. Jahrgangsstufe in der Zusammenarbeit von jeweils zwei oder mehreren Fächern ein konkretes Projekt, das Einfluss auf die Haltung zu Nachhaltigkeitsfragen haben kann.
Dabei geht es zunächst um ein Interpretieren der ausgewählten Inhalte im Hinblick auf BNE-relevante Narrative, um daraus Vorschläge zu formulieren, wie sie weiterzuentwickeln und zu vermitteln sind. Die dabei gemachten Erfahrungen werden dann reflektiert und im Hinblick auf die zweite Phase zu Gestaltungskriterien für BNE verallgemeinert.
Für diese Phase gibt es Kooperationen mit Paten aus Kultur und Wirtschaft (Kulturelle Bildung und Künstlern, Fotografen, Firmen), um kulturelle und wirtschaftliche Perspektiven einzubringen. Auch gibt es Kooperation mit Paten aus dem Globalen Süden (Windhoek, Namibia), um unvertraute Perspektiven zu betrachten.
Partizipierende der ersten Phase sind Schülerinnen und Schüler der Arbeitsgemeinschaft Schülerredaktion (Bücherei), Arbeitsgemeinschaft YouTube-Studio/Instagram (AV-Studio), Wahlpflichtkurs Kunst: Kreatives Denken.
Die Ergebnisse der nachhaltigen Lernbedingungen werden künstlerisch reflektiert und in der Ausstellung
„LIGHT UP – Nature, Plastik & MEHR /MEER” sichtbar gemacht.

Vernissage „LIGHT UP – Nature, Plastik & MEHR /MEER”
eingeladen wird die Schulgemeinschaft, Förderer, Kooperationspartner, Vertreter der Stadt und des Landkreises.
Ausgestellt werden kreative und innovative Projekte der Schülerinnen und Schüler (Weibelfeldschule/DHPS Windhoek, Namibia) zu dem Thema Kunst und Nachhaltigkeit.
Highlights des Abends:
• Wandgestaltung ThinkTank (Künstlerin Tanja S. F. Hoffmann) „Sphären der Hoffnung“
• „Natürliche Erleuchtung“ im DoTank (Fotografin Melina Keil): „Lichtinstallationen und Naturbilder“
• Wettbewerb Upcycling Kronleuchter die von unserer Schulgemeinschaft gestaltet werden sollen (Ausschreibung über Schülerzeitschrift)
• „Kunstvolle Lichtquellen der Natur“ Projekte zur Nutzung von Biolumineszenz und Algen als Energiequelle.
• Häppchen aus nachhaltigem, ökologischem lokalem Anbau und frischen Köstlichkeiten aus den Streuobstwiesen der Region.

Und viele weitere sind denkbar…

K. Riedl

Förderer der Zukunftsschmiede „TrendHub“:
Zukunft bilden – Andrea & Markus Eisel Stiftung: …“Sie haben sehr deutlich dargelegt, wie Sie zukunftsgerichtete Bildung mit der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an Ihrer Schule ermöglichen wollen. Die Zukunftsschmiede “TrendHub” mit dem ThinkTank und dem DoTank ist eine sehr gute Möglichkeit für die Entwicklung innovativer und kreativer Schülerprojekte. Wir unterstützen dieses Projekt sehr gerne, weil wir in Ihrem Vorhaben die Vision unserer Stiftung und unser Verständnis von nachhaltig wirksamer Bildung wiederfinden. Wir wünschen Ihnen gutes Gelingen und viel Freude am Entdeckergeist der Jugendlichen“ (Zuwendung von jeweils 5000 Euro pro J. für die kommenden 3 J.)

Kulturelle Bildung:
Sparkasse 1822-Schulkunstprojekt
leistet Basisarbeit in der Förderung von Kunst und Kultur. Ziel der Aktion ist es, Kunstschaffende, Schüler*innen und Lehrkräfte in Kontakt miteinander zu bringen und den Schulalltag in den unterschiedlichen Fächern außerhalb des Regelunterrichts zu bereichern. (3500 Euro)

Uta und Rolf Düncher Stiftung: „Wir möchten Menschen, vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ermutigen, ihre Potentiale zu entwickeln und widerstandsfähiger gegen Störungen auf ihrem Lebensweg zu werden. Dazu engagieren wir uns in den Bereichen Erziehung, Bildung und Kunst.“ (3000 Euro)

Weitere Förderer: Sparkasse Filiale Dreieich (1000 Euro), SumSum Gebrauchtmöbel (4 HighBack Sofas), Friedens-Weihnachtsbaum 2023/24 (700 Euro)

Referenz:
Erleuchtung des Kunst-Weihnachtsbaums „Sphären der Hoffnung“
Insgesamt waren 90 Schülerinnen und Schüler an diesem Projekt beteiligt. Das interdisziplinäre Projekt, bei dem PoWi, Kunst und Musik zusammenflossen, wurde in der „Zukunftsschmiede TrendHub“ von der AG „Kreative Köpfe“ der Schülerzeitschrift in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Tanja S. F. Hoffmann konzipiert, um ein einzigartiges Erlebnis zu schaffen, das Kulturelle Bildung und Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt.
Beteiligte Fächer und Lehrkräfte: Musik (W. Amin), PoWi (Metzner), Kunst (K. Riedl), Insta (M. Manzoni)
https://www.wfs-dreieich.de/2024/12/05/erleuchtung-des-kunst-weihnachtsbaums-sphaeren-der-hoffnung/

Platz 1 ging an „Die Container Wächter“
Die Container Wächter wurden von den „Kreativen Köpfen“ der AG: Digitales Zeichnen und Street Art konzipiert, die nun die Schülerzeitschrift und die „Zukunftsschmiede TrendHub“ entwickeln. Aufgeteilt in Kleingruppen haben die Schülerinnen und Schüler der Weibelfeldschule lebensgroße Figuren geschaffen. Die Wächter stehen auf dem Schulhof und beschützen symbolisch die Container-Klassenräume. Großartig, dass sich insgesamt 135 Schülerinnen und Schüler in das Projekt eingebracht haben.
https://www.wfs-dreieich.de/2024/07/12/platz-1-beim-beton-art-award-2024/

KUNSTVOLL-Förderung im Schuljahr 2023/2024 in der Weibelfeldschule. DER KULTURFONDS FRANKFURT RHEINMAIN – WIR FÖRDERN KULTUR
Projekte der Bildenden und der Darstellenden Kunst, werden von professionellen Künstlern und Künstlerinnen begleitet und unterstützt. Jugendliche können bei dieser gemeinsamen schöpferischen Arbeit ihr theoretisches Wissen fächerübergreifend mit eigenen Erfahrungen bereichern und mit Leben füllen. Diese kulturelle Praxis weckt ungeahnte Fähigkeiten und fördert die persönliche Entwicklung. Beteiligt waren 10 Lehrkräfte von der Weibelfeldschule, eine Kunstlehrkraft von der DHPS Windhoek, Namibia und fast 400 Schülerinnen und Schüler. Das Konzept zu dem Kunstprojekt zur schwindenden Biodiversität „Awareness Ausstellung Art’n‘Vielfalt“ (Juli 2024) wurde von den „Kreativen Köpfen“ der AG: Digitales Zeichnen und Street Art konzipiert, die nun die Schülerzeitschrift und die „Zukunftsschmiede TrendHub“ entwickeln.
https://wfs.taskcards.app/#/board/6c7f996b-5c99-44af-b257-02725b5068e7/view
https://www.wfs-dreieich.de/2023/07/13/kunstvoll-foerderung-im-schuljahr-2023-2024-in-der-weibelfeldschule/

2024-27: Was passiert hier eigentlich gerade?

So visualisiert DALL-E diesen Blogbeitrag.

Ich habe das Gefühl, dass ich mal wieder etwas weiter ausholen muss und mir etwas von der Seele schreiben muss. Schreiben sortiert, strukturiert und präzisiert Gedanken. Vielleicht sind diese Gedanken auch für die Eine oder den Anderen interessant, deswegen schreibe ich nicht nur, sondern blogge auch noch. Wichtig ist mir dabei, trotz aller Kritik und aller düsteren Prognosen, einen positiven Blick zu bewahren. Nur so kann ich meinen Job sinnstiftend machen und den Kindern und Jugendlichen Hoffnung und Lust auf ihre Zukunft machen.
In den letzten Wochen ist wieder einmal sehr deutlich geworden, dass wir uns global in einem rasanten und unvorhersehbaren Veränderungsprozess befinden (Stichwort: VUCA/BANI-Welt). Die Situation ist einerseits bedrohlich, unsere Demokratie und unser Wirtschaftsmodell, ja unsere ganze Lebensweise ist bedroht. Der SPIEGEL hat vom „Ende des Westens“ geschrieben. Das ist durchaus furchteinflößend und führt verständlicherweise zu Verunsicherung.
So wie es aussieht, stehen uns größere Disruptionen bevor, nehmen wir als Beispiel nur die Autoindustrie, bei der das besonders deutlich wird. Deren Geschäftsmodell wird aus dem Ausland, besonders China, bedroht, drohender Protektionismus (USA) schließt Absatzmärkte und außerdem wurde zu spät und zu halbherzig auf notwendige technologische Anpassungen verzichtet (E-Autos und Klimawandel).
Ähnliches droht unserem Bildungssystem, auch hier verharren wir zu lange in einem veralteten und überkommenen Modell, auch hier überholt uns das Ausland, obwohl wir einst einer der „Weltmarktführer“ waren, auch hier sind Reformschritte und Anpassungen an die veränderte Welt unabdingbar. Im Guardian habe ich neulich einen sehr interessanten Kommentar gelesen (https://www.theguardian.com/business/article/2024/sep/01/germany-economy-problem-analogue-industries), in dem Larry Elliott beschreibt, wie Deutschland versuche sein analoges Modell in einer digitalen Welt beizubehalten.
Diese krassen und rasanten Veränderungen, die man mit Recht als Disruptionen bezeichnen kann, betreffen uns alle, unser aller Leben wird sich verändern und da haben wir noch gar nicht über KI, Kriege, Populismus, Spaltung der Gesellschaft usw. gesprochen. Gleichzeitig stecken in solchen Disruptionen auch Chancen. Die Menschheit hat sich solchen Phasen rasanten Wandels in der Geschichte eigentlich immer als anpassungsfähig und innovativ gezeigt.
Es gibt ja, wenn man sie sehen will, auch positive Entwicklungen, die auf eine bessere Zukunft hindeuten, es gibt medizinischen Fortschritt, KI kann unsere Arbeitswelt positiv verändern, zumal in Kombination mit immer fortschrittlicherer Robotik, der unregulierte und gesellschaftsgefährdende Aufstieg der sozialen Medien scheint seinen Zenit überschritten zu haben und auch im Bildungssystem machen sich immer mehr Menschen und Schulen auf den Weg zukunftsfähigere und menschlicher Schulen zu entwickeln.
Der Veränderungsdruck nimmt also zu und führt dazu, dass Veränderungen beschleunigt werden, so ist das bei allen Veränderungsprozessen. Es geht durch ein „Tal der Tränen“ und dann wird es nachhaltig besser.
Ich fürchte, da müssen wir alle früher oder später durch. Ich gehöre zu den Menschen, die es dann lieber früher hinter sich haben und im Prozess gestaltend eingreifen. Was da in der Welt im Großen vor sich geht, spiegelt sich auch in unserem Schulkosmos im Kleinen. Wir haben es in der Hand, die Zukunft mitzugestalten, denn: Bildung ist der Schlüssel um mit den Problemen der VUCA/BANI-Welt klarzukommen. Wir müssen unsere Kinder zu resilienten und agilen Menschen ausbilden, die sich der Problemlage bewusst sind und kreative Lösungen entwickeln die Probleme zu lösen.
Das erscheint jetzt auf den ersten Blick sehr als oberflächlich und allgemein, leitet aber unsere Schule und mich bei der Schulentwicklung vor Ort, wo es dann durchaus konkret wird. Wer sich dafür näher interessiert, dem sei der Blog WfS 2030 ans Herz gelegt: https://www.schulmun.de/2024/04/23/blog-wfs-2030/.

WfS-03: Habemus DNA-Gruppe (fast)

Heute hatten wir unsere (vorerst?) letzte Sitzung mit Enenpro, unseren externen Schulentwicklungsbegleitern, mit denen wir einen wertschätzenden, konstruktiven und lohnenswerten Prozess erlebt haben.
Als Resultat haben wir jetzt fast eine DNA-Gruppe. „Fast“, weil noch einige Personen gefragt werden müssen, ob sie überhaupt mitmachen wollen. Sinn der DNA-Gruppe ist es dort Vertreter aller relevanten Gruppen aus der Schulgemeinschaft zu versammeln, also innovative und bewahrende Lehrkräfte, Eltern, Lernende, Personalrat, Schulleitung usw. Durch diese heterogene Zusammensetzung soll ein Querschnitt, ein Spiegelbild der Schulgemeinschaft, immerhin ca. 130 Lehrkräfte und 1.700 Schülerinnen und Schüler und deren Eltern, abgebildet werden. Die Aufgabe dieses Gremiums ist es Entwicklungsprozesse, die von allen Menschen aus der Schulgemeinschaft angestoßen werden können, vorzuentlasten, indem sie dort diskutiert werden. So soll schon bevor über Ideen entschieden wird, erkannt werden, ob Vorhaben einfach umzusetzen sind oder, ob mit Widerstand zu rechnen ist. Eine DNA-Gruppe trifft keine Entscheidungen, leistet aber wertvolle Vorarbeit und Vorentlastung.
Mit diesem ersten Zyklus im Schulentwicklungsprozess haben wir also ein entlastendes und beratendes Gremium geschaffen und zahlreiche Methoden und Werkzeuge für die Arbeit an die Hand bekommen, die jetzt auch in der DNA-Gruppe zum Einsatz kommen. Das ist sehr hilfreich.
Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass wir immer noch am Anfang stehen, tiefgreifende Veränderungen sind damit noch nicht geschaffen und der in den vorherigen Blogbeiträgen avisierte Haltungsveränderungsprozess ist auch erst angestoßen. Aber das ist auch völlig in Ordnung so, wir haben viel erreicht, aber noch mehr liegt vor uns. Es gibt auch immer noch tieferliegende Konflikte im Kollegium, deren Aufarbeitung erst begonnen hat, aber auch das ist normal. Sascha von Enenpro hat heute zurecht betont, dass wir schon ganz viel erreicht haben, indem wir in der Initialgruppe gelernt haben hierarchiefrei zu diskutieren und zu arbeiten und da hat er wohl recht. Das müssen wir jetzt auf die DNA-Gruppe übertragen, ich werde berichten, wenn diese ihre Arbeit aufgenommen hat.

Haltungen, vor allem Haltungen in Systemen wie Schulen, zu verändern ist ein komplexer, langwieriger und anstrengender Prozess. Silke Müller, Schulleiterin der Waldschule in Hatten, hat einmal in einem LinkedIn-Beitrag geschrieben, dass es an ihrer Schule einen einjährigen, professionell von Metaplan begleiteten, Entwicklungsprozess gegeben hat, bei dem das Kollegium „runter auf den Erd- bzw Schulkern gehen“ musste, „deren Antwort auch schmerzhafte Selbsterkenntnis sein mussten- all das war im Prozess aufreibend, emotional, schwierig.“, schreibt sie und das steht uns wohl in dieser Intensität noch bevor. Wir sind aber wild entschlossen, diesen Weg zu gehen. Zum Thema Haltung hatte ich auch im letzten Newsletter geschrieben.

Wie in den letzten Blogbeiträgen beschrieben, gehen wir den Schulentwicklungs- und Haltungsveränderungsprozess auf mehreren Ebenen an. Daher will ich hier auch ein kurzes Update zur Selbstständigen Schule (SES) und dem Präventionskonzept geben.
Alle Gremien (SV, SEB und Schulkonferenz) haben dem Antrag auf SES einstimmig zugestimmt, der Antrag wurde über das Staatliche Schulamt an das Hessische Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen weitergeleitet. Von dort gab es ein paar Rückfragen und bitten um Präzisierungen, die hoffentlich heute abschließend beantwortet werden konnten. Jetzt heißt es warten auf die Entscheidung. Stay tuned.
Unser dort anzugebender Entwicklungsschwerpunkt dreht sich ja um eine Reform des Hauptschulzweiges, darüber werde ich in einem der nächsten Beiträge berichten.

Das Präventionskonzept, das ich für einen wichtigen Schritt zur Haltungsänderung halte, liegt in einem ersten Entwurf vor und muss noch etwas ausgeschärft werden. Ziel ist es im Moment dieses auf der Gesamtkonferenz im Dezember vorzustellen und möglicherweise schon abzustimmen.

Was ist sonst noch passiert? Vieles natürlich, jeden Tag passiert etwas.
Herauszuheben ist noch das Projekt „Think- und Do-Tank“, welches unsere fantastische Seiteneinsteigerin Kirsten Riedl angestoßen hat. Hier geht es um mehr Verantwortung für und Partizipation von Lernenden, einen kreativen Think-Tank und einen Makerspace; alles orientiert an den SDGs. Aber auch dazu mehr in einem der nächsten Beiträge.

Auch wenn die Belastungen im Moment wieder sehr groß sind, wenn ich kontemplativ an meinem Schreibtisch an einem solchen Blogbeitrag schreibe, merke ich doch, dass wir auf einem guten Weg sind und mein Job großartig ist. Trotz aller Widrigkeiten, bin ich von zahlreichen Menschen umgeben, die für ihren Job als Lehrkraft brennen und ein kreatives Potenzial zur Weiterentwicklung entfalten, was mir immer wieder den allergrößten Respekt abverlangt.

2024-26: Warum solltest du Lehrer:in werden?

DALL-E: Ein Lehrer zeigt einem Schüler die Zukunft, das Wissen und die Welt.

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, (möglichst) alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert. Dies ist die achte Runde.

Wir haben Klimawandel, Lehrkräftemangel, Populismus, Extremismus, Antisemitismus, Islamismus, Spaltung der Gesellschaft, demografischem Wandel, Rentenlücke, Pay-Gap, Extremwetter, VW-Krise, Krieg in der Ukraine, Krise in Nahost, Politikverdrossenheit, Alkoholismus, Femizide und zahllose weitere Probleme.
Das ist eine schreckliche Bilanz und die Zukunft könnte bitter werden.
Meiner Meinung nach gibt es nur ein wirkliches Gegenmittel, um all diesen Herausforderungen zu begegnen: Bildung!
Wie hat schon John F. Kennedy gesagt: „Es gibt nur eins was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.

Zugegeben: Aktuell ist der Ruf der Lehrkraft etwas ramponiert. Das Klischee sagt, Lehrkräfte sind faul, unflexibel, mürrisch, kinder- und innovationsfeindlich, sie haben nachmittags frei und das ganze Jahr Ferien, sie wissen alles besser und fühlen sich ständig angegriffen. Wie bei jedem Klischee ist auch sicher an diesem etwas dran, aber die deutliche Mehrheit der Lehrkräfte gibt alles und noch mehr, um eine immer herausfordernder werdende Schülerschaft für eine immer unsicherere Zukunft zu bilden.
Zugegeben: Im Moment fehlen an allen Ecken und Enden ausgebildete Lehrkräfte, gleichzeitig werden immer mehr bürokratische und rechtliche Hürden für den schulischen Alltag aufgebaut, die Korrekturen werden mehr und anstrengender und die physische und psychische Belastung steigt.
Zugegeben: Es gibt an Schulen einen Investitionsstau von 55 Mrd. Euro, viele Gebäude sind marode, die Digitalisierung stockt, KI kommt nur langsam an, es gibt kaum ordentliche Arbeitsplätze an Schule, geschweige denn vernünftige Rückzugsorte.
Zugegeben: Das sind alles keine guten Gründe Lehrer:in zu werden! Oder doch?

Gerade weil die Situation im Schulsystem aktuell herausfordernd und global erschreckend ist, ist es erst recht sinnvoll Lehrerin oder Lehrer zu werden!

Innerhalb des Systems Schule muss sich in der nächsten Zeit vieles verändern (warum habe ich hier schon einmal beschrieben) und dazu braucht es frische und innovative Kräfte, die Lust am Verändern und Gestalten haben. Für mich ist das eine attraktive Perspektive. Das „klassische“ Verständnis von Bildung, Lernen und Schule gerät durch die wachsende Heterogenität und Singularisierung in der Gesellschaft, durch das exponentielle Wachstum des Wissens und nicht zuletzt durch Künstliche Intelligenz und Digitalität zunehmend unter Druck. Darauf muss das Schulsystem reagieren und individualisierte selbstgesteuerte Lernsettings in attraktiven Lernumgebungen schaffen. Diese müssen offen für projektorientiertes, selbstwirksames und fachdomänenverbindendes Lernen sein. Lehrkräfte müssen zu Lernbegleitenden werden, die das individuelle Potential der Lernenden entfalten und deren Kompetenzzuwachs im Sinne eines Growth Mindsets begleiten. Das sind grundstürzende Veränderungen, nach denen Schule nicht mehr mit den aktuellen Bildungsanstalten vergleichbar ist. Ich glaube sogar, dass dieser Prozess noch weiter gehen muss und Schule Teil einer kommunalen Bildungslandschaft für lebenslanges lernen werden muss (mehr dazu hier und hier)

Und auch außerhalb des Systems Schule muss sich vieles verändern, wenn wir eine lebenswerte und enkelfähige Zukunft für unseren Planeten wollen. Auch dafür ist Bildung der Schlüssel. Wir müssen wegkommen vom Primat der Wissensvermittlung, hin zu einem Primat der Menschenbildung. Dazu gehört die Vermittlung von Demokratie, die wir zu verlernen drohen (mehr dazu hier), dazu gehört soziales Lernen, die Vermittlung von Empathiefähigkeit und der Respekt vor der Würde aller Menschen, was übrigens alle Schulgesetze unisono fordern. Dazu gehört das Erlernen von Resilienz, eine umfassende Medienbildung im Sinne von digital literacy (mehr dazu hier). Schule muss endlich wieder mehr Verantwortung für die Schulung (!) und Bildung (!) einer zukunftsfähigen Gesellschaft übernehmen (mehr dazu hier). Neben den oben beschriebenen Gestaltungsmöglichkeiten des Systems von innen, gibt es also auch eine besondere Relevanz des Jobs als Lehrkraft für die Gesellschaft. Beides spannende und interessante Aspekte, die den Beruf attraktiv machen und erfordern, dass er von den Besten ausgeübt wird. Es gibt meiner Meinung nach wenige relevantere Berufe für unsere Zukunft als den der Lehrkraft. Wer Selbstwirksamkeit und unmittelbares Feedback in einem hochrelevanten Beruf erfahren will, wer aktiv Zukunft gestalten und für unsere Kinder einen Unterschied machen will, sollte Lehrerin oder Lehrer werden!

Nachwort: Vielleicht ist dem Einen oder der Anderen aufgefallen, dass dieser Text mit einigen selbstreferentiellen Links versehen ist. Dies hat sich während des Schreibens ergeben und hat mich angeregt zu hinterfragen, warum das so ist. Ich glaube, ich blogge unter anderem deswegen, weil ich so mein berufliches Handeln immer wieder reflektiere und die Verlinkungen zeigen, dass hier Konsistenz und Kohärenz entstehen. Als gelernter Geisteswissenschaftler denke ich multikausal und in Interdependenzen und in meinen Blogbeiträgen entsteht so mein Bild vom Bildungssystem, seiner Reform und seiner Zukunft. Es wäre vermessen, dieses als vollständig oder wahr zu betrachten, aber es scheint doch bisher in sich stimmig und es es steckt meinen Weg zu einem zukunftsfähigen Bildungsbegriff ab, nach dem ich strebe und für den ich kämpfe: für mich, meine Kinder und unsere Zukunft. Deshalb lohnt es sich für mich Lehrer zu sein und ich würde es wieder tun.

Weitere Beiträge zur Blogparade:

Katharina Mowitz auf Prima(r)blog: https://primar.blog/2024/10/05/warum-heute-noch-lehrkraft-werden/.

Matthias Lausmann als Herr Mess: https://herrmess.de/2024/10/07/runde-8-der-edublogparade-2024/.

Jan-Martin Klinge auf Halbtagsblog: https://halbtagsblog.de/2024/10/08/teekueche-schokoladenbrunnen-heute-noch-lehrkraft-werden/.

Jonas Wagner: https://jonaswagner.de/warum-ich-blogge-von-frust-inspiration-und-einer-kleinen-revolution-im-klassenzimmer/.

Lars Fengler: https://fengler.schule/archive/139.

Gesa auf Learari: https://laerari.com/blogparade-2024-8-warum-lehrkraft-werden/.

Maria Kruse auf k(n)öpfchenkunde: https://xn--kpfchenkunde-4ib.de/2024/10/13/blogparade-8-warum-sollte-man-lehrkraft-werden/.

Susanne Posselt auf Bildungsweise: https://susanneposselt.de/vom-glueck-lehrerin-zu-sein/.

WfS-01: Prolog – Wie alles begann

An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht kurz zu erläutern, warum ich Schule verändern will und wie es zu dieser Einsicht kam:

2007 habe ich nach einem Gymnasiallehramtsstudium mein Referendariat an einer Gesamtschule mit einem typischen Mindset begonnen. Ich kannte Schule aus meiner eigenen Schulzeit und erwartete, dass Schule auch genau so sein müsste. Das heißt im Wesentlichen Frontalunterricht, gelegentlich vielleicht mal eine Gruppenarbeit, Klassenarbeiten und Tests und das „Eintrichtern“ von Wissen; ich stehe vorne und die Schülerinnen und Schüler machen was ich sage. Bis auf Letzteres haben meine anfänglichen Erfahrungen und das Referendariat dieses „fixed“ Mindset nicht verändert.
Nach ein paar Jahren im Job und ein paar Jahren Teilabordnung zur Lehrkräfteausbildung habe ich immer deutlicher ein diffuses Gefühl bekommen, dass das Schulsystem dysfunktionaler wird. Ich spürte, dass das System der Wissensvermittlung, das „Teaching to the Test“ und das Korsett aus Stunden und Fächern nicht mehr passten, konnte das aber noch nicht konkretisieren und fassen.
Der Wendepunkt begann mit der Corona-Pandemie. Ich war zwar schon immer technik- und medienaffin, aber durch Corona begann ich mich stärker online zu vernetzen (Twitter) und es gab plötzlich viele Webinare und andere digitale Veranstaltungen. So wurde ich zu einem der Treiber der Digitalisierung an meiner „alten“ Schule und unsere Bemühungen wurden nicht zuletzt mit dem Preis „genial digital 2020″ gekrönt. Der eigentliche Wendepunkt war dann aber der digitale Deutsche Schulleitungskongress im Mai 2021. Ich wollte mir einen Vortrag von Margret Rasfeld anschauen, der mit einem Hinweis auf den desolaten Zustand unseres Planeten begann. Ich dachte mir: „Das kenne ich schon…“ und habe zum nächsten Vortrag gezappt, den ich dann aber noch langweiliger fand, also zurück zu Margret Rasfeld, die nach den einleitendenden Worten von der von ihr aufgebauten Evangelischen Gemeinschaftsschule Berlin-Mitte und vom Freiday sprach und danach war für mich alles klar. Meine vorher noch diffusen Reformgedanken waren einigermaßen sortiert und ich bekam eine Vorstellung von Schule im 21. Jahrhundert, d.h. die Lernenden müssen mehr Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen und die Lerngegenstände müssen relevanter werden, Lernen muss individualisiert und in Projekten stattfinden. Fächer, Klassenarbeiten, Noten treten in den Hintergrund, der Mensch und der Lernprozess in den Vordergrund.
Danach begann ich mich aktiver mit Schulreform zu beschäftigen, ich hörte und las vom Dalton-Plan, von der Alemannenschule, von Schule in Skandinavien, auf dem Baltikum, in Singapur und Neuseeland. Ich vertiefte meine Social-Media-Aktivitäten, kam ins Lesen (Empfehlungen hier) und besuchte zahlreiche Online-Veranstaltungen. Und so wurde mir immer klarer das, aber auch wie sich Schule verändern muss.

Ich begann dann diese Ideen auch in meinem Kollegium in Dietzenbach zu kommunizieren und lernte dort schnell, dass nicht alle Lehrkräfte meiner Meinung waren, fand aber auch Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Anfang 2023 habe ich mich dann allerdings auf die Schulleiterstelle in der Weibelfeldschule beworben und wurde damit im Juli beauftragt, sodass ich meine Reformideen nun nach Dreieich verlegt habe.

Am 19. Juli 2023 wurde ich dann, kurz vor den Sommerferien, dem Kollegium der Weibelfeldschule als neuer Schulleiter vorgestellt (korrekterweise muss es heißen, dass ich mit den Dienstobliegenheiten beauftragt wurde). In meiner kurzen Ansprache hatte ich damals betont, dass ich als Lernender komme und mir zunächst die bestehenden Prozesse und Strukturen anschauen will. Das war ein Learning aus meiner letzten Schule: Man darf bei Veränderungsprozessen nicht zu forsch sein.
Ich merkte allerdings schnell, dass es in der Schule einen Wunsch nach Veränderung gab und ich habe gerne immer wieder angedeutet, dass ich dafür offen bin. Wie es dann im ersten Jahr an der Weibelfeldschule weiterging, ist Thema des nächsten Blogbeitrags.

2024-23: Schule & Leben (Teil einer Blogparade)

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, (möglichst) alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Wer sich beteiligen möchte, aber keinen Blog hat, kann gerne einen Beitrag einreichen – er wird dann als Gastbeitrag publiziert. Dieser Vorschlag zur siebten Runde stammt von Susanne Posselt.

Schule ist ein Teil des Lebens und das Leben ist Teil der Schule.

Wichtige Aspekte haben Susanne und Jan-Martin ja schon zusammen getragen (Links siehe unten). Für Jugendliche ist Schule ein zentraler Teil ihres Alltags, bei dem es nicht nur um Lernen und Abschlüsse geht, sondern um Sozialleben. Außerdem bereitet Schule, nicht immer sinnvoll, umfassend und zielgerichtet, aber dennoch relevant, auf das Leben vor.
Ich möchte daher die Blogparade noch um zwei für mich wichtige Punkte ergänzen, einen (Überraschung!) historisch-politischen und einen persönlichen.

Historisch betrachtet trat die Institution Schule und ihre Vorformen in das Leben, um Teile der Gesellschaft, der „Oberschicht“, für bestimmte Tätigkeiten zu qualifizieren, zum Beispiel zum Schreiben in der altägyptischen Bürokratie, zum Reden auf der attischen Agora oder zum (Ab-)Schreiben von Büchern im Mittelalter. Lange war eine Art von schulischer Bildung allerdings kleinen Teilen der Gesellschaft vorbehalten. Mit zunehmender Globalisierung, Demokratisierung, Verwissenschaftlichung und Industrialisierung des Lebens in der Neuzeit, entstand ein neues Verständnis von schulischer Bildung. Es gab einen größeren Bedarf an Menschen (zunächst in der Regel Männern), die zumindest basale Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschen mussten. Dies war zum Beispiel notwendig, um das britische Empire zu verwalten, Regeln und Anweisungen in einer Fabrik zu verstehen oder ein (modernes) Militär zu organisieren.
Vom 18. bis zum 20. Jahrhundert setzte sich daher in der „westlichen Welt“ eine Schulpflicht durch und es entstand die Schule für alle, wie sie eigentlich bis heute existiert und die eine zentrale Rolle in unserem Leben spielt. Seither gibt es Diskussionen um die Inhalte, die gelehrt und gelernt werden sollen, seither spielt Schule eine zentrale Rolle bei der Reproduktion von Herrschaft. (Über die Rolle von Schule in der Gesellschaft habe ich mir an anderer Stelle schon einmal Gedanken gemacht.)
Schule wurde also historisch immer bedeutender für die Gesellschaft und hat den Anspruch entwickelt alle Jugendlichen zu erreichen, die Rolle von Schule für das Leben wurde also immer wichtiger, damit aber auch kontroverser und politischer im eigentlichen Sinne. Das geht heute eigentlich so weit, dass ein Leben ohne Schule nicht mehr denkbar ist. (Eine Schule ohne Leben aber auch nicht, wobei hier imho noch Luft nach oben ist.)

Für mich persönlich ist Schule ein zentraler Aspekt meines Lebens. Wenig überraschend habe ich zum einen selbst in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrtausends eine Schule besucht (Funfact: Sogar zwei Jahre die Schule, die ich jetzt leiten darf) und zum anderen habe ich Schule zu meinem Beruf gemacht. Für mein Leben spielt Schule also eine ganz zentrale Rolle.
Meine eigene Schülerzeit war in Ordnung, ich war, inklusive einer typischen Krise im Rahmen meiner Pubertät, ein recht ordentlicher Schüler mit typischen Vorlieben und Abneigungen (mehr dazu hier). Dass Schule einmal so ein zentraler Teil meines Lebens werden sollte kristallisierte sich erst einige Jahre nach meinem Abitur heraus und ich habe es bis heute nicht bereut. Ich war immer gerne Lehrer und liebe diesen sinnstiftenden und wichtigen Beruf. Genauso bin ich jetzt auch Schulleiter mit Leidenschaft, da es aus meiner Sicht kaum eine zukunftsrelevantere Institution als die Schule gibt.
Für mich ist Schule mehr als nur ein Job, für mich ist Schule mittlerweile eine Berufung. Ich möchte Schule weiterentwickeln und für das 21. Jahrhundert fit machen. Deshalb beschäftigt mich Schule über den Job hinaus, ich beschäftige mich auch in meiner Freizeit intensiv mit Schule und Bildung, zum Beispiel mit meinem Engagement bei DigitalSchoolStory, mit Fachliteratur, in sozialen Netzwerken oder auf dieser Website.
Was also Schule und Leben angeht, kann ich für mich festhalten: Ich lebe Schule und ich liebe es!

Abischerz 2024

Weitere Beiträge zur Blogparade:
Jan-Martin auf Halbtagsblog: https://halbtagsblog.de/2024/08/06/schule-leben/
Susanne: https://susanneposselt.de/schule-und-leben/

2024-22: Rede zum Abschlussfest Mittelstufe

An unserer Schule ist es gute Tradition neben dem Abiball mit akademischer Feier und Zeugnisausgabe auch ein Abschlussfest für die Mittelstufe zu veranstalten. Dort erhalten die Absolventinnen und Absolventen der Haupt- und Realschule ihre Abschlusszeugnisse und auch die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten des 10. Jahrgangs werden entsprechend gewürdigt. Ich wurde im Vorfeld gewarnt, dass die Reden der Schulleitung nicht allzu viel Aufmerksamkeit bekämen, daher habe ich mir etwas einfallen lassen und meine Rede kurz gehalten, auf allzu akademischen Duktus verzichtet und den Vortrag mit berühmten Memes illustriert. Ich glaube, das kam ganz gut an, daher habe ich beschlossen die Rede in meinem Blog zu veröffentlichen:

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Eltern, liebe Verwandte und Bekannte und alle anderen Anwesenden,

ich bitte euch und sie um einen Moment Aufmerksamkeit!

Ich finde, es ist eine schöne Tradition die Klassen H9, H10, R10 und G10 mit einer besonderen Veranstaltung zu verabschieden und damit zu feiern und zu würdigen. Das ist nicht selbstverständlich, sollte es aber sein.

Ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, habt so ca. 9 bis 10 Jahre Schule hinter euch. Manche haben noch ein paar Jahre vor sich, andere beginnen eine Ausbildung, machen ein FSJ oder erst mal Pause. In jedem Fall müsst Ihr eine Entscheidung treffen!

Diese Entscheidung ist nicht leicht, sie kann euer ganzes Leben prägen!

Ich kann euch aber auch beruhigen, das muss sie nicht. Es ist natürlich schön, wenn ihr jetzt schon euren Beruf gefunden habt und dieser auch eure Berufung ist. Das deutsche Schulsystem bietet allerdings viele Wege der Nachqualifizierung. Jede und jeder hier hat immer noch ganz viele Chancen sich neu zu erfinden und etwas Anderes zu machen. Ich hatte mal einen Schüler am Abendgymnasium, der war in Bayern auf einer Förderschule, hat nach einer Ausbildung am Abendgymnasium das Abitur nachgeholt, Wirtschaftsinformatik studiert und ist jetzt bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alles ist möglich, auch wenn die Bedingungen schwierig sind, am Ende habt ihr vieles in eurer Hand!

Vieles ist jetzt erst mal aufregend oder sogar furchteinflößend. Das ist völlig normal. Niemand von den zu ehrenden Schülerinnen und Schülern hier hat schon einmal eine Ausbildung oder ein Abitur gemacht. Es ist für euch alle das erste Mal! Wer davor keinen Respekt hat, möge sich nachher bei mir melden und mir sein Geheimnis verraten. Ich hatte mächtig Respekt, als es in die Oberstufe ging, als ich meinen Zivildienst angefangen habe, als es an die Uni ging und als ich mein Referendariat begonnen habe, als ich dann Lehrer wurde und erst recht, als ich letztes Jahr Schulleiter wurde. Das ist völlig normal. Aber nach einer gewissen Zeit, lebt man sich ein und die Ausbildung, der Job und seine Herausforderungen werden normal, man meistert seine Aufgabe.

Es wird aber auch nie alles glatt gehen. Einstein ist einmal sitzen geblieben, Gandhi hat mal Jura studiert, Stefan Raab ist eigentlich Metzger, Hugh Jackman war mal Sportlehrer und Party-Clown, Jay-Z Drogendealer, J.Lo Rechtsanwaltsgehilfin und ich habe mal Chemie studiert.

Wir alle machen Fehler oder gehen Umwege! Gerade, wenn wir etwas Neues anfangen. Lasst euch davon nicht beirren. Wir lernen aus Fehlern, wir dürfen nur nicht aufgeben. Habt ihr einmal beobachtet, wie ein kleines Kind laufen lernt? Richtig, es fällt ständig hin. Es käme aber nie auf die Idee nicht wieder aufzustehen und es immer wieder zu probieren. Und am Ende lernen wir eigentlich alle laufen. So ist es auch mit einer Ausbildung oder dem Abitur oder was auch immer noch kommt. Niemand kann etwas sofort, wir machen alle Fehler und das ist gut so. Steht dazu und lernt daraus!

Wichtig bei allen Herausforderungen, Siegen und Niederlagen, die unweigerlich auf euch zukommen ist: Bleibt euch treu, bleibt ihr selbst, oder , wie ich es schon in meiner Abirede auf Hip-Hop gesagt habe: Keep it real. Es kommen immer wieder verlockende Verführungen, diese können attraktiv, sogar sinnvoll sein. Bedenkt aber, ob sie es wert sind, dafür andere Dinge aufzugeben oder zu vernachlässigen. Eure Eltern, eure Familie, eure Freunde sind sehr wertvoll. Natürlich findet man im Leben neue Freundinnen und Freunde, aber, so ist zumindest meine Erfahrung, einige wenige Schulfreundinnen und -freunde, und die Familie meistens sowieso, bieten eine ganz besonders wertvolle Verbindung, die einen durch ein ganzes Leben tragen kann.

Auch, wenn ihr mal Mist gebaut habt, und ich weiß, dass das auf ein paar hier zutrifft, es ist nie zu spät das Richtige zu tun. Jede und Jeder hat in der Regel eine zweite Chance verdient und meine Erfahrung sagt, dass gerade die zweiten Chancen das Leben prägen. Manchmal kommen diese auf Einen zu, manchmal muss man sie sich erkämpfen. In jedem Fall solltet ihr sie ergreifen, wenn sie kommen.

Wie bereits gesagt, steht zu euren Taten und Fehlern, lernt daraus und macht es besser. Jetzt habe ich auch schon genug geredet, wir haben ein strammes Programm vor uns und es soll ja auch noch gefeiert werden.

Es ist schön, dass einige von euch noch bei uns bleiben und es ist schade, dass einige von euch uns verlassen. Ich hoffe, dass ihr die Weibelfeldschule, trotz alledem, in guter Erinnerung behaltet. Lasst von euch hören, wir Lehrer freuen uns immer zu hören, was aus euch geworden ist.

Feiert schön, lasst euch schön feiern und genießt den Abend, das Leben geht weiter und hat so viel zu bieten. Ich wünsche euch allen nur das Beste und mögen eure Träume und Wünsche in Erfüllung gehen!