Gestern und heute durfte ich wieder als Prüfer an mündlichen Prüfungen im Rahmen des 1. Staatsexamens für Lehrämter an meiner Alma Mater, der Goethe-Uni in Frankfurt, teilnehmen. Ich empfinde das tatsächlich als große Bereicherung, auch wenn einem nach sieben Protokollen am Stück die Hand weh tut. Interessant ist das, weil ich so noch einen Kontakt zur ersten Phase der Lehrkräfteausbildung habe und mitbekomme, was der aktuelle Forschungsstand zum Beispiel in der soziologischen Bildungsforschung ist. Ich erhalte aber auch Einblicke in mir fachfremde Bereiche, wie die Kinder- und Jugendbuchliteratur in der Grundschule. Meine beiden zentralen Erkenntnisse aus der aktuellen Prüfungskampagne sind:
In der Soziologie ist völlig klar, dass das gegliederte Schulsystem und die frühe Selektion nach der 4. Klasse nicht sinnvoll sind und die bestehenden Bildungsungleichheiten verstärken und reproduziert. Das ist durch die Studienlage, auch im internationalen Vergleich, gesichert. Diese Probleme sind strukturell verankert. Außerdem verändert die Digitalität Kindheit, indem sie neue Möglichkeitsräume schafft, aber auch zu einem Mangel an Orientierung und daher Verunsicherung führt. Der Übergang zur Wissensgesellschaft unterstreicht die Bedeutung von Bildung, was die Reproduktion von Ungleichheit noch dramatischer macht. Der frühkindlichen Bildung müsste deutlich mehr Bedeutung zukommen. Der Superdiversität muss mit individualisierten Lernprozessen begegnet werden. Die Studierenden wissen das!
Punkt 1. ist mir nicht völlig neu, wirklich spannend waren aber die Prüfungen zu (Post-)Moderner Kinderliteratur. Dort findet ein Wandel von moralisierender „Zeigefingerpädagogik“ zu Literatur mit Leerstellen und offenen Fragestellungen statt, zum Beispiel zu Themen wie Freundschaft oder Mobbing. Die Bilder- und Kinderbücher spiegeln dabei Aspekte der VUCA- und BANI-Welt wieder. Die Kinder werden mit Widersprüchlichkeiten, Volatiltät, Brüchigkeit und modernen Lebensformen konfrontiert, es geht um imaginäre Freundschaften und sexuelle Identitäten, natürlich kindgerecht.
Wir haben also, wie Stefan Ruppaner zurecht sagt, kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Und es gibt Hoffnung, weil die Studierenden das Wissen und sich auf Veränderungen einstellen. Außerdem schafft die Kinderliteratur die nötige Resilienz und Einsicht in die sich verändernde Realität. Jetzt muss nur noch Schule dort ankommen. Aber auch da sind wir dran!
Am 28. und 29. März durfte ich an der wunderbaren Albert-Schweitzer-Schule in Wetzlar bei der Veranstaltung Vision@Schule einen Workshop zu Schulentwicklung halten. Der Schwerpunkt lag auf der Initialisierung eines Entwicklungsprozesses und sollte Mut zum Aufbruch machen und Unterstützung dafür bieten. Angekündigt war der Workshop so:
Wir müssen etwas ändern! Aber Wie? Die Perspektive der Schulleitung. Viele Schulleitungen fühlen instinktiv, dass sich etwas im Schulsystem verändern muss. Aber wie geht das? Wo fängt man an? Was sind die Voraussetzungen? Worauf muss man achten? Was darf man und was nicht? Wie binde ich die Schulgemeinschaft ein? Fragen über Fragen… Ich möchte in dem Workshop mit Mitgliedern von Schulleitungen über Veränderungsprozesse und Visionen im Rahmen von Schulentwicklung ins Gespräch kommen und Handlungsoptionen für erste Schritte entwickeln. Jede Schule ist anders und braucht einen individuellen Ansatz. Im Workshop entwickeln wir, nach einem knappen Input, gemeinsam solche konkreten Ansätze und geben uns dazu Feed Forward.
Der Vortrag steht unten als Download zur Verfügung. Insgesamt war die von Astrid Kalantzis und ihrem Team organisierte Veranstaltung ein wunderbares Treffen zum Vernetzen und Austauschen. Das Programm aus Workshops mit Ulrike und Kristin van der Meer, Daniel Steh, Stephanie Lanfermann, Heidi Giese, Susanne Schäfer uvm. und Keynotes von Ferdinand Stebner, Stefan Ruppaner, Steven Bauer und Bob Blume war hochkarätig besetzt. Die zwei Tage waren voller Inspiration und Kraft, sie haben Mut zur und Lust auf Veränderung gemacht. Es zeigt sich, dass wir mehr werden, die Schule anders und besser machen wollen. Wenn wir unser Land wieder enkelfähig machen wollen und ein perspektive für die Zukunft eröffnen wollen, dann müssen wir Schule verändern und dazu braucht es Veranstaltungen wie diese. Für mich persönlich war das Highlight Stefan Ruppaner getroffen zu haben und mich mit ihm auch persönlich beim Frühstück mit den van der Meers und Steven Bauer austauschen zu können.
Ich danke Astrid und ihrem Team für zwei tolle und inspirierende Tage in Wetzlar!
Am 18.03.2025 waren die acht in diesem Schuljahr neu zertifizierten Selbstständigen Schule (SES) nach Wiesbaden in das Hessische Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen (HMKB) eingeladen. Was genau eine SES ist, wird hier erklärt: https://www.schulmun.de/2024/06/14/newsletter-17-14-06-2024/. Neben der Verleihung der Ernennungsurkunde zur SES haben die acht Schulen kurz ihre Entwicklungsschwerpunkte vorgestellt, die sie für die Zertifizierung entwickeln müssen. Die Veranstaltung wurde vom zuständigen Referatsleiter des Referat III.A.2 für Haupt-, Real- und Mittelstufenschulen, Gesamtschulen, Schulen für Erwachsene und selbstständige allgemein bildende Schulen (SES), Herrn Timo List, eröffnet und vom zuständigen Referenten Markus Geißelmann moderiert. Zum Schluss machte sogar noch der Staatsminister Armin Schwarz persönlich seine Aufmachung, beglückwünschte die Anwesenden Schulleitungen und betonte die Möglichkeiten und seine persönliche Unterstützung der SES. Interessant war bei den Präsentationen zu beobachten, dass sich viele Schulen mit individualisierten und selbstorganiserten Lernformen und mit Lesefähigkeit beschäftigen.
Heute geht es um einen meiner persönlichen Schwerpunkte, die Medienkompetenz im weitesten Sinne und dazu um das in Hessen geplante Handyverbot im engeren Sinne. Vorweg: Ich bin der Überzeugung, dass wir anfangen müssen Schule komplexer zu denken (https://www.schulmun.de/2025/01/15/2025-o4-wird-schule-hyperkomplex-oder-sogar-unser-ganzes-leben/). Wir müssen Medienbildung, Demokratiebildung, soziales Lernen und alle möglichen Präventionskonzepte zusammen denken, um den aktuellen Herausforderungen, wie dem Segen und dem Fluch des Smartphones, gerecht zu werden. Ich würde mittlerweile sogar so weit gehen, dass wir Medien- und Demokratiebildung absolut priorisieren müssen (https://www.schulmun.de/2024/04/18/2024-13-mehr-medienbildung-jetzt/). Wenn es uns nicht gelingt, die Schülerinnen und Schüler gegen Fakenews und demokratiezersetzende Kampagnen aus dem In- und Ausland zu wappnen, brauchen wir uns auch keine Gedanken mehr um den richtigen Mathematik- oder Deutschunterricht zu machen. Autokratie und spaltender Populismus erleben im Moment global eine Renaissance, der wir uns entgegenstellen müssen. Insofern ist das in Hessen kommende Verbot der privaten Handynutzung an hessischen Schulen, meiner Meinung nach, eine richtige Übergangslösung. Ich habe lange um diese persönliche Position gerungen. Natürlich wäre es wünschenswert, dass unsere Kinder verantwortungsvoll mit einem Smartphone umgehen können und natürlich ist es Aufgabe der Schule, aber auch der Eltern, ihnen das beizubringen. Das soll und muss auch unser Ziel bleiben. Aktuell funktioniert das aber, mangels Ressourcen und Kenntnis noch(!) nicht. Die Studienlage ist recht eindeutig und wurde in meinem Newsletter immer wieder zitiert, Handys lenken ab, beeinträchtigen die Salutogenese und das Sozialleben. Ich beobachte jeden Tag, wie viele Schülerinnen und Schüler, gerade aus den jüngeren Jahrgängen, in jeder Pause Browsergames spielen, die Fälle von Mobbing und pornographischen Bildern in Gruppenchats, auch hier wieder vorwiegend bei den jüngeren Jahrgängen, nehmen sichtbar zu. Um dem wenigstens in der Schule Herr zu werden, kann das Handyverbot helfen. Wichtig ist aber auch, dass die Familien die Schulen dabei unterstützen. Es ist die Aufgabe der Sorgeberechtigten darauf zu achten, dass entsprechende Altersfreigaben und Jugendschutzbestimmungen eingehalten werden. Es ist wichtig, dass in den Familien ein Vertrauensverhältnis herrscht und über alles, was im Internet und auf dem Handy passiert gesprochen werden kann. Das Handy wegzunehmen ist keine Option, weil so genau dieses Vertrauensverhältnis ziemlich sicher zerstört wird. Wir müssen natürlich anerkennen, dass das Handy auch ein zentrales Kommunikationsmittel unserer Schülerinnen und Schüler ist, hier werden Verabredungen getroffen, hier findet der alterstypische Austausch statt und hier finden auch Sozialisation und Adoleszenz statt. Und die damit verbundenen digitalen Kompetenzen sind unerlässlich für unsere heutige Gesellschaft und für unsere Zukunft. Es muss uns aber auch gelingen, diese digitalen Kompetenzen zu vermitteln, diese müssen natürlicher Bestandteil der Erziehung und des Lehrplans werden, wie es Verkehrs- oder Sexualerziehung sind. Solange das noch nicht der Fall ist, macht ein privates Nutzungsverbot für Handys an der Schule Sinn. Natürlich heißt das nicht, dass Handynutzung in der Schule kategorisch ausgeschlossen werden soll, das sieht auch der hessische Gesetzentwurf nicht vor. Das Handy muss natürlich im Unterricht, nicht zuletzt zur Medienbildung, bei kompetenter Anleitung durch die Lehrkräfte nutzbar bleiben. Natürlich muss das Handy auch für medizinische Zwecke und gebotene Nachteilsausgleiche erlaubt bleiben. Hinzu kommt, dass wir uns in den sozialen Medien und im Internet noch in einer gesetzlosen „Wild West-Zeit“ bewegen. Es gibt keinen wirksamen Jugendschutz. Übelste Pornografie und Gewaltdarstellungen sind nur wenige Klicks entfernt und der Reiz ist natürlich bei vielen Kindern da, das Verbotene zu sehen. Auf Reddit und Twitch lauern Pädophile, auf Instagram kann man Nazis und anderen Verfassungsfeinden folgen und auf TikTik geben sich Islamisten ein fröhliches Stelldichein. Vielen ist, glaube ich, gar nicht bewusst, welche Gefahren im Netz lauern, die es so einfach zugänglich in der analogen Welt nicht gab und auch nicht gibt. Recht eindringlich wird das in diesem Video von Klicksafe dargestellt: https://www.youtube.com/watch?v=tixkem59YZs. Hier Bedarf es auf der einen Seite Aufklärung von Eltern und Jugendlichen und eine Stärkung der Resilienz, auf der anderen Seite aber auch staatliche Regulierung und ein Zwang zur Verantwortungsübernahme durch die Techunternehmen, die hinter den Netzwerken stehen. Es gibt technische Lösungen wirksameren Jugendmedienschutz auch im Internet zu betreiben. Was wir also brauchen, ist ein Moratorium durch das Handyverbot, um die so entstehende Zeit zu nutzen, die Schulen, Elternhäuser und die staatliche Regulierung so aufzustellen, dass im Internet und den sozialen Medien ein ähnlich wirksamer Schutz und ein Präventionssystem entstehen wie im Bereich der Suchtprävention oder im Straßenverkehr. Diese Vergleiche zeigen aber auch, dass es keinen vollumfänglichen Schutz geben kann, das Leben ist und war immer mit einem Restrisiko verbunden, wir sind es unseren Kindern allerdings schuldig, dieses Restrisiko so gut wie es nur geht zu minimieren. Manche Schulen sind bereits jetzt so weit, dass sie kein Handyverbot mehr brauchen, manche haben bereits schon länger Handyverbote, letztlich muss jede Schule ihren eigenen Weg finden und differenziert mit den Ansprüchen der verschiedenen Altersgruppen umgehen. Unser aller Ziel muss es aber sein Handyverbote überflüssig zu machen, weil wir ein System geschaffen haben, in dem wir zur verantwortungsvollen Nutzung befähigt haben. Dazu brauchen wir mehr Qualifikation bei den Lehrkräften und die Unterstützung der Elternhäuser, aber auch staatliche Regulierung. Wenn uns das gelungen ist, brauchen wir kein Handyverbot mehr. Packen wir es an.
unser Jahrgang 7 nimmt bis zu den Sommerferien am Programm DigitalSchoolStory (DSS) teil, finanziert durch die Initiative „Zukunft mitgemacht“ (https://zukunftmitgemacht.de/digitalschoolstory-24/). DSS wurde während der Corona-Zeit von Nina Mülhens und Siegfried Baldauf gegründet und verfolgt einen innovativen Ansatz zur Förderung von Medienkompetenz und kreativem Lernen (https://digitalschoolstory.de/). Ich selbst habe die Ehre, Teil des Expert:innen-Hubs zu sein.
Bereits im letzten Jahr haben zwei 6. Klassen an DSS teilgenommen – und die Begeisterung der Schülerinnen und Schüler war enorm! Doch warum ist dieses Format so wertvoll für unsere Schule?
DigitalSchoolStory – Lernen im 21. Jahrhundert DSS zeigt eindrucksvoll, wie moderne Bildung funktionieren kann. Es fördert selbstständige Lernprozesse auf mehreren Ebenen und stärkt die Selbstwirksamkeit der Lernenden.
Das Konzept ist einfach und wirkungsvoll: Über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen (18 Schulstunden) erstellen die Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen ein Video im TikTok-Stil (max. 60 Sekunden). Dabei folgen sie einem strukturierten Prozess: ✅ Lehrkräfte erhalten ein digitales Onboarding und passendes Unterrichtsmaterial. ✅ Schülerinnen und Schüler entwickeln eine Idee, ein Storyboard und setzen ihr Video um. ✅ Professionelles Feedback gibt es von bekannten Content-Creators (z. B. Papa Basti und Monumentalmo im letzten Jahr). ✅ Die Inhalte sind an den Lehrplan angebunden, sodass Unterrichtsthemen kreativ und praxisnah vertieft werden.
Doch DSS geht weit über die reine Videoerstellung hinaus:
🔹 Medienkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler lernen, Videos zu schneiden, Inhalte aufzubereiten und sich kritisch mit der Funktionsweise von Social Media auseinanderzusetzen. 🔹 Kollaboration & Kommunikation: Sie arbeiten in Teams, müssen Ideen entwickeln, diskutieren und gemeinsam Lösungen finden. 🔹 Kreativität & kritisches Denken: Sie gestalten innovative Inhalte und setzen sich mit digitalen Medien reflektiert auseinander. 🔹 Selbstwirksamkeit: Wenn ihr Video schließlich fertig ist und ein Thema in kurzer, ansprechender Form vermittelt, erleben sie direkt den Erfolg ihrer Arbeit.
Diese Fähigkeiten sind laut OECD für die Arbeitswelt der Zukunft entscheidend. In einer Zeit, in der Wissen nicht mehr mühsam zusammengesucht werden muss, sondern die Fähigkeit, es zu verstehen, zu verknüpfen und zu präsentieren immer wichtiger wird, bietet DSS einen idealen Rahmen für zeitgemäßes Lernen – und es macht auch noch Spaß!
Ich freue mich sehr, dass unser Jahrgang 7 an diesem großartigen Projekt teilnimmt und bin gespannt auf die kreativen Ergebnisse!
Ihr
Erik Grundmann
Und hier wieder als Angebot, ein paar Links, Tipps und Empfehlungen:
Leseempfehlung Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen; Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren, Berlin 2019. Julia Ebner ist Undercover und digital in extremistischen Milieus unterwegs (zum Beispiel Hacker, Terroristen, Trolle, Fundamentalisten und Verschwörer, Alt-Right-Bewegung oder Islamischer Staat), sie zeigt, wie die Netzwerke funktionieren und manipulieren. Das Buch gibt es übrigens auch günstig bei der BpB: https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/308408/radikalisierungsmaschinen/.
Veranstaltungsempfehlung Läuft zwar schon, der Summit der Pioneers of Change, kann sich aber für Kurzentschlossene trotzdem lohnen: https://pioneersofchange-summit.org/terminplan/. Außerdem: Bei FelloFish gibt es immer wieder interessante Online-Veranstaltungen.
Wir wissen, dass soziale Medien von Empörung leben, Zuspitzungen, Fakenews, Halb- und Ganzwahrheiten treiben den Algorithmus an und führen zu Klicks. Klicks sind die Währung und fördern den Profit. Wir diskutieren auch, inwiefern soziale Medien die psychische und physische Gesundheit beeinflussen (hier mehr dazu: https://www.schulmun.de/2024/04/18/2024-13-mehr-medienbildung-jetzt/). Wir wissen, dass Jugendliche und junge Erwachsene ihre Informationen zunehmend aus dem Netz beziehen (vgl. zum Beispiel: https://www.schulmun.de/2025/02/16/blog-2025-06-vortrag-didacta-zu-demokratie-some-und-ki/), wir wissen, dass sie nur begrenzt in der Lage sind Fakten zu checken und viele Fakenews ungeprüft weiterleiten und so die Reichweite erhöhen. Ein kürzlich stattgefundener Diskurs mit jungen Erwachsenen um den Konflikt zwischen Israel und der Hamas hat mir aber noch einmal vor Augen geführt, wie zerrüttet die Diskursfähigkeit bereits ist. Die klassischen Medien werden nicht mehr ernst genommen und als staatlich gesteuert und ideologisiert wahrgenommen. Versuche faktenbasierter Argumentation werden zur Meinung degradiert und man hat halt einfach eine andere. Begründet wird zum Teil mit Fakenews und extremistischen Narrativen aus den sozialen Medien. Quellen gelten als seriöser und wahrhaftiger, wenn sie von „vor Ort“ kommen, also zum Beispiel aus dem Gaza-Streifen oder der Ukraine. Überhaupt sind die Konflikte in Israel das Gleiche wie der Krieg in der Ukraine. Emotionen und Moral laden den Diskurs auf, unter geköpften Babys geht es nicht mehr. Nicht zuletzt das Wahlergebnis der Bundestagswahl hat noch einmal die Macht der sozialen Medien unterstrichen. Wenn wir davon ausgehen, dass spätestens mit dem Übergang in die weiterführende Schule all diese Informationen verschiedenster Qualität in Form von Text, Bild und Video über unsere Kinder kommen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Diskurs später nicht mehr möglich und voller Gift ist. Russland, die Hamas, der IS und andere haben das verstanden und nutzen das aus, sie schütten dieses Gift über uns und unseren Kindern aus und wir lassen es geschehen. Wenn wir nicht bald das Ruder rumreißen, sind Meinungen gefestigt und nicht mehr diskursfähig. Ich kann es immer nur wieder wiederholen: Wir brauchen mehr Medienbildung. Jetzt! Und wahrscheinlich auch mehr staatliche Regulierung. Weil es so nicht mehr geht.
Ergänzung nach Veröffentlichung: Weil es dazu Nachfragen gab: Das ist nicht die Schuld der Kinder und der Jugendlichen, das ist die Schuld derer, die das ignorieren, nicht wahrnehmen (wollen) und nichts tun.
Ich durfte am vergangenen Freitag auf dem „KI-Klassentreffen“ von fobizz einen Workshop halten. Thema war „Neue Lern- und Prüfungskultur mit KI. Warum KI in Schule alles verändert? Oder auch nicht?“, die zugehörige Präsentation gibt es unten auf der Seite.
Mir sind beim Workshop zwei Dinge noch einmal klarer geworden, die mich hoffnungsfroh stimmen.
Das Bedürfnis nach konkreten Ideen und Anleitung für die Lern- und Prüfungskultur mit KI ist riesig, aber auch schwer zu befriedigen. Sicher gibt es schon ein paar Beispiel, wie meine Open-Book-Klausur mit KI (https://www.schulmun.de/2025/01/06/2024-28-open-book-klausur-mit-ki-nutzung-ein-erfahrungsbericht/). Aber gerade dieser zeigt auch, dass wir hier noch im Bereich des Ausprobierens sind. Viele Kolleginnen und Kollegen experimentieren mit KI-Tools, produzieren Memes zu aktuellen Themen mit Bildgeneratoren oder Chatbots zu Künstlern oder historischen Themen uvm. Im Grund gelten hier immer noch die berühmten 4A von Doris Weßels, die in ihrer Keynote auch noch einmal bestätigt hat, dass die Entwicklung rasant ist. Die „4A“ von Doris Weßels sind, aufklären, ausprobieren, akzeptieren, aktiv werden: „Aufklären, also Informationsveranstaltungen anbieten, um alle Lehrenden ins Boot zu holen. Das zweite A: Bitte selbst ausprobieren. […] Das dritte A: Akzeptieren. Man muss sich daran gewöhnen, dass das keine Eintagsfliege ist, die morgen wieder weg ist. Das ist irreversibel und wird rasant weitergehen. […] Das vierte A: Wenn wir das erlebt haben, wird es automatisch zu einer Diskussion kommen. […] Das bedeutet, wir werden aktiv.“ (zitiert nach: https://hochschulforumdigitalisierung.de/chatgpt-in-hochschulen-aufklaeren-ausprobieren-akzeptieren-aktiv-werden-interview-mit-prof-dr-doris-wessels/) Tun Sie sich in den Schulen zusammen und arbeiten sie gemeinsam mit den 4A, ich würde als 5. A, auch wenn es im 4. steckt, noch austauschen nennen. Wir müssen uns von den curricularen Vorgaben soweit lösen, dass wir mit den rasanten Entwicklungen Schritt halten können. Eine aktuelle Bürokratielogik in einem Ministerium kann das nicht, wie auch die Diskussionen um Handreichungen zu Prüfungsformaten im Zeitalter von KI gezeigt haben. Das ist kein Vorwurf und keine Anklage, sondern in der Sache begründet. Deswegen kam ich in dem Workshop auch zu folgender These: KI hebt Bildung und Schule auf ein neues Level. Lernen und Lehren wird noch anspruchsvoller, weil wir uns noch stärker auf der Kompetenzebene bewegen werden. KI ist ein Katalysator für Veränderung. Und das ist, finde ich, ein hoffnungsvolle Botschaft. Auch wenn es anstrengend wird, mit Rückschlägen verbunden ist und wir uns von lieb gewordenen Vorstellungen verabschieden müssen, KI stößt notwendige Veränderungen im System an.
Der zweite Punkt hat nicht nur mit dem Workshop zu tun, ist mir aber dort noch einmal deutlicher geworden. Ich hatte zu Beginn gesagt, dass ich nicht genau wusste, was die Bedürfnisse der Teilnehmenden waren und dass ich flexibel sei. So kam es dann auch dazu, dass wir das Ausprobieren von KI-Tools haben sein lassen, dafür aber in eine Diskussion über die Auswirkungen auf Lern- und Prüfungskultur gegangen sind. Diese Diskussion hat noch einmal verdeutlicht, dass wir (noch?) keine Antworten auf viele Fragen haben, schon gar nicht zu Details. Gleichzeitig hat die Diskussion aber deutlich gemacht, dass wir anfangen die meiner Meinung nach richtigen Fragen zu stellen: – Wie können wir moderne Prüfungsformate gestalten? – Wie prüft und bewertet man Kompetenzen? – Wie gestalten wir Lernprozesse? – Welchen Sinn haben die klassischen Bewertungsinstrumente noch? – Was ist (eine) Leistung? – uvm. Das sind, glaube ich, genau die richtigen Fragen, die wir brauchen, um das Bildungssystem zukunftsfähig zu machen und die uns letztlich zu notwendigen Veränderungen zwingen.
Außerdem macht mir gerade noch Folgendes Hoffnung: Letzte Woche fand eine Fachkonferenz Geschichte an unserer Schule statt. Ich kam leider zu spät, weil ich noch bei einer Klassenkonferenz dabei sein musste. Aber auch da wurden im Grunde genau die gleichen Fragen diskutiert, die ich oben skizziert habe. Dazu kam noch der Gedanke, dass Geschichtsunterricht auch Medien- und Demokratiebildung beinhalten muss, das freut mich natürlich besonders. Und zum Schluss macht mir das Buch von Stefan Ruppaner ganz viel Hoffnung, weil er dort erklärt, zu was Schule in der Lage ist, wenn man das möchte (eine kurze Rezension gibt es im Newsletter 24/25-12).
Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 und 2025 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema sind unter dem Beitrag zu finden. Zusätzlich hat Susanne Posselt hier eine beschreibbare Taskcards-Pinnwand erstellt. Die gibt’s hier.
Ich überlege schon länger, was ich zu diesem Thema beitragen kann und muss gestehen, dass das für mich persönlich ein etwas blinder Fleck ist. Natürlich versuche ich in der Schule Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Kollegium Möglichkeiten zur Gesunderhaltung schaffen, so schwer das in unserem Job ist. Wir nehmen an einem Zertifizierungsprogramm des Ministeriums teil, welches Bewegung und Achtsamkeit für alle in Schule fördern soll, ich führe aktuell jede Woche sogenannte Integrationsgespräche mit Kolleginnen und Kollegen, die eine hohe Anzahl an Krankheitstagen haben, um Möglichkeiten auszuloten deren Dienstfähigkeit zu erhalten. Am Ende gehört das aber auch zu den Aufgaben, für die ich nicht ausgebildet bin und von denen ich nicht wirklich Ahnung habe. Ich weiß, das viele Kolleginnen und Kollegen hohe Belastungen haben, die sicher nicht gesund sind, dass es keine geregelten Pausenzeiten oder vernünftige Rückzugsmöglichkeiten gibt. Ich weiß, dass wir unter entgrenzten Arbeitszeiten leiden und zunehmend mit Schicksalen konfrontiert werden, mit denen wir schwer zurecht kommen und oft genug alleine gelassen sind. Ich weiß auch, dass ich als Schulleiter viele Kolleginnen und Kollegen mit Konferenzen, Klassenkonferenzen, Berichten, Stundenplanänderungen, Lerngruppenwechseln und vielem mehr belaste, habe aber oft keine Ideen, wie ich das entlastender gestalten kann. Wir brauchen alle echte Entlastung zur Erhaltung unserer Gesundheit. Wir müssen wirklich Dinge abschaffen, alles muss auf den Prüfstand: Förderpläne, Halbjahreszeugnisse, Klassenarbeitszahlen, Lehrplaninhalte, Dokumentationspflichten usw. Studien zeigen ja, dass nicht nur die Gesundheit der Lehrkräfte leidet, sondern auch die der Schülerinnen und Schüler.
Und zuletzt bin ich bei der Gesunderhaltung auch kein gutes Vorbild. Und arbeite deutlich mehr Stunden als ich muss, ich lege Termine in die Mittagspause, Esse am Computer, zu viel und zu ungesund. Ich treibe zu wenig Sport und sitze zu viel am Schreibtisch. Anders ist das Pensum aber oft kaum zu bewältigen, zumal ich ja auch noch daran interessiert bin, Schulentwicklung zu betreiben, für eine hoffentlich bessere Zukunft. Auch bei den Aufgaben für Schulleitungen bedarf es der Deimplementierung.
Am Ende stelle ich fest, dass dieses Thema der Blogparade eines ist, zu dem ich keinen wirklich konstruktiven Beitrag leisten kann. Das ist eigentlich eine Katastrophe.
Ich habe vorgestern meinem Stellvertreter gegenüber die Sorge geäußert, dass jetzt der anstrengende Teil des Schulentwicklungsprozesses beginnt, dass wir jetzt durch das berühmte „Tal der Tränen“ in der Change-Kurve nach Kübler-Ross müssten. Er hat das verneint und ist der Meinung, dass wir das schon hinter uns hätten und schon im Aufstieg des „Berges der Veränderung“ seien. Ich wollte erst noch widersprechen, habe dann aber gemerkt, dass der Wahrnehmungsfehler auch bei mir liegen könnte. Er meinte, dass ich da wohl im ersten Jahr zu sehr in meinem persönlichen Ankommensprozess gefangen war, dass ich das überhaupt nicht so richtig mitbekommen habe. Der Vorsitzende des Personalrates hat das heute bestätigt und ich beginne das jetzt auch zu glauben und zu hoffen. In der Tat haben wir ja, wie in diesem Blog beschrieben, schon viel erreicht, vor allem haben wir die Idee der Veränderung in die Breite getragen und vermutlich viele Denkprozesse ausgelöst. Wir arbeiten gleichzeitig an mehreren produktiven Baustellen und beginnen erste Erfolge einzufahren. Wir haben Prozesse demokratisiert und sind dabei eine gemeinsame Vision von Schule zu entwickeln. Natürlich haben wir noch Einiges an Weg vor uns, aber eben auch schon hinter uns.
Heute fand das erste Treffen der DNA-Gruppe statt. Diese soll ein Spiegel der Schulgemeinschaft sein und Entwicklungsprozesse vorentlasten, indem diese dort diskutiert werden und wir so erkennen können, wie die Schulgemeinschaft auf geplante Veränderungen reagieren wird. In der Gruppe sind drei Schülerinnen und Schüler, zwei Eltern und 15 Lehrkräfte aus verschiedenen Zweigen und mit verschiedenen Vorstellungen. Die Stimmung war gelassen und konstruktiv und in den ersten Sitzungen geht es darum Werkzeuge zur Steuerung des Entwicklungsprozesses kennenzulernen und ein Selbstverständnis zu entwickeln. Ein erstes Brainstorming hat gezeigt, dass sehr viele interessante Entwicklungsideen vorhanden sind, die im letzten Jahr aufgekommen sind. Bei uns wissen mittlerweile alle, was ein „Freiday“ oder ein Lernatelier ist, es ist denkbar partiell auf Noten zu verzichten oder Unterricht zu öffnen, wir diskutieren über Deimplementierung, Qualitäts- und Projektmanagement, professionelle Haltung uvm. Das ist nicht selbstverständlich und ist in vielen Systemen leider tabuisiert. Es ist also ein deutlicher Professionalisierungsprozess im Bereich moderner Schulentwicklung zu erkennen. Ich freue mich, dass wir so viele tolle Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler und Eltern haben, die so viel Engagement und Kraft aufbringen, die bereit sind ein paar Extrameilen zu gehen, um unsere Schule voran zu bringen, das motiviert mich ungemein. Bei all den Zweifeln und all dem Unbill die mit dem Jahresstart über uns kamen und die mich etwas schwermütig zurückgelassen haben, stimmt mich die Entwicklung an der Schule positiv, trotz alledem! Eine Kollegin hat wohl gesagt, dass 2025 unser Jahr werde. Ich kann es mir vorstellen!
Ich habe heute mit meinem ehemaligen Chef telefoniert und er hat mir erzählt, dass er im Moment gerne den Begriff „unterkomplex“ gebraucht, aus Gründen. Mir ist daraufhin eingefallen, dass ich im letzten Mai bereits einen Blogartikel geschrieben habe, in dem ich feststelle, dass wir Schule unterkomplex organisieren, was ich daran festmache, dass wir viele Konzepte für einzelne Themen (Demokratiebildung, Medien, Sucht- und Gewaltprävention usw.) schreiben, die alle schön nebeneinander stehen. Eigentlich müssten diese aber alle zusammengedacht werden, da sie inhaltlich zusammenhängen, diese Zusammenhänge also komplexer sind als wir sie in den Konzepten abbilden und dass deshalb diese Konzepte oft wirkungslos bleiben. Diese Beobachtung bedeutet natürlich im Umkehrschluss, dass die in der Schule und überhaupt abgebildete Realität komplexer wird. Diese Vorstellung ist ja nicht neu und bestimmt den öffentlichen Diskurs schon länger, vermutlich seit Beginn der Neuzeit, mit dem auch technische und wissenschaftliche Entdeckungen sich beschleunigend zunehmen. Dies führt natürlich zu gesellschaftlichen Verwerfungen, zu so genannten Disruptionen, Brüchen, die nicht ohne Konflikte vonstatten gehen. Frederic Laloux spricht in seinem Buch „Reinventing Organisations“ vom erreichen einer neuen Evolutionsstufe, Andreas Reckwitz von einer Gesellschaft der Singularitäten, wir ordnen uns ins Zeitalter der Postmoderne ein, Colin Crouch hat zur Jahrtausendwende den Begriff der Postdemokratie geprägt und immer wieder ist die Rede, auch in meinen Beiträgen, von einer VUCA- oder BANI-Welt, diese Akronyme enthalten ja die Begriffe Komplexität und Unbegreiflichkeit. Aladin El Mafaalani spricht im Bezug auf Schule immer wieder von Superdiversität im Klassenzimmer und meint damit eine Steigerungsform der allseits bekannten Heterogenität der Lernenden, mit der es Schulen zu tun haben. Die psychischen Belastungen der Schülerinnen und Schüler nehmen zu, die Anzahl der Inklusionsfälle, der Förderpläne, die curricularen Inhalte, die Forderung nach neuen Fächern, die Dokumentationspflichten, die Rechtsverordnungen, die statistischen Erfassungen, die Datenschutzformulare, die zu erstellenden Konzepte und so weiter. All das sind Symptome einer zunehmenden Komplexität in der Schule im Besonderen und in der Gesellschaft im Allgemeinen. All dies führt zu einer Überforderung der einzelnen Akteure in den Schulen, aber auch in der Gesellschaft (und da haben wir noch gar nicht über internationale Politik oder den politischen Diskurs in Deutschland im Besonderen gesprochen, was ich an dieser Stelle auch ausspare beziehungsweise im Epilog anspreche). In jedem Fall führt diese zunehmende Überforderung der Einzelnen, die der oder die Einzelne ja auch nicht so ohne weiteres zugeben kann, zu mehr Konflikten und Vandalismus in Schule und Gesellschaft und zu mehr Krankheitstagen und Burnout. Irgendwo muss dieses Gefühl der Überforderung und Getriebenheit ja auch hin. Gleichzeitig, und das zeigt zum Beispiel der aktuelle Wahlkampf, verspricht man uns, das alles zumindest so bleibt wie es ist, oder, besser noch, so schön wird, wie es früher einmal gewesen sein soll. Natürlich wünschen wir uns eine vermeintliche Einfachheit (und Unschuld) zurück, die es so wahrscheinlich nie gegeben hat. Natürlich ist es einfacher, wenn wir den Klimawandel einfach ignorieren und uns glauben machen, dass mit der Rückkehr der Atomkraft Energie billiger und umweltfreundlicher wird. All das sind verständliche Reaktionen auf die zunehmende Komplexität der Welt. Aber insgeheim wissen oder spüren die meisten Menschen instinktiv auch, das hoffe ich zumindest, dass es so nicht funktionieren wird. Also müssen wir uns der Komplexität stellen, wir müssen einsehen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, dass es Anstrengungen bedarf unseren Wohlstand und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu erhalten. Das Versprechen eines vermeintlich immer einfacheren Lebens mit immer mehr Wohlstand und Konsum geht nicht mehr auf, wir brauchen eine neue Vision, einen neuen Konsens. Zurück zu meinem eigentlichen Thema. Für Schule und Bildung bedeutet das, dass wir eine neue Form von Bildung und Erziehung entwickeln müssen, die noch mehr das Miteinander und einen bewussten Konsum in den Fokus nimmt. Demokratie- und Menschenbildung, dazu Medienkompetenz und Resilienztraining, kritisches Denken und Kompetenzen in Kommunikation und Kollaboration, kreativer Umgang mit Herausforderungen und so weiter müssen im Vordergrund stehen und kein Prüfungs- und Fächerkult.
Epilog Ich habe leider Zweifel, dass uns das nötige Umdenken aktuell gelingen kann und das hat mit einer Beobachtung zu tun, die ich jeden morgen auf meinem Schulweg mache, wenn ich die Darmstädter Straße überquere und die Wahlplakate am Gitter der Brücke über den Hengstbach sehe und unser aktueller Bundeskanzler darauf „Mehr für Dich“ verspricht (andere Parteien versprechen das auf ähnliche Weise). Dieses Versprechen ist aus wahlkämpferischer Sicht verständlich, wer würde schon eine Partei wählen, die weniger verspricht. Aber eigentlich müssten wir genau darüber sprechen. Wir werden weniger Renten bekommen, wir werden weniger konsumieren müssen, wir werden weniger Reisen können, wir werden uns im Allgemeinen mit weniger zufrieden geben müssen, alleine schon weil die Ressourcen knapper werden und weil die Gesellschaft einem demographischen Wandel unterliegt. Insofern ist auch das Versprechen „Mehr für alle“ eine viel zu einfache Antwort auf die komplexen Probleme mit denen wir konfrontiert sind. Das gilt für viele andere Versprechen im Wahlkampf genauso. Der Schlüssel für die Lösung unserer Probleme ist eine andere Bildung. Wenn wir den nächsten Generationen schon einen ausgebeuteten und geschundenen Planeten mit fragmentierten Gesellschaften in einer gegebenenfalls neoimperialistischen Weltordnung hinterlassen, sollten wir ihnen wenigstens schon jetzt eine Bildung zukommen lassen, die sie in die Lage versetzt mit dieser Hinterlassenschaft umzugehen.
Redaktionelle Anmerkung In einer ersten Version des Artikels wurde im Epilog der Slogan auf dem Wahlplakat falsch zitiert („Mehr für alle“). Die korrekte Version verändert die inhaltliche Aussage aber nicht.