Blog 2025-15: Exodus aus dem Schulsystem?

In der Lehrkräftebubble tut sich diesen Sommer etwas. Bob Blume, Gert Mengel und Silke Müller verlassen den Schuldienst oder lassen sich beurlauben. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, die in den sozialen Medien aufgeploppt ist. Wer danach sucht findet noch zahlreiche weitere Fälle.
Isabell Probst hat mittlerweile zahlreich Nachahmerinnen und Nachahmer bekommen, die Lehrkräfte beraten, die darüber nachdenken „das System“ zu verlassen.
Auf Facebook gibt es zwei Gruppen „Lehrer auf Abwegen“ mit 11,5 und knapp 17 Tausend Mitgliedern.
Was einst als undenkbar galt, einen sicheren Beamtenjob zu kündigen, ist nichts Ungewöhnliches mehr.
In Baden-Württemberg hat sich die Zahl der Kündigungen in den letzten zehn Jahren verzehnfacht (Quelle).
In NRW haben 2023 fast 1.000 Lehrkräfte gekündigt; 2024 waren es etwas weniger. Darunter waren neun Schulleitungen. Viele waren unter 40 Jahre alt (Quelle).
Auch in Hessen haben die Zahlen stark zugenommen. Waren es 2018 noch 140 Kündigungen (Beamte und Angestellte), stieg die Zahl bis 2022 auf 228, bei den Beamten stieg die Zahl sogar von 39 auf 122 im betrachteten Zeitraum (Quelle).

Im Vergleich zu den Gesamtzahlen sind das (noch?) relativ kleine Zahlen. Baden-Württemberg hat über 75 und NRW sogar über 170 Tsd. Lehrkräfte, in Hessen sind es über 67 Tausend (Quelle). Dennoch sollte es zu denken geben, wenn Menschen es hinnehmen auf Pensionsansprüche zu verzichten, um dem Schulsystem den Rücken zu kehren.
Natürlich sind die Gründe vielfältig. Das kann mit dem Wunsch oder der Chance nach beruflicher Veränderung zu tun haben, wie bei Silke Müller und Gert Mengel, die dem Bildungssystem im erweiterten Sinne erhalten bleiben, das kann mit dem Wunsch nach Studium und Vertiefung zu tun haben, wie bei Bob Blume. Das kann mit dem Wunsch nach örtlicher Veränderung zu tun haben, wie bei einer Kollegin an meiner Schule. Wenn man aber den Ausstiegsberichten in den sozialen und „normalen“ Medien glaubt, hat es auch häufig mit Überlastung und Unzufriedenheit mit „dem System“ zu tun.
Das ist auch nicht wirklich verwunderlich. Die Anforderungen an das Schulsystem haben in allen Bereichen zugenommen, gleichzeitig wächst der Lehrkräftemangel. Außerdem sind die Bausteine des Systems davon noch sehr unterschiedlich betroffen. Grund- und Gesamtschulen haben mit größeren Herausforderungen zu kämpfen als Gymnasien. Städtische Schulen sind oft stärker betroffen als ländliche, dann spielen auch noch Regionen, Stadteile und die Systeme der Länder eine Rolle. Darauf reagiert Hessen mit einem Sozialindex, bundespolitisch gibt es das Startchancenprogramm. Daher lässt sich ein genereller Exodus nicht feststellen.
Dem gesamten Bildungssystem tut es vielleicht sogar gut, wenn erfahrene Lehrkräfte oder Schulleitungen an anderer Stelle wirken, dort ihre Expertise einbringen und für eine Veränderung des Systems kämpfen, was so im System nicht möglich wäre. Außerdem ist es ja in der Arbeitswelt außerhalb des Beamtentums völlig normal, dass man neue Herausforderungen sucht und sich beruflich umorientiert und entwickelt.
Dennoch zeigen der zunehmende Mangel an Lehrkräften, die steigenden Kündigungszahlen und die wachsende Unzufriedenheit im System, dass etwas nicht stimmt mit dem deutschen Bildungssystem. Seit Jahrzehnten werden die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler in internationalen Vergleichsstudien schwächer, psychische Erkrankungen bei Lernenden und Lehrenden nehmen zu. All das hat sicher nicht nur, aber auch, mit Schule zu tun.
Leider sind Kinder aber, wie Aladin El Mafaalani schreibt eine „Minderheit ohne Schutz“. Bildungspolitik spielt eine untergeordnete Rolle und wir führen nicht die notwendigen Diskussionen über Medien- und Demokratiebildung, psychische Gesundheit, Resilienz und Kompetenzen für das 21. Jahrhundert.

Bleibt zu hoffen, dass die Kündigungen von Lehrkräften nicht exponentiell wachsen, wie laut Christian Stöcker so viele Prozesse in den letzten Jahrzehnten. Bleibt zu hoffen, das wirklich viele der Kündigenden helfen, die notwendigen Diskussionen voranzutreiben. Und bleibt zu hoffen, dass Politik und Gesellschaft erkennen, dass die beste Vorsorge für eine gute Zukunft eine gute und zeitgemäße Bildung im hier und jetzt ist.

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